Plünderungen im Irak und Syrien:Was wir für das kulturelle Erbe tun können

Wachposten an historischen Stätten im Irak

Geht es wirklich nur so? Nachdem es zu Plünderungen gekommen war, standen 2003 in einigen archäologischen Stätten des Irak bewaffnete Wächter, so wie hier in Nimrud (Foto von 2003).

(Foto: dpa)

Die Zerstörung historischer Stätten durch den IS hat Aufsehen erregt. Doch auch im Stillen gibt es Plünderungen, Raubgrabungen und illegalen Antikenhandel. Was im Nahen Osten verloren geht - und was die Welt dagegen tut.

Von Esther Widmann

Die Aufnahmen, auf denen eine Horde Fanatiker jahrtausendalte Bildwerke vorsätzlich zerschlägt, gingen um die Welt - und sie musste hilflos zusehen. Die Bilder von archäologischen Fundstätten in Syrien und im Irak, die Raubgräber als geplündert hinterlassen haben, finden dagegen weniger Beachtung. Und das, obwohl an diesen Stellen besser geholfen werden könnte, Kulturgüter zu retten.

Im Irak dokumentierten Denkmalschutzorganisationen nach 2003 an vielen Orten, wie der Wegfall staatlicher Aufsicht zu Plünderungen durch Raubgräber geführt hatt. Ähnliches geschah während der Unruhen in Ägypten 2011. Und auch die Satellitenbilder von syrischen Fundorten zeigen dramatische Veränderungen nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges.

In der antiken Stadt Dura Europos mit ihrem orthogonalen Straßengitter, gegründet im dritten Jahrhundert vor Christus, scheinen jeder ehemalige Häuserblock und das Gebiet außerhalb der Stadtmauer geradezu umgepflügt. Der Palast von Mari aus dem zweiten und dritten vorchristlichen Jahrtausend und der Siedlungshügel Tell Schech Hamad aus assyrischer Zeit (ab etwa 1350 vor Christus) sind durchlöchert. Und die Gruben sind nur der sichtbare Teil der Zerstörung: Einige dieser Löcher münden in horizontale Tunnel, die direkt in die archäologisch reichhaltigste Schicht führen.

Raubgrabungen in Syrien 2012 - 2014: Interaktive Grafik

Raubgräber zerstören doppelt

Der Schaden, der durch diese illegalen Aktionen entsteht, ist unbezifferbar. Denn der Wert eines archäologischen Objektes lässt sich nicht durch ein Preisschild bemessen. Er besteht in dem, was es uns über das Leben der Menschen in der Vergangenheit erzählen kann. Doch um darüber etwas zu erfahren, braucht ein Objekt seinen Fundkontext. Der wird durch eine Ausgrabung unwiederbringlich zerstört und muss deshalb genau dokumentiert werden.

Umgekehrt kann ein Kontext oft erst durch die Objekte interpretiert werden: Handelt es sich um ein Wohnhaus oder um einen Tempel? Raubgräber zerstören deshalb doppelt: Sie reißen ein Objekt aus seinem Kontext - und sie nehmen dem Kontext, dem Fundort, sein Objekt.

Was die Plünderer in Dura Europos, in Mari und vielen anderen Fundstätten gefunden und mitgenommen haben, weiß niemand - und wenn sie ihre Beute auf den Schwarzmarkt werfen, kann keiner überprüfen, wo sie herkommt.

Deutsche Gesetze machen es dem illegalen Antikenhandel leicht

Wenn aber die Provenienz, also die Herkunft eines Objektes, unklar ist, sollte es nicht verkauft werden dürfen. Eine Unesco-Konvention von 1970 wollte das durchsetzen. Doch als Deutschland die Konvention 2007 endlich ratifizierte, war das Gesetz, mit dem sie in nationales Recht umgesetzt wurde, so lasch, dass Deutschland zu einer Drehscheibe des illegalen Antikenhandels geworden ist.

Denn, so erklärt der Leiter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger im SZ-Interview: "Es werden nur Objekte geschützt, die gelistet sind. Was aber aus Raubgrabungen kommt, das kann sich auf keiner Liste befinden." Und: Bisher ist ein Nachweis des legalen Erwerbs durch den Besitzer nicht notwendig. Stattdessen müssen Ermittler nachweisen, dass jemand eine Antike illegal beschafft hat.

In einem Interview für eine Reportage des NDR brachte es die beim BKA für die Bekämpfung des illegalen Antikenhandels zuständige Sylvelie Karfeld auf den Punkt: "Nach dem deutschen Recht wird ein normales Hühnerei besser geschützt und besser deklariert als die wertvollste Antike."

Zwar besteht für Kulturgüter aus dem Irak und aus Syrien ein Ein- und Ausfuhrverbot in der EU. Doch Insider aus der Kunsthandelsszene berichten von den Tricks, mit denen solche Restriktionen umgangen werden. Hinzu kommt, dass es nicht genug ausgebildete Polizisten gibt. Françoise Bortolotti, Expertin für Kunstraub bei Interpol, beklagte im Dezember 2014 in einem Interview mit der FAZ, viele Zollmitarbeiter würden falsch deklarierte Antiken gar nicht erkennen.

Was die Welt gegen die Vernichtung des Kulturerbes tut

Um diese Missstände zu bekämpfen, hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters für die erste Jahreshälfte 2015 einen Entwurf für ein besseres Gesetz zum Schutz von Kulturgut versprochen, einen "Paradigmenwechsel" nannte sie das auf einer Tagung zum Thema Raubgrabungen und illegaler Handel im Dezember 2014: "Wer in Zukunft Antiken nach Deutschland einführt, braucht für jedes Stück eine gültige Ausfuhrerlaubnis des jeweiligen Herkunftslandes, das bei Einfuhr vorzulegen ist."

Archäologe Michael Müller-Karpe, der schon vor Gericht gegen den illegalen Handel mit Antiken vorgegangen ist, warnt jedoch: Dieses Gesetz dürfe keinen Stichtag beinhalten, der eine Legalisierung aller vor diesem Datum gehandelten Objekte bedeuten würde. So brauchen auch alle vor der Unesco-Konvention erworbenen Stücke keinen Legalitätsnachweis: "Vor 1970 gefunden" - das reicht. Aus dem Büro der Kulturstaatsministerin heißt es dazu auf Anfrage nur: "Details zum Gesetzesentwurf befinden sich derzeit noch in Abstimmung".

Zumindest bis das neue Gesetz in Kraft tritt, bedeutet das für alle, die etwas zum Schutz der Kulturgüter in Irak, Syrien und anderswo tun wollen: Keine Antiken kaufen, deren Herkunft vage als "Aus Mesopotamien" oder "Aus Privatsammlung" angegeben ist. "Wenn es keinen Markt gäbe, gäbe es auch keine Plünderungen", sagt Emma Cunliffe, Archäologin an der Universität von Durham, deren Spezialgebiet die Bewahrung des syrischen Kulturerbes ist.

Inventarlisten gegen den Kulturverlust

Die Unesco, die sich den Schutz des Weltkulturerbes auf die Fahnen geschrieben hat, hat zwar den UN-Sicherheitsrat angerufen, muss die Zerstörungen und Plünderungen aber hilflos mitansehen. "Die Unesco kann nicht physisch da sein, wir haben keine Truppen und wir sind auch nicht beauftragt, diese Orte zu schützen", sagt Axel Plathe, der Direktor des Unesco-Büros für den Irak. "Aber wir versuchen, mit Hilfe der Kuratoren von Museen den illegalen Antikenhandel in den Griff zu bekommen. Dazu erstellen wir zum Beispiel Inventarlisten, damit man die Verluste überhaupt einschätzen kann." Denn nur, wenn man weiß, was da war, kann man auch auflisten, was verschwunden ist - und es im besten Fall im Antikenhandel aufspüren.

Ein ähnliches Ziel verfolgt das Deutsche Archäologische Institut: Seit 2013 arbeitet es zusammen mit dem Museum für Islamische Kunst in Berlin an einem digitalen Register syrischer Kulturgüter.

Initiativen zum Schutz

Zerstörung verhindern können diese Anstrengungen allerdings nicht. Die amerikanischen Streitkräfte riefen deshalb kürzlich eine Neuauflage der sogenannten 'Monuments Men' ins Leben: Während des Zweiten Weltkriegs hatte eine Spezialtruppe versucht, Kunstwerke und Kulturgut zu retten; George Clooney hat den Stoff im vergangenen Jahr ins Kino gebracht. In kleinerem Maßstab soll die geplante Schutztruppe aus Archäologen, Museumstechnikern und verwandten Berufen 2016 in Syrien und dem Irak eingesetzt werden - allerdings nur, wenn die amerikanische Regierung dies beschließt oder die irakischen Behörden darum bitten.

Projekte wie die ebenfalls US-finanzierte Safeguarding the Heritage of Syria Initiative (SHOSI) setzen dagegen bei der lokalen Bevölkerung an: Sie wollen durch Schulung die Syrer selbst befähigen, ihr kulturelles Erbe zu schützen.

Ein geheimes Netzwerk bringt Objekte in Sicherheit

Womöglich am vielversprechendsten könnte aber eine nicht-staatliche Initiative sein: Nach einem Bericht des Wall Street Journal versucht ein geheimes Netzwerk von 200 Menschen in Syrien auf abenteuerliche Weise und unter Einsatz ihres Lebens, die Kulturschätze vor Raub und Zerstörung zu bewahren: Sie fotografieren nicht nur die Zerstörungen, sondern nehmen mitunter auch Objekte an sich, um sie in Sicherheit zu bringen oder zu vergraben.

Internationale Unterstützung bekommen die Kulturgutretter in Syrien unter anderem von der kleinen Nichtregierungsorganisation Heritage for Peace (H4P), die sich als neutral beschreibt und mit allen Seiten verhandelt. Im Interview mit SZ.de spricht H4P von 100 Freiwilligen, die mit Verpackungsmaterial und Geld versorgt werden, um Objekte in Sicherheit zu bringen. Verhandlungen mit der Türkei über einen "sicheren Hafen" für die Objekte seien bislang an rechtlichen Hürden gescheitert.

Außerdem informiert H4P die Menschen in Flüchtlingslagern über das kulturelle Erbe ihrer Heimat, damit sie sich nach ihrer Rückkehr darum kümmern. Das größte Problem, sagt Emma Cunliffe, die auch Mitglied von H4P ist, sei die Finanzierung: "Das meiste Geld fließt in die Flüchtlingshilfe - das ist natürlich gut, aber die Menschen brauchen auch etwas, zu dem sie zurückkehren können."

H4P hat außerdem eine Liste der internationalen Initiativen zum Schutz von Kulturgütern in Syrien veröffentlicht. Konkrete Pläne für direkte Aktionen vor Ort haben die wenigsten. Die meisten von ihnen müssen sich auf Öffentlichkeitsarbeit und Online-Diskussionen beschränken. Eher Schadensverwaltung als Schadensbegrenzung.

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