Tunesien:Krise in einer zerbrechlichen Demokratie

Tunis museum attack

Demo in Tunis nach den Anschlägen: Vor allem von der Zivilgesellschaft Tunesiens hängt es nun ab, ob das Land die junge Demokratie die Krise übersteht.

(Foto: dpa)
  • Vieles spricht dafür, dass der Anschlag in Tunis ein gezielter Angriff auf die Institutionen des Staates war.
  • Damit die noch junge tunesische Demokratie nun nicht zebricht und in blinden Aktionismus gegen den Terror verfällt, ist die in Tunesien stark ausgeprägte Zivilgesellschaft gefragt.
  • Der sehr mächtige Gewerkschaftsbund UGTT etwa hatte schon in der Zeit des Übergangs zur Demokratie maßgeblich dazu beigetragen, dass die Gesellschaft nicht durch Grabenkämpfe zerrissen wurde.

Analyse von Paul-Anton Krüger

Wieder stehen die Tunesier zusammen, wieder gehen sie auf die Straße. Wieder verteidigen sie ihre Demokratie, ihre offene Gesellschaft. Mit spontanen Demonstrationen reagierten sie am Mittwochabend auf den Anschlag im Herzen der Hauptstadt. Auf der zentralen Avenue Bourguiba in Tunis versammelten sich Tausende, auch in Sousse und Monastir protestierten die Menschen gegen den Terror.

So hatte das Land schon reagiert, als Islamisten im Februar 2013 den linken Oppositionellen Chokri Belaïd ermordet hatten. Hunderttausende zeigten dem Terror die Stirn - und der damaligen Regierung, deren Umgang mit den Militanten sie als zu lax betrachteten. Nicht anders war es im Juli desselben Jahres nach dem Mord an Mohammed Brahmi, einem weiteren linken Politiker.

Nun töteten die beiden Attentäter laut dem Gesundheitsministerium mindestens 23 Menschen, identifiziert waren 20 ausländische Touristen und zwei Tunesier. Ein spanisches Paar hat sich offenbar auch nach Ende der Schießereien die Nacht über im Nationalmuseum Bardo versteckt. Die beiden sowie ein weiterer Tunesier seien erst am Donnerstagmorgen aus ihrem Versteck im Museum gekommen, berichtete der Radiosender Mosaique FM.

Abgeordnete berieten gerade über Antiterror-Gesetz

Auch wegen der Nähe zum Nationalfeiertag an diesem Freitag sahen die Tunesier in dem Attentat sofort einen Anschlag auf die politische Ordnung, die sie vor vier Jahren in der Revolution erkämpften - und Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden sprechen dafür, dass die Attentäter genau das beabsichtigten. Yassine Laabidi und Hatem Khachnaoui, heißt es in Tunis, hatten das Parlament zum Ziel. Die Abgeordneten berieten dort gerade über ein Antiterror-Gesetz. Das spricht für einen gezielten Angriff auf die Institutionen des Staates.

Die tunesischen Sicherheitsdienste hatten zumindest einen der Männer auf dem Radar, auch wenn sie ihn nicht einer der bekannten Terrorgruppen zurechnen. In einer dreiminütigen Audiobotschaft, die am Abend im Internet auftauchte, bekannte sich die Terrormiliz Islamischer Staat zu dem Anschlag; die Echtheit der Botschaft ließ sich zunächst nicht bestätigen. Innenminister Rafik Chelli erklärte jedoch, dass die beiden Täter in einem Dschihadistenlager in Libyen ausgebildet worden seien. Angeworben wurden sie demnach zunächst in Moscheen in Tunesien. Es gab aber auch Indizien, dass sie möglicherweise al-Qaida im Maghreb angehörten. Auch wurden nach offiziellen Angaben neun weitere Verdächtige festgenommen. Vier von ihnen sollen "in direkter Verbindung" mit dem Attentat stehen.

Unklar ist weiter, ob die Attentäter sich spontan gegen die Touristen wandten, die das neben dem Parlament gelegene Museum besuchten, etwa weil sich ihnen Sicherheitsleute in den Weg stellten - oder ob das von vornherein Teil ihres teuflischen Plans war. So oder so, ihre grausame Tat, die nicht allein von der Opferzahl den Anschlag von Djerba 2002 mit 21 Toten übertrifft, stellt die junge Demokratie vor ihre schwerste Bewährungsprobe. Sie stürzt das Land tief in die Krise.

Eine noch zerbrechliche Demokratie

Parlamentspräsident Mohamed Ennaceur appellierte an die nationale Einheit, forderte seine Landsleute zu einem Marsch gegen den Terror auf und kündigte einen nationalen Tag der Solidarität unter Beteiligung aller politischen Parteien an. Was Tunesien auf dem Weg zur Demokratie erreicht hat, ist noch zerbrechlich.

Gerade sechs Wochen ist es her, dass die Nationalversammlung der Regierung unter dem parteilosen Premier Habib Essid das Vertrauen ausgesprochen hat. Sie vereint ein breites Spektrum politischer Parteien, auch wenn Präsident Béji Caïd Essebsi von der säkularen Sammlungsbewegung Nidaa Tounes zunächst versucht hatte, die Islamisten außen vor zu halten. Allerdings wurde bald klar, dass Premier Essid unter diesen Bedingungen im Parlament keine Mehrheit erhalten würde. Letztlich durften die Islamisten doch mitmachen - wenn auch nicht in führender Rolle. Aber sie sind immerhin die zweitstärkste Partei. Im Gegensatz etwa zu Ägypten oder Syrien gab es in Tunesien bisher keine ethnischen oder religiösen Spannungen.

An der Einigung hatten Kräfte mitgewirkt, die schon in den vier turbulenten Jahren des Übergangs entscheidenden Anteil daran hatten, ein Auseinanderreißen des Landes zu verhindern: der mächtige Gewerkschaftsbund UGTT und seine Verbündeten. Es ist die große Stärke der tunesischen Gesellschaft, dass es auch jenseits der Parteien in der Zivilgesellschaft starke Akteure gibt. Nur sie konnten den nationalen Dialog erzwingen. Für Donnerstag riefen sie zu einem Trauermarsch auf. Sie wollten gegen den Terror protestieren, zugleich aber die Einhaltung der Menschenrechte bei dessen Bekämpfung einfordern.

"Gnadenloser Kampf" gegen Terror

Das scheint auch eine Reaktion auf martialische Ankündigungen des Präsidenten zu sein. Der hatte unter dem Eindruck des Attentats einen "gnadenlosen Kampf" gegen den Terror ausgerufen. "Ich möchte, dass das tunesische Volk versteht, dass wir uns in einem Krieg gegen den Terrorismus befinden", sagte er beim Besuch von Verletzten, Tunesien müsse "eine Generalmobilmachung beginnen und die Terroristen endgültig ausschalten". Tunis kämpft schon seit Längerem gegen stärker werdende dschihadistische Gruppen im Land.

Im Chambi-Massiv nahe der Grenze zu Algerien kommt es regelmäßig zu Gefechten mit militanten Islamisten, die ihrerseits immer wieder Sicherheitskräfte angreifen. Dutzende Polizisten und Soldaten verloren dabei bereits ihr Leben. Selbst in der Hauptstadtregion heben die Behörden regelmäßig Terrorzellen aus. Salafisten haben in dem nordafrikanischen Land zudem sehr erfolgreich Kämpfer für die Terrormiliz Islamischer Staat rekrutiert; nach offiziellen Angaben 3000, von denen 500 wieder nach Tunesien zurückgekehrt sind.

Eine Strategie zum Umgang mit ihnen über die Strafverfolgung und die Befragung durch die Geheimdienste hinaus habe die Regierung nicht, beklagen Aktivisten. Manch einer befürchtet, dass Tunesien nun in rücksichtslose Repression verfällt. Damit hätten die Terroristen wohl ihr Ziel erreicht: das Land in einen Krieg zu ziehen, den es nicht gewinnen kann, der aber die Demokratie in Tunesien und die offene Gesellschaft langsam zerfressen würde.

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