André Schürrle beim VfL Wolfsburg:Weltmeisterlich unglücklich

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Außer Form: André Schürrle tut sich schwer beim VfL Wolfsburg (Foto: AFP)
  • André Schürrle wird auch gegen Inter Mailand früh ausgewechselt. Danach spielt die Mannschaft besser.
  • Seine Leistungen legen nahe, dass der Weltmeister ohne Form nach Deutschland zurückgekehrt ist.
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Von Carsten Eberts, Wolfsburg

Kevin De Bruyne musste klettern. Hoch auf den Tribünenzaun, auf jenen Platz, wo sonst der Mann mit dem Megafon steht. Der schüchterne Belgier sah nicht gerade glücklich aus, als ihm der Verstärker in die Hand gedrückt wurde. Es half nichts, er musste singen. "Ich hoffe, ich habe das okay gemacht", druckste er nach seinem ersten Erlebnis dieser Art. Dann sprach er noch lange über das Europa-League-Spiel gegen Inter Mailand, über seine beiden Tore beim 3:1 (1:1), über die gute Ausgangslage für das Achtelfinal-Rückspiel in einer Woche. Er hatte den VfL Wolfsburg beglückt, wieder einmal.

Ein anderer war da längst verschwunden: André Schürrle. Er hatte nur 45 Minuten gespielt, dann wurde er ausgewechselt. Die zweite Hälfte, in der Wolfsburg aufdrehte und auch 4:1 oder 5:1 hätte gewinnen können, fand ohne den 32-Millionen-Euro-Zugang statt. Ihn würde derzeit niemand zum Singen auf den Zaun auffordern. Ohne ein öffentliches Wort zu entrichten, verschwand er aus der Arena.

Was ist mit Schürrle los? Die Frage stellen sich viele, die ihn bei seiner Arbeit beobachten. Seit sechs Wochen ist der 24-Jährige nun Angestellter des VW-Konzerns, und es ließe sich kaum behaupten, dass es sorgenfreie Wochen für ihn waren. Bei seinem ersten Auftritt gegen Hoffenheim bereitete er zwei Treffer vor, seitdem hakt es. Schürrle hat noch kein Tor erzielt, seine furiosen Flankenläufe von der WM in Brasilien scheinen ihm derzeit fremd. Er steht häufig in der Startelf, wird aber frühzeitig ausgewechselt - weil ihm nichts gelingen mag.

So auch gegen Inter. Schürrle spielte überraschende Fehlpässe, wählte oft die falschen Laufwege. Vor dem frühen Mailänder Führungstreffer missglückte ihm die Ballablage im Mittelfeld; über Icardi und Palacio gelangte der Ball Sekunden später ins Tor (6.). Mit jeder Aktion, die Schürrle misslang, wurde das Raunen in der Arena lauter und deutlicher. Schürrle kämpfte, doch er warf die Arme in die Luft, haderte. Der Mann, der im Sommer in Brasilien so großen Anteil am deutschen Titelgewinn hatte, er ist noch nicht ankommen in Wolfsburg.

Nach dem WM-Sieg in Rio hatte Schürrle ein unbefriedigendes halbes Jahr bei Chelsea hinter sich, wo er nur als Einwechselspieler von der Bank mitwirken durfte, wie auch schon in Löws Team bei der Weltmeisterschaft. Das ist ein völlig anderes Spiel als nun in Wolfsburg, wo er von Beginn an Akzente setzen muss und alle auf ihn achten - weil er ja der teuerste Spieler der Vereinsgeschichte ist. Er erhalte vom Verein alle Zeit, um sich in der Mannschaft zurecht zu finden, erklärte Trainer Dieter Hecking am Donnerstagabend. Schürrle habe gegen Inter einen schlechten Tag erwischt - nicht mehr, nicht weniger.

"Bleibt ruhig", rief er den Pressevertretern zu, die sich über Schürrles abermals glücklosen Auftritt wunderten, "das wird schon."

Achtelfinale der Europa League
:Wolfsburg überwindet den Schock

Der VfL Wolfsburg fängt sich gegen Inter Mailand und gewinnt nach frühem Rückstand 3:1 - eine gute Grundlage für das Rückspiel. Während De Bruyne doppelt trifft, muss Schürrle zur Halbzeit runter.

Immer offensichtlicher wird, dass Schürrle außer Form nach Wolfsburg transferiert wurde. Klaus Allofs, der Wolfsburger Geschäftsführer, erinnerte daran, wie sich Schürrles Wechsel vom FC Chelsea zwei Wochen hinzog, er in dieser Zeit kaum trainierte. "Man kann noch so große Fähigkeiten haben, aber man muss körperlich in der Lage dazu sein", erklärte Allofs. Umso wichtiger sei es, Schürrle fortwährend zu ermutigen. "Wir sagen ihm: Du darfst Fehler machen", erklärte Allofs. Das klang dann schon nach einer Therapiesitzung.

Schürrles Situation erinnere ihn fatal an seine eigene vor genau einem Jahr, erzählte auch De Bruyne. Wie Schürrle hatte De Bruyne bei Chelsea kaum gespielt, bevor er nach Wolfsburg kam; der Belgier brauchte Wochen, um sich einen Rhythmus zu erarbeiten. "Der kommt schon", glaubt auch De Bruyne. Er mache sich über Schürrle "überhaupt keine Sorgen".

In der ersten Hälfte gegen Inter offenbarte übrigens auch De Bruyne ungewohnte Schwächen. Spielte über fünf Meter den Gegner an, schlug Luftlöcher, haderte, schimpfte. Doch Hecking ließ ihn weiterspielen - und wurde belohnt. Er weiß, dass De Bruyne derzeit Herausragendes vollbringt, wenn man ihn nur machen lässt. André Schürrle würde Hecking dieses Vertrauen eher nicht entgegenbringen.

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