Roger Köppel:Direkt gegen alle Missstände

Als Chef der "Weltwoche" hat Roger Köppel nie Zweifel an seiner Weltanschauung gelassen. Jetzt will er für die rechte SVP in den Nationalrat. Auf Parteiveranstaltungen wird er umjubelt, doch wie steht es um seine journalistische Unabhängigkeit?

Von Charlotte Theile, Zürich

Roger Köppel in Zürich

Manche sehen ihn als Nachfolger von SVP-Patriarch Blocher: Roger Köppel, 49, galt einmal als einer der talentiertesten Journalisten seiner Generation.

(Foto: REUTERS)

Schon ein paar Hundert Meter vor dem Gemeindehaus ist zu erkennen, um wen es heute Abend gehen wird. Mit schwarzem Filzstift sind die sechs Buchstaben auf ein Schild gekritzelt worden, das K ein bisschen ungelenk, das L viel zu groß, die Pünktchen vom Ö liegen so weit auseinander, das man sie kaum noch zusammenbringt. Macht alles nichts. Der Saal von Aesch, einer kleinen Gemeinde im Kanton Zürich, ist schon eine halbe Stunde vor Beginn voll, immer neue Stühle müssen geholt werden.

Roger Köppel sitzt in der ersten Reihe, er trägt einen blitzsauberen blauen Anzug, dazu eine Krawatte mit weißblauen Blümchen darauf. Er ist genauso viel zu früh wie alle anderen.

Gemeinsam warten sie, bis es 20.15 Uhr ist. Dann betritt Diego Bonato die mit Schweizer Flaggen geschmückte Bühne. Ein unauffälliger Mann mit schütterem Haar und durchsichtigem Brillengestell, Lokalpolitiker für die Schweizerische Volkspartei (SVP).

Bonato kann sein Glück kaum fassen. Als sie den Termin vereinbart hatten, war Roger Köppel Chefredakteur und Verleger der Weltwoche. Das ist er heute noch - aber seit einigen Tagen hat er nun das begonnen, was Bonato "offizielle politische Tätigkeit" nennt.

Köppel, dessen Nähe zur rechtskonservativen SVP in den vergangenen Jahren immer deutlicher geworden war, ist seit Ende Februar Parteimitglied, er kandidiert bei den Nationalrats-Wahlen im Herbst für Zürich.

Auf allen Kanälen präsent

Einer der bekanntesten Schweizer Journalisten hat die Seiten gewechselt, Partei ergriffen. Zweifel an seiner Weltanschauung hat Köppel auch bei der Weltwoche nicht gelassen, aber hier, bei der SVP Zürich, feiern sie seinen Schritt nun als Sechser im Lotto.

Köppel ist auf allen Kanälen präsent und hat auch Anhänger außerhalb der Partei. Viele sehen in ihm den Nachfolger des Milliardärs Christoph Blocher, 74, der die SVP über Jahrzehnte dominiert hat. Auch Bonato scheint das so zu sehen: "Vor 21 Jahren war dieser Saal genauso voll. Damals hielt Christoph Blocher hier sein erstes Referat, es ging um den Europäischen Wirtschaftsraum." Dann folgen ein paar Anspielungen auf die politische Karriere, die ein Auftritt in Aesch bringen kann.

Für die Bauernpartei SVP ist ein Intellektueller ein Experiment

Köppel erwähnt Christoph Blocher mit keinem Wort. Stattdessen sagt er die Sätze, die er seit der Bekanntgabe seiner Kandidatur hundertfach in Kameras, Telefonhörer und Mikrofone diktiert hat. Er habe in die Politik gehen müssen, sei faktisch hineingetrieben geworden von einer "linken Mehrheit" in Bern. Diese sei schuld, dass die Schweiz "den Bach herunter" gehe, säge an den "Staatssäulen des Landes" und müsse dringend wieder zu Verstand gebracht werden.

Ausführlich erklärt Köppel, warum nun "alle Rechten" gegen links zusammenstehen müssten, wie Neutralität, Unabhängigkeit und direkte Demokratie angeblich von Bern mit Füßen getreten würden, zitiert Gerichtsurteile, Jahreszahlen und Helmut Kohl, der einmal gesagt habe, der Euro sei zu wichtig, als dass man ihn im Wahlkampf thematisieren dürfe.

Immer mehr Zuhörer schließen die Augen. Der frühere Chefredakteur der Welt ist für die Bauernpartei SVP auch ein Experiment: Sind Intellektuelle in der Partei tatsächlich gefragt? Will man sich ihre Vorträge anhören? Und: Lässt sich ein Quereinsteiger, der altgediente Parteileute auf der Liste nach hinten rücken lässt, vermitteln?

Mit Fragen wie diesen möchte sich Roger Köppel nicht beschäftigen. Er wolle über die Schweiz, über Grundsätzliches sprechen, bekräftigt er in seiner Redaktion im Zürcher Westen. Wieder geht es um die linke Mehrheit in Bundesrat und Parlament, die an den Staatssäulen säge, um angeblich nicht umgesetzte Volksentscheide, um die föderalistische Schweiz, die immer zentralistischer werde. Und im Ukrainekonflikt, sagt Köppel, "übernimmt der Bundesrat die EU-Sanktionen, tritt also die Neutralität mit Füßen. Es genügt nicht mehr, diese Missstände einfach zu beschreiben."

Ist die "Weltwoche" jetzt Parteiorgan? Köppel sieht sich als unabhängig

Es ist dieselbe Kritik, die man seit Langem aus der SVP hört - und die Köppel seit Jahren in seinen Editorials durchdekliniert. In der TV-Comedy Giacobbo/Müller wurden vor einigen Tagen Zitate von Roger Köppel und Christoph Blocher so aneinander geschnitten, dass der eine jeweils den Satz des anderen weiterführte. Nicht wenige unkten, jetzt gebe es die Weltwoche wohl umsonst, sie sei ja jetzt offizielles Parteiblatt.

Köppel ärgert das, natürlich. "Die Weltwoche gehört mir. Ich bin unabhängiger Verleger. Ich muss von keinem Menschen irgendeine Weisung entgegennehmen." Und auch als Nationalrat, wenn er denn gewählt werden sollte, sei er ausschließlich seiner eigenen Überzeugung verpflichtet. Im Zweifel gehe der Journalist in ihm vor. Und überhaupt sei er ja wohl nicht der einzige Schreiber, der eine Mission habe: "Alle Journalisten haben eine politische Agenda." Anders als die Kollegen stehe er "transparent dazu".

In schwierigen Zeiten seien Schweizer Chefredakteure übrigens "immer in die Politik" gegangen, sagt Köppel und nennt als Beispiel den früheren Chef der Neuen Zürcher Zeitung und Nationalrat der Freiheitlichen, Willy Bretscher.

Er ist erwartbar geworden

Köppel, der nicht vorhat, im Fall seiner Wahl zum Nationalrat die Weltwoche-Chefredaktion ruhen zu lassen, beschreibt sich selbst als jemanden, der sich für eine "unabhängige und weltoffene Schweiz" einsetze. Die anderen Journalisten würden das, was sie schreiben, nicht so ernst nehmen wie er, keine Verantwortung übernehmen wollen.

Es ist ein geschlossenes Weltbild, das Roger Köppel da präsentiert. In wenigen Wochen wird er 50. Als junger Mann galt er, der mit 32 zum Chefredakteur des angesehenen Magazins des linksliberalen Tages-Anzeigers ernannt wurde, als eines der größten journalistischen Talente seiner Generation, als Querdenker. Als einer, der selbst klar wirtschaftsliberal positioniert war und sich doch ohne Berührungsängste bei allen möglichen Ideen bedienen konnte. Als brillanter Blattmacher und Schreiber, der seine Leser überraschte.

Bei der Weltwoche dagegen verlor Köppel nach und nach seine profiliertesten Autoren. Die Auflage, die mit ihm als Chefredakteur zunächst gestiegen war, sinkt inzwischen, genau wie bei allen anderen Publikationen. Roger Köppel ist erwartbar geworden, und die Weltwoche mit ihm.

Im November 2014 etwa schreibt er: "Die direkte Demokratie ist die beste bekannte Therapieform gegen politische Unzufriedenheit." Er finde es großartig, in einem Land zu leben, wo gestritten und abgestimmt werde. Es seien nicht die Populisten, die das Volk aufhetzten, sondern die Eliten, die es kritisierten. Eine Argumentation, die in den Monaten davor und danach immer und immer wiederkehrt.

Beim Tages-Anzeiger, wo Köppel seine Karriere begann, wurde sein Schritt nun so eingeordnet: "Manchmal zieht sich eine Krankheit so endlos, dass der Tod einer Vollzugsmeldung gleicht." Die Coolness und Leichtigkeit, die Köppel einmal ausmachten, seien in den letzten Jahren einer "Durchsetzungsprosa" gewichen.

Nur was bedeutet das alles für die Weltwoche? SVP-Übervater Blocher erklärte, Köppel dürfe auf keinen Fall ein politisches Amt annehmen, das ihn von seiner Aufgabe als Chefredakteur abhalte. Nationalrat darf er also werden, Bundesrat - eine hauptberufliche Aufgabe - nicht.

Im Gemeindesaal von Aesch liegt an diesem Abend die aktuelle Weltwoche aus. Gratis. Die Titelgeschichte lässt SVP-Bundesrat Ueli Maurer nicht gut aussehen. Je nach politischem Standort ist das entweder ein Zeichen für die Unabhängigkeit des Blattes oder für parteiinterne Disziplinierung.

Am Ende des Abends ist die Weltwoche vergriffen.

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