Bad Tölz-Wolfratshausen:"Bis zur Grenze belastet"

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Große Herausforderung: Das Tölzer Jugendamt kann unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge kaum noch unterbringen. Ständig wechselnde staatliche Vorgaben, der Mangel an qualifizierten Betreuern und Immobilien erschweren die Arbeit.

Von Alexandra Vecchiato, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Unterbringung und Betreuung minderjähriger Flüchtlinge, die ohne Erziehungsberechtigte nach Deutschland kommen, bringt das Jugendamt an seine Grenzen. Sachgebietsleiter Ulrich Reiner sprach im Ausschuss für Jugend und Familie des Kreistags von einer "extrem großen Herausforderung". Erschwert werde die Arbeit durch ständig wechselnde staatliche Vorgaben, den Mangel an qualifizierten Betreuern und geeigneten Immobilien für Wohngruppen.

Laut Vorgabe musste der Landkreis seine bestehenden 44 Heimplätze im Sommer 2014 um 28 Plätze aufstocken, um die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge unterzubringen. Ende dieses Jahres sollten 100 Heimplätzenachweisbar sein, sagte Reiner. Allerdings konnten zwölf Jugendliche in bestehenden Einrichtungen unterkommen. Somit reduziere sich die Anzahl der Heimplätze auf 88. "Dennoch bedeutet es eine Verdoppelung aller Heimplätze innerhalb eines Zeitraums von 15 Monaten", sagte Reiner.22 Vollzeitstellen müssten dafür neu geschaffen werden.

Gehe man von einem Betreuungsschlüssel von eins zu zwei, sprich: ein Betreuer für zwei Jugendliche, aus, müssten bayernweit circa 3000 Vollzeitstellen neu besetzt werden. Doch der Arbeitsmarkt sei leer gefegt, selbst wenn der Landkreis diese 22 Stellen mit pädagogischen Fachkräften besetzen wollte - er würde sie nicht bekommen, denn wegen des Ausbaus der Kindertagesstätten herrsche Fachkräftemangel, so Reiner. "Für mich persönlich ist das die größte Herausforderung, die ich in meiner Tätigkeit erlebt habe."

Reiner sprach von der Möglichkeit, dass der Landkreis bis Ende dieses Jahres sogar 113 Heimplätze vorhalten muss. "Ob und wie wir das schaffen wollen und können, wissen wir nicht." Zwölf Jugendliche sollen in der ehemaligen Landwirtschaftsschule in Wolfratshausen untergebracht werden. Vor einigen Wochen seien zwei "engagierte Sozialpädagogen" bei ihm vorstellig geworden, die eine neue Wohngruppe eröffnen wollten. Dieses Projekt sei aber an den Verhandlungen mit dem Vermieter der Immobilie gescheitert. Reiners Appell: "Wer irgendwo Räume weiß, die sich dafür eignen, soll sich im Landratsamt melden."

"Ob und wie wir das schaffen wollen und können, wissen wir nicht", sagt Jugendamtsleiter Ulrich Reiner. (Foto: Hartmut Pöstges)

Sein Amt stehe in Verhandlungen mit dem Kloster Benediktbeuern. Pater Karl Geißinger habe Räume im Gästetrakt des Klosters angeboten. Eine Begehung soll klären, ob eine Unterbringung der Jugendlichen dort möglich ist. Sechs bis zehn junge Flüchtlinge sollen "ambulant" in einer ehemaligen Tölzer Pension ein Zuhause finden. "Ich möchte um Verständnis werben, wir alle sind bis zur Grenze belastet", sagte er. Vor allem, weil man sich auf staatliche Vorgaben nicht verlassen könne. Das treffe auch die Träger der öffentlichen und der freien Jugendhilfe. Zum Teil streckten die Träger 60 000 bis 80 000 Euro vor und müssten drei Monate und länger auf die Kostenerstattung der Stadt München, die dafür zuständig ist, warten. Das bedeute ein dickes Minus für manche Träger. "Wir haben überlegt, dass das Jugendamt in Vorleistung geht, aber das ist schwierig", sagte Reiner.

Ein weiteres großes Problem sei der Schulbesuch. Die unter 15-jährigen Flüchtlinge würden an den Mittelschule aufgenommen, von 16 Jahren an in der Berufsschule. Wegen der fehlenden Sprachkenntnisse sei dies ein Spagat. Daher plane man, in der Wolfratshauser Landwirtschaftsschule eine Clearing-Klasse einzurichten. Dort sollen die unbegleiteten Jugendlichen zunächst sechs Monate lang Deutsch lernen.

Zu den Kosten sagte der Sachgebietsleiter, dass 500 000 Euro im Haushalt eingeplant seien. Auch bei diesem Betrag gehe man in Vorleistung, Reiner denkt, dass 50 000 Euro davon nach der Kostenerstattung beim Landkreis hängen bleiben werden. "Wir warten bis zu 18 Monate, bis das Geld wieder reinkommt." Für das laufende Jahr rechnet er insgesamt mit Ausgaben in Höhe von 2,5 Millionen Euro, zwei Millionen würden wohl erstattet.

© SZ vom 11.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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