Vulkan Nyiragongo:Blick in die Hölle

Vulkan Nyiragongo: Schaurig-schöner Höllenschlund: der Lavasee am Kraterboden des Nyiragongo im Ostkongo. Er gilt als einer der gefährlichsten aktiven Vulkane der Welt.

Schaurig-schöner Höllenschlund: der Lavasee am Kraterboden des Nyiragongo im Ostkongo. Er gilt als einer der gefährlichsten aktiven Vulkane der Welt.

(Foto: Monusco)
  • Der Nyiragongo im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist einer der gefährlichsten aktiven Vulkane der Welt.
  • In seiner Nähe leben 1,5 Millionen Menschen.
  • Auf einen Ausbruch wäre die Bevölkerung wohl nur unzureichend vorbereitet.

Von Judith Raupp

Die Erde bebt, stößt Rauch und Feuer aus. Ein Dröhnen dringt aus der Tiefe. Es ist, als blicke man in die Hölle. Im Krater des Nyiragongo, mitten im berühmten Virunga-Nationalpark, brodelt der größte Lavasee der Welt. Er misst 270 Meter in der Länge und 250 Meter in der Breite. Zehn Millionen Kubikmeter Lava kochen im Schlund des Vulkans im Osten der Demokratischen Republik Kongo.

"Vielleicht sogar noch mehr", vermutet der italienische Vulkanologe Dario Tedesco. Er ist schon oft in den zwei Kilometer breiten Krater gestiegen, dabei dem Lavasee bis auf einen Meter nahe gekommen. "Die Menschen sind zu klein, um diese Naturgewalt zu begreifen", sagt der Wissenschaftler.

Und doch versucht Tedesco seit 1995, den Nyiragongo in Daten und Zahlen zu fassen. "Man muss diesen Vulkan überwachen. Er ist der gefährlichste der Welt", berichtet der Professor für Vulkanologie und Geochemie an der Universität Neapel. Der Nyiragongo und der benachbarte Nyamulagira sind die weltweit aktivsten Vulkane - und in unmittelbarer Nähe leben 1,5 Millionen Menschen. Nur 20 Kilometer südlich des Nyiragongo liegt Goma, die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu.

Wenn die Magma-Fasern vom Himmel regnen, sollen die Hirten die Weiden wechseln

Vermutlich ist der Nyiragongo erst vor einigen zehntausend Jahren entstanden. So wie die sieben anderen Vulkane im kongolesisch-ruandischen Grenzgebiet ist er ein Produkt des Großen Afrikanischen Grabenbruchs, wo sich die Erdplatten jedes Jahr einige Zentimeter voneinander entfernen. Hier steigen Magma, Gas und Gestein vom Inneren der Erde an die Oberfläche. Wenn diese Mischung die Erdkruste durchbricht, erkaltet die Masse und formt bergige Gebilde. Allein der Nyiragongo beherbergt einen Lavasee, wie es ihn nur ein paar Mal auf der Welt gibt. Nicht zuletzt deshalb hat die Unesco dieses älteste Naturschutzgebiet Afrikas zum Weltkulturerbe erklärt.

Der Nyiragongo zählt zu den Stratovulkanen, wie der Vesuv, der einst die römische Stadt Pompeji zerstörte. "Strato" bedeutet, dass Schichten erkalteter Lava, Schlacke und Gestein den Vulkan bilden. Jede Eruption hat ihre Spuren hinterlassen. Der obere Teil des 3470 Meter hohen Nyiragongo ist besonders steil, die Lava extrem flüssig. Das liegt am niedrigen Gehalt von Siliziumdioxid im Basaltgestein, der hier nur 30 bis 40 Prozent beträgt. Bei anderen Vulkanen sind es mehr als 60 Prozent.

Neben Siliziumdioxid steigen aus dem Lavasee auch Kohlenstoffdioxid, Chlor und Fluor in die Luft. Zudem treten Wasserdampf, Schlacke, Asche und Fasern aus. Diese Fasern aus blitzschnell erkaltetem Magma heißen "Haar der Pele", nach der Feuergöttin in der hawaiianischen Sage.

Solange der Lavasee nur im Krater spuckt, seien die austretenden Substanzen für die Menschen nicht gefährlich, sagt Vulkanologe Tedesco. Allerdings können bei starker Aktivität des Nyiragongo Pele-Fasern auf die Nahrung von Menschen und Tieren fallen. Die Hirten sollten dann die Weiden wechseln, und die Menschen Obst und Gemüse sorgfältig waschen. Denn die glasähnlichen Fasern könnten Magen und Darm verletzten. Vor allem die Vegetation leidet deutlich. Saurer Regen zerstört die Pflanzen und schadet der Fruchtbarkeit der Böden.

"Zu schnell, als dass man noch flüchten könnte"

Der Lavasee ist im Laufe der Zeit mehrmals vorübergehend verschwunden. 1977 zum Beispiel hat der Vulkan den Inhalt des Sees innerhalb einer Stunde ausgespuckt und durch die Risse in seiner Oberfläche gedrückt. Am Steilhang des Gipfels stürzt die Lava in solchen Fällen mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde ins Tal. Am flacheren Fuß fließt sie mit bis zu 40 Kilometern pro Stunde.

"In jedem Fall zu schnell, als dass man noch flüchten könnte", erzählen die Wächter des Virunga Parks. 1977 habe der Lavastrom vor allem die nahegelegenen Dörfer begraben. Mehr als 500 Menschen starben. "Der Vulkan ist seither vielen Einheimischen unheimlich", sagt einer der Ranger. Zumal sie kaum Gelegenheit haben, das Naturspektakel zu sehen: Der Aufstieg zum Lavasee kostet umgerechnet knapp 70 Euro. Das ist für die meisten Kongolesen unerschwinglich. So bleibt der Ausflug zum Krater ein Privileg ausländischer Touristen.

Zuletzt ist der Nyiragongo im Jahr 2002 ausgebrochen. Damals hat die Lava 200 Menschen getötet und 13 Prozent der Infrastruktur von Goma zerstört, darunter den Flughafen. Bis heute behindern Steine und Geröll den Verkehr. Manche Häuser und Stromleitungen wurden nie mehr aufgebaut. Der Flughafen ist allerdings mit deutscher Hilfe repariert worden. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat ein Stück der Landepiste erst vor kurzem eingeweiht.

Der Lavastrom ist 2002 sogar in den Kivusee geflossen, an dessen Ufer Goma liegt. Im See schlummern Methan und Kohlenstoffdioxid. Manche behaupten, das Gas hätte austreten und noch mehr Menschen töten können. Die Wissenschaftler am vulkanologischen Observatorium in Goma halten das aber für unwahrscheinlich, weil das Gas tief auf dem Grund liege.

Der Vulkanologe Tedesco lebt mehrere Monate im Jahr in Goma und hat seine Kollegen am Observatorium ausgebildet. Sie messen Erdschwingungen, die Menge der Gase, die aus dem Nyiragongo entweichen, und die Temperatur in den Erdspalten. Zudem erhalten die kongolesischen Forscher über die Universität in Turin und das EU-Projekt European Volcano Observatory Space Services Zugang zu Satellitendaten. Wenn alle Parameter, also Erdbewegung, Gasvolumen und Temperatur, in die Höhe schnellen, könnte eine neue Eruption bevorstehen.

Die roten Warnfahnen sind verrottet. Im Notfall wüssten die Menschen nicht, was zu tun ist

Die Wissenschaftler haben allerdings mit Problemen zu kämpfen. Sie müssen ihre Messstationen immer wieder abbauen, weil Milizen in die Region um den Vulkan eindringen, morden und plündern. Außerdem sind viele Geräte veraltet. Die Europäische Union und die Schweizer Regierung haben das Observatorium während vieler Jahre mit insgesamt 3,5 Millionen Euro unterstützt. Aber seit 2014 ist diese Hilfe auf einen Bruchteil eingebrochen. Die Wissenschaftler beschränken sich nun auf das Notwendigste. Ein westlicher Forscher, der anonym bleiben möchte, bezweifelt, dass das Observatorium derzeit in der Lage sei, rechtzeitig vor einem Ausbruch zu warnen. "Die Daten werden nicht in Echtzeit übermittelt", sagt er. Eine aktuelle Gefahr könnte leicht übersehen werden.

Wie aber soll die Bevölkerung erfahren, wenn Gefahr im Verzug ist? "Wir brauchen dringend ein System permanenter Information über den Zustand des Vulkans", fordert Jacques Kakule Vagheni, Assistent für Umwelt und Entwicklung an einer Hochschule in Goma. Früher hätten an zentralen Orten in der Stadt Fahnen gehangen: Rot bedeutete "sofort evakuieren", grün "alles o.k.". Doch die Fahnen seien längst verrottet, und die Bevölkerung wisse nicht, was bei einer Katastrophe zu tun sei.

Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, verteilt manchmal Broschüren. Dort steht, die Menschen sollten in Richtung des nahen Masisi-Gebirges und über die Grenze nach Ruanda auf die Hügel fliehen. Außerdem sollten sie durch ein feuchtes Taschentuch atmen. Nur, wie schnell könnte sich die arme Bevölkerung in Sicherheit bringen, ohne Fahrzeug, zu Fuß? "Der nächste Ausbruch des Nyiragongo kommt, er ist nur eine Frage der Zeit", glaubt der Vulkanologe Tedesco. Und er sagt: "In Goma zu leben, erfordert eine Portion Fatalismus."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: