Schuldenkrise:EU-Gipfel im Zeichen von Zeige- und Mittelfinger

Inside The Hellenic Stock Exchange As Greece Parliament Votes On Presidency

Schwerer Gang: Ein Fußgänger erklimmt die Stufen zum griechischen Parlament am Athener Syntagma-Platz.

(Foto: Kostas Tsironis/Bloomberg)
  • Beim EU-Gipfel in Brüssel zeigen sich Teilnehmer verärgert, dass sie nicht zum anschließenden Sondertreffen zur Schuldenkrise in griechenland eingeladen sind.
  • Bundeskanzlerin Angela Merkel dämpft von vorneherein die Erwartungen: Substantielles sei nicht zu erwarten.
  • Der Präsident des Europäischen Rats Donald Tusk fordert, konfrontative Diskussionen zu beenden. Griechenlands Minsiterpräsident Tsipras sorgt für Unmut als er erklärt, sein Land habe die Reformauflagen doch bereits erfüllt.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Zuerst war es die Sache mit dem Finger, die in Brüssel für Verwirrung sorgte. Echt oder nicht? Wer hat das Copyright? Dürfen wir das senden? Die Europäische Fernsehunion sah sich kurz vor Beginn des EU-Gipfels am Donnerstag einem Ansturm nationaler TV-Sender ausgesetzt, die nur eines wissen wollten: Ist der ausgestreckte Mittelfinger, den der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis in einem bei der ARD-Talkshow von Günter Jauch ausgestrahlten Videoclip zeigt, echt - oder in der Retusche entstanden und mithin schwer verständliche deutsche Ironie?

Sollte die Gemeinschaft ein Land verlieren, will es keiner keiner gewesen sein

Der Wirbel um den Finger stand symbolisch für die Frustration, welche die seit Wochen andauernden, taktisch motivierten Diskussionen über die Krise in Athen ausgelöst haben. Jeder zeigt mit dem Finger auf den anderen. Die Wortmeldungen kreisen vor allem darum, wer letztlich dafür verantwortlich ist, dass das dramatisch verschuldete Land beinahe täglich näher an die Zahlungsunfähigkeit und damit den Ausstieg aus der Währungsunion rutscht. Keiner will es gewesen sein, sollte es so weit kommen, dass die Gemeinschaft erstmals ein Land verliert. Niemand übernimmt es, die Gemeinschaft zu führen.

Ärger über das Sondertreffen zur griechischen Schuldenkrise

Das Gipfeltreffen ging geradezu schlafwandlerisch nach diesem Schema weiter. Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, hatte den griechischen Premier am Morgen in einem Radiointerview aufgefordert, nicht wie ein Parteipolitiker, sondern wie ein Regierungschef aufzutreten. Man meinte, den ausgestreckten Zeigefinger sehen zu können. Zu Beginn des Gipfels gab sich Schulz wenig Mühe, seinen Ärger zu verbergen, nicht zum Sondertreffen zu Griechenland in kleinem Kreise eingeladen worden zu sein, das später am Abend stattfinden sollte. Kaum hatte Schulz mehr demokratische Kontrolle reklamiert, sprang der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann dem Parteifreund bei. Zwar sei auch Österreich als Euro-Land nicht eingeladen, aber wenigstens das Europäische Parlament müsse dabei sein. In diesem Ton ging es 30 Minuten weiter.

Tsipras versteht nicht, warum keine Finanzhilfen gezahlt werden

Dann sorgte der griechische Premierminister dafür, dass die Geräusche erstarben. Er würde gern ein Missverständnis aufklären, habe sich Alexis Tsipras an Donald Tusk, den EU-Ratspräsidenten und Cheforganisator des Gipfeltreffens gewandt, berichtete ein Teilnehmer. Er verstehe nicht, so Tsipras, warum keine weiteren Finanzhilfen gezahlt würden, er habe doch alles erfüllt. Es folgte ratloses Schweigen. Und überhaupt: Die Vertreter von EU-Kommission, Zentralbank und Währungsfonds würden "mit roten Karten wedeln", sagte er laut einer Erklärung aus Athen.

Tusk war noch kurz vor Gipfelbeginn Tsipras beigesprungen. Die Chefs sollten bitte im Falle Griechenlands die "konfrontativen Diskussionen" beenden, hatte er gefordert. Er habe es als " Verpflichtung" angesehen, Tsipras zu helfen, einen informellen Dialog mit Kreditgebern und europäischen Institutionen zu organisieren. Seine Erwartung an das Treffen? Nicht vorab, bitte. "Aber danach ausführlich."

Merkel dämpft die Erwartungen

Das mit den Erwartungen hatte dann die Bundeskanzlerin bei ihrer Ankunft gründlich erledigt. Sie zeigte keinerlei Interesse, über Substanzielles zu reden. "Erwarten Sie keinen Durchbruch. Das ist nicht der richtige Rahmen", sagte sie. Die Euro-Gruppe entscheide. Deren Leiter Jeroen Dijsselbloem merkte seinerseits an, man brauche jetzt eine Lösung, "die Zeit läuft ab". Frankreichs Präsident François Hollande hatte offenbar kein Bedürfnis, sich einzumischen. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kam mit einem Kompromiss und der Skepsis zum Treffen, ob es überhaupt Gelegenheit geben würde, das Papier auf den Tisch zu legen. "Wir haben eine schwierige und ernste Situation, und niemand übernimmt die politische Führung", klagte ein EU-Diplomat.

Nicht nur das dänische Fernsehen behalf sich angesichts des Chaos damit, über die deutsche TV-Show zu berichten, "die wilde Verwirrung über einen griechischen Mittelfinger schuf".

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