Rücktritt von Bürgermeister Nierth:"Ich fühle mich im Stich gelassen"

Markus Nierth

Die NPD wollte eine Kundgebung vor seinem Haus abhalten. Der Druck wurde Bürgermeister Markus Nierth irgendwann zu groß. Er wolle seine Familie schützen.

(Foto: dpa)

Markus Nierth, Bürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt, warb für die Aufnahme von Flüchtlingen. Dann machte die NPD mobil gegen ihn. In der SZ erklärt er seinen Rücktritt - und warum die Asylbewerber eine Chance für den Ort gewesen wären.

Interview von Paul Munzinger

Fünf Jahre lang war Markus Nierth, 46, Ortsbürgermeister in Tröglitz, einer Ortschaft im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt - bis vergangene Woche. Nierth ist Vater von sieben Kindern und arbeitet als selbständiger Theologe und Trauerredner. Er gehört keiner Partei an.

SZ: Herr Nierth, Ende letzten Jahres wurde bekannt, dass die 2900-Einwohner-Gemeinde Tröglitz 50 Flüchtlinge aufnehmen soll. Sie haben sich als ehrenamtlicher Bürgermeister dafür ausgesprochen, "den Fremden" eine Chance zu geben. Jetzt, drei Monate später, sind Sie zurückgetreten, weil NPD-Anhänger vor Ihrem Haus aufmarschieren wollten - und das Landratsamt die Demonstration nicht untersagte. Fühlen Sie sich im Stich gelassen?

Markus Nierth: Ich fühle mich im Stich gelassen. Man kann einem ehrenamtlichen Ortsbürgermeister eine Privat-Demo dieser Art nicht zumuten, dazu noch die Polizeikräfte vor meinem Haus. Und meine Kinder sollen diesen Stress aushalten, wieder einmal. Ich hätte die Demos und den Druck der NPD und der Wutbürger weiter ausgehalten. Aber wenn der Schutz des Landratsamtes, der Schutz der Politik wegbricht, dann ist das sehr enttäuschend.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht hat jetzt angekündigt, ehrenamtliche Bürgermeister besser zu schützen. Hätte Ihnen das geholfen?

Natürlich. Das wäre fantastisch gewesen. Aber das würde auch nichts an meiner Entscheidung ändern. Mir hat hier im Ort einfach der Rückhalt gefehlt, aus der Bevölkerung und vor allem aus der Politik. Der Aufstand der Anständigen ist bisher ausgeblieben. Ich hoffe, dass er noch kommt.

Seit Januar demonstrieren etwa 150 "empörte Bürger" in Tröglitz gegen die Aufnahme der Flüchtlinge, mittlerweile hat die NPD die Organisation übernommen. Nun sollte für die Demo am Sonntag erstmals die Route verändert werden, um die Kundgebung vor Ihrem Haus abzuhalten. Was haben Sie gedacht, als Sie das hörten?

Ich dachte, das muss ein Versehen sein, dass die Versammlungsbehörde nicht wusste, dass ich da wohne. Als ich hörte, dass sie es sehr wohl wusste und trotzdem zugelassen hat, war ich empört. Die Demonstration war eindeutig gegen mich gerichtet, ich war zur persönlichen Zielscheibe geworden. Die Demonstranten wollten mich kleinkriegen.

Ist Ihnen der Rücktritt schwergefallen?

Sehr schwer. Aber als verantwortlicher Familienvater muss man auch eine Grenze ziehen können. In diesem Punkt war einfach die Familie wichtiger.

Sind Sie persönlich bedroht worden?

Nicht direkt. Aber ich wurde beleidigt, vor allem auf Facebook. Wir haben dort deutlich Stellung bezogen gegen eine Seite, die extra gegen eine Aufnahme von Asylbewerbern gegründet wurde, die rassistisch und fremdenfeindlich argumentiert. Das hat sich immer mehr hochgeschaukelt.

Sie haben im Dezember geschrieben, die Ankündigung, dass 50 Flüchtlinge nach Tröglitz kommen, sei eine Nachricht, die auch Ihnen Angst mache.

Warum? Ich weiß, dass diese Sorgen in der Bevölkerung stark verbreitet sind. Ich wollte die Menschen damit abholen.

Wäre Tröglitz als 2900-Einwohner-Gemeinde mit 50 Asylbewerbern überfordert gewesen?

Mit unserer Sozialstruktur: Ja, wir haben einen höheren Anteil an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern als üblich, andererseits einen Zuzug vieler junger Familien, die kaum in die sozialen Beziehungen integriert sind. Die Ortsgemeinschaft ist nicht stark genug, um den Zuzug der Flüchtlinge zu verkraften.

Am Ende haben Sie aber doch dazu aufgefordert, den "Fremden" eine Chance zu geben - "schon um unsretwillen"! Was meinen Sie damit?

Die Gemeinschaft kann daran wachsen und stärker werden, wenn neue Leute dazukommen. Wir hätten eine gemeinsame Herausforderung, eine Mission. Gerade daran fehlt es uns. Wenn uns der Gemeinschaftssinn abgeht, können wir diesen vielleicht durch eine gemeinsame Aufgabe neu entwickeln.

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