SZ-Schulratgeber:Sanfter Übertritt

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Was erwartet die Viertklässler? Die Kinder machen sich Gedanken, sie erwarten auf der Realschule mehr Freizeit und auf dem Gymnasium mehr Stress. (Foto: Sonja Marzoner)

An der Grundschule Garching West soll Viertklässlern mit kreativen Projekten und vielen Informationen die Angst vor weiterführenden Schulen genommen werden. Gestresste Kinder sind Ausnahmefälle. Sozialpädagogen sorgen sich mehr um die zukünftigen Mittelschüler

Von Franziska Dürmeier, Garching

Wenn sich die Grundschulzeit dem Ende zuneigt, wird es für viele Kinder spannend: Wo geht es dann hin? Wie wird es dort? Die Vorstellungen über weiterführende Schulen liegen oft fernab der Realität. Es gebe gar Mutmaßungen wie "es gibt keine Pausen im Gymnasium, und in der Mittelschule dagegen ganz lange", erzählt Katharina Mackedanz, Sozialpädagogin an der Grundschule Garching West. "Ich stelle fest, dass die Kinder über weiterführende Schulen fast nichts wissen. Gerade die Informationen helfen aber, ihnen die Angst zu nehmen." Denn laut Mackedanz ist am Anfang gar nicht die Leistung das Problem, sondern das Organisatorische: die neuen Klassenverbände, die vielen Lehrer, die vielen Klassenzimmer und die ständige Möglichkeit, ausgefragt zu werden.

Nina und Johannes sind ein Stück weiter. Die beiden Viertklässler wissen schon ziemlich gut Bescheid. Sie beugen sich mit Filzstiften in der Hand über grüne, gelbe und fliederfarbene Pappe. Jede steht für eine der drei Schularten. "Ist mittel schwer" und "man hat etwas mehr Freizeit" schreiben sie neben die Realschule. "Man ist im Stress" neben das Gymnasium. Das Wort "Stress" ist am Ende einmal unterstrichen, das Wort "Freizeit" dreimal.

Mit kreativen Projekten bemüht sich die Grundschule Garching West, die Kinder möglichst gut auf den Übertritt vorzubereiten. Daneben gibt es Unterrichtsstunden, Überlegungen zum Traumberuf, Schulbesuche an weiterführenden Schulen sowie persönliche Gespräche mit Lehrern und der Schulsozialarbeiterin. Für die Eltern gab es schon vor etwa einem Jahr den ersten Informationsabend. Wie die Kinder an ihre nahende Zukunft herangeführt werden, ist allerdings von Schule zu Schule unterschiedlich. Gerade Schulbesuche sind keine Selbstverständlichkeit.

Wo es bei Nina und Johannes hingehen soll, steht schon fest. "Ich will Kieferorthopäde werden, wie mein Vater, und deshalb aufs Gymnasium", sagt der Junge entschlossen. Nina möchte auf die Realschule, "weil meine Schwester da auch ist". So genaue Vorstellungen von einem Beruf wie Johannes hat sie zwar noch nicht, aber "irgendwas mit Kindern" könne sie sich vorstellen, vielleicht Kindergärtnerin. Beide strengen sich derzeit besonders an, um ihr Ziel zu erreichen. Es sind nur noch wenige Wochen bis zum Übertrittszeugnis, die Proben häufen sich.

Manche Kinder heulen bei einem Zweier

"Bisschen stressig ist es schon", sagt Nina. "Wir haben manchmal drei Proben in einer Woche." Johannes lernt in letzter Zeit etwas mehr mit seiner Mutter und auch Nina wird von ihrer Mutter und ihrer Schwester unterstützt. Trotzdem sind die beiden Neunjährigen gelassen. "Ich mache mir nicht so viele Sorgen", sagt Johannes. "Ich habe hauptsächlich Einser, Zweier und nur selten Dreier." Auch Nina wirkt unbeeindruckt: "Meine Mama will, dass ich mich nicht so stresse." Doch nicht allen geht es so. "Manche in der Klasse heulen bei einem Zweier", erzählt Nina.

Gerade wegen solcher Fälle würden viele Lehrer Proben erst am Ende des Schultages herausgeben, erläutert Sozialpädagogin Mackedanz, "weil manche Schüler sonst so fertig sind." Auch berichteten manche Eltern von Einschlafproblemen ihrer Kinder. Ein Zeichen für den hohen Leistungsdruck vor dem Übertritt? Viele Eltern bemühen sich jedenfalls sehr darum, dass sich ihr Kind möglichst auf das Lernen konzentriert. "Ich kriege mit, wie Kinder im Februar von Sportvereinen abgemeldet werden", erzählt Mackedanz. Manche Kinder würden ab Januar plötzlich bei Hausaufgabengruppen angemeldet, andere bei der Nachhilfe.

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Das bestätigen auch die steigenden Anmeldungen bei Nachhilfeinstituten. Im Landkreis verzeichnen sie jedes Jahr einen nicht unwesentlichen Anteil an Übertrittskandidaten. Manche sagen sogar, es werden immer mehr. Beim Studienkreis Unterhaching sind es laut Leiter Daniel Sailer derzeit etwa 15 Prozent. Der Zuwachs beginne bereits im Oktober mit den ersten Elternabenden. Problemfächer seien vor allem Mathe und, insbesondere für Kinder von Migranten, Deutsch.

Daniela Meingast, die für das Nachhilfeinstitut Abacus den Großteil des Landkreises München betreut, beobachtet eine ähnliche Entwicklung. Sie führt den Anstieg jedoch auf das G8 zurück. Meingast geht davon aus, dass sich viele Schüler bereits in der Grundschule auf das Gymnasium vorbereiten möchten, da die Anforderungen gestiegen sind. Es gebe allerdings auch Fälle, in denen Kinder Lernstoff lediglich aufholen möchten, den sie etwa wegen Krankheit verpasst haben. Doch gerade auf lange Sicht ist die Last-Minute-Aktion nicht immer erfolgreich. "Viele Schüler schaffen es, zunächst mehr zu erreichen", sagt Meingast. Doch habe sie die Erfahrung gemacht, dass diese Kinder oft nach ein bis zwei Jahren wieder von der gewünschten Schule runter müssten.

Die Erwartung der Eltern ist oft viel zu hoch

Ähnliches kann auch Mackedanz berichten. In der 7. und 8. Klasse werde es so schwierig im Gymnasium, dass spätestens dann viele dieser Wackelkandidaten die Schule verließen. "Die Erwartungshaltung der Eltern ist oft viel zu hoch. Sie wollen das Gymnasium, aber das Kind hat Mittelschulnoten. Wir müssen ihnen klar machen, dass es unrealistisch ist. Eine 180-Grad-Drehung ist nicht möglich."

Wenn Schüler gestresst sind, liegt das oft daran, dass sie den Sprung auf das Gymnasium oder die Realschule schaffen möchten. Und nicht selten mit dem Druck der Eltern im Rücken. Doch die größten Sorgen haben aus Sicht der Schulpädagogin die Schüler, die voraussichtlich auf die Mittelschule gehen. "Ich habe immer wieder Kinder erlebt, die sich nicht mehr anstrengen. Sie werden ruhiger, sprechen wenig". Ein Schüler habe sogar mal aufgehört, irgendwas zu tun und nicht mal mehr sein Federmäppchen mitgebracht.

Dieses Verhalten führt Mackedanz auf das Ansehen der Mittelschule zurück. Viele würden die Schulart als wertlos betrachten, als könne man dort nur einen schlechten Beruf erlernen, mit schlechter Bezahlung. "Diese Schüler fühlen sich stigmatisiert", sagt Mackedanz. "Wir müssen Ihnen klar machen: Egal, wo ihr landet, der Weg nach oben ist immer möglich." Denn - und das zeigen auch die Schaubilder, die den Schülern und Eltern der Garchinger Grundschule regelmäßig vorgezeigt werden - das bayerische Schulsystem ist durchlässig. Die Kinder hätten immer noch die Chance, später die Schule zu wechseln. Eine solche Beobachtung wie Mackedanz macht Andrea Pelters, Rektorin der Grundschule Neukeferloh, allerdings nicht. "Es ist schon ein Trend zu beobachten, dass alle zum Gymnasium streben, aber die Mittelschule ist hier kein Malus für Eltern", sagt sie.

Laut Mackedanz handelt es sich insgesamt bei den wirklich gestressten Schülern nur um Einzelfälle: "Ich denke, dass Kinder, die sensibel sind und bei denen der Übertritt knapp ist, schon unter Druck stehen - die große Masse ist es aber nicht."

Auch Andrea Zran, Schulleiterin der Grundschule an der Sankt Konradstraße in Haar kann nur relativ wenige Fälle dieser Art verzeichnen. "Ich habe nicht das Gefühl, dass die Viertklässler leiden", sagt sie. "Überforderung oder Schulstress in der vierten Klasse ist sehr selten. Ich würde das Thema nicht zu hoch aufhängen."

Dass Schüler enorm gefördert würden, um die entsprechend höhere Schule besuchen zu können, sei "unserer leistungsorientierten Gesellschaft geschuldet", so Zran. "Die Besten kommen am weitesten, so ist das System eben aufgebaut. Da muss ein Umdenken einsetzen." Früher sei noch ein Großteil auf die Hauptschule gegangen, heute schicke man die meisten Schüler auf das Gymnasium. "Da hat ein Wechsel stattgefunden, und dadurch entsteht Druck." Laut Kultusministerium sind im Landkreis im vergangenen Jahr etwa 61 Prozent auf das Gymnasium gegangen, knapp 20 Prozent auf die Realschule und nur etwa 18 Prozent auf die Mittelschule.

Die Kinder vom Sportverein abzumelden, ist keine Lösung

Abmelden vom Sportverein sieht Mackedanz nicht als Lösung. Im Gegenteil: Eltern sollten für die Kinder einen gesunden Ausgleich schaffen. Gerade ein Hobby sei in dieser Zeit viel wert. Die Lehrer müssen in der Vorbereitungsphase auch den nicht einfachen Spagat schaffen, die Schüler mit so unterschiedlichen Zielen möglichst gut vorzubereiten.

Grundschullehrerin Andrea Schneider pflegt in diesem Sinne die Verbindung zwischen der Grundschule Garching West und dem Werner-Heisenberg-Gymnasium. Neben der Grundschule unterrichtet sie auch das Fach Deutsch in der 5. Gymnasialklasse. Ihr fällt auf, dass der Lehrplan nicht immer übereinstimmt, gerade bei der Kommasetzung werde im Gymnasium etwas vorausgesetzt, das im Grundschullehrplan so nicht verankert sei.

Man versuche, sich im Laufe der Zeit anzunähern und einen sanfteren Übergang zu schaffen, sagt Schneider. Einige Punkte im Rahmen des Schnupperprogramms stehen Nina und Johannes zwar noch bevor, aber eins steht fest: Die Vorfreude überwiegt.

© SZ vom 14.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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