Neues Ermittler-Team beim Tatort:Auf Gedeih und Verderb

Tatort Berlin/rbb; Mark Waschke und Meret Becker

Mark Waschke als Kommissar Robert Karow und Meret Becker als seine Kollegin Nina Rubin.

(Foto: Frédéric Batier/rbb)

Die Neuen in Berlin: Meret Becker und Mark Waschke ermitteln nun beim "Tatort" in der Hauptstadt. Von den Figurenprofilen waren die beiden Schauspieler erstmal nicht begeistert.

Von David Denk

Treffen sich zwei Teletubbies. Sagt der eine zum anderen: "Wollten Sie nicht erst in zwei Tagen kommen?" Antwortet der andere: "Überraschung!" Halt, Moment, Teletubbies? Diese beiden Polizisten mögen zwar drollig aussehen in ihren weißen Ganzkörperschutzanzügen mit den blauen Einwegüberschuhen, doch das hier ist deutlich nicht das Kinderprogramm. Das ist ernst. Die Lächerlichkeit ihres Aufzugs steht in krassem Widerspruch zur Angespanntheit, ja Aggressivität zwischen den beiden.

Die Setzung ist klar: Das hier ist weder ein bis zur Bräsigkeit eingespieltes Team noch Liebe auf den ersten Blick - auf den zweiten wohl auch nicht. "Wir haben es hier mit zwei Solisten zu tun, die durch ihren Beruf aneinandergekettet sind", sagt Regisseur Stephan Wagner, der "Das Muli" inszeniert hat, den ersten Fall der Berliner Tatort-Kommissare Nina Rubin (Meret Becker) und ihres neuen Kollegen Robert Karow (Mark Waschke). Er sei, in Arbeitsteilung mit Drehbuchautor Stefan Kolditz (Unsere Mütter, unsere Väter), "Geburtshelfer für die Tonalität der Figuren", sagt Wagner. Seine Aufgabe sei es, "die Behauptungen des Buches in der Inszenierung zu überprüfen und zu verstärken, damit die Figuren für den Zuschauer spürbar werden."

Ein Mädchen, 13 Jahre alt, blutverschmiert, irrt über den Ku'damm

Gewissermaßen kann man sogar sagen, dass Wagner den Wachwechsel vorbereitet hat, zeichnete der dreifache Grimme-Preisträger doch auch schon für Buch und Regie von Gegen den Kopf verantwortlich, einen der letzten und besten Filme des Vorgängerduos Ritter und Stark. An diesen verstörenden Zivilcourage-Tatort knüpft "Das Muli" an, mit einem noch schonungsloseren Blick auf das Leben in Deutschlands einziger Großstadt.

Der Film beginnt damit, dass ein Mädchen, 13 Jahre alt, blutverschmiert und wehklagend, über den Ku'damm irrt. Später wird sich herausstellen, dass es als Drogenkurier missbraucht wurde, eine Freundin an den im Darm geplatzten Kokainpäckchen verreckt ist. So herzzerreißend es auch greint - niemand beachtet das Mädchen. Für Karow-Darsteller Mark Waschke ist die Szene "erschreckend real": "Jeder, der öfter in Berlin U-Bahn fährt, weiß, wie sich alle nur wegdrehen, wenn sie mit Elend konfrontiert werden."

Ein dritter, fulminanter Hauptdarsteller: Berlin

Doch die Großstadt als empathiefreier Raum ist nicht mehr als ein Nebenaspekt dieses Films; der neue Berliner Tatort hat vor allem ein Thema - Berlin - und dadurch ganz viele Themen. Die Stadt sei "dritter Hauptdarsteller", schreibt RBB-Intendantin Dagmar Reim im Presseheft. Ein preisverdächtiger Hauptdarsteller: So vielschichtig hat sich Berlin zuletzt in der fulminanten ZDF-Polizeiserie KDD präsentiert, mit der "Das Muli" auch das hohe Tempo verbindet. Und der horizontale Erzählbogen.

Denn - bei KDD noch exotisch im deutschen Fernsehen, mittlerweile aber beim Polizeiruf in Rostock und beim Dortmunder Tatort erprobt - die Berliner Beiträge sollen künftig nicht mehr in sich abgeschlossen sein, sondern den jeweiligen Mordfall mit einer episodenübergreifenden Geschichte verbinden. Die vorherrschende Frage im Berliner Tatort ist: Was hat Karow mit dem Tod seines früheren Partners im Drogendezernat zu tun? Hat er ihn womöglich selbst auf dem Gewissen?

Wie leben die Leute und wie gehen sie miteinander um?

Die beiden Hauptdarsteller, also die ersten beiden, haben genau deshalb zugesagt. "Ich finde es spannend, im Gewand eines gut erzählten Krimis den Fokus auf die Frage zu legen: Wie leben die Leute und wie gehen sie miteinander um?", sagt Mark Waschke. Er hofft nun darauf, "dass das ganze Drumherum, die privaten Umstände und Verwicklungen, auch künftig eine ebenso große Bedeutung für den jeweiligen Film behalten wie der eigentliche Fall". So offen beide für Experimente mit dem Format sind: Ihr Horrorszenario, sagt Meret Becker, wäre das "zwanghaft Andersartige, wo man vor lauter Mätzchen vergisst, dass man eigentlich Menschen erzählt."

Weil, anders als bei den hochgelobten US-Serien, beim Tatort Regisseure und Autoren von Film zu Film wechseln und es auch keinen Showrunner gibt, der die Handlungs- und Figurenentwicklung überwacht, fällt die Rolle der Konstante den Redakteuren beim Sender zu. Der an der Berliner Schaubühne sozialisierte Waschke, der seit acht Jahren verstärkt dreht, hat mit den Sendern bisher durchwachsene Erfahrungen gemacht. So habe es ihn erschreckt, "wie unterentwickelt das Reden über Stoffe und Figuren in Deutschland ist, wie in Gesprächen mit Kategorien wie 'sympathisch' oder 'unsympathisch' herumgeworfen wird. Dabei weiß doch jeder, der nur einmal in Robert McKees Story reingelesen hat, dass Figuren vor allem empathisch sein müssen, damit der Zuschauer nachvollziehen und nachfühlen kann, warum sie sich verhalten, wie sie sich verhalten."

Tatort: Das Muli

"Erschreckend real": Emma Bading in "Das Muli", dem neuen Berliner Tatort.

(Foto: rbb/Frédéric Batier)

Das sei beim Berliner Tatort glücklicherweise anders gewesen - auch wenn Waschke mit den vom RBB veröffentlichten Figurenprofilen seine Probleme hat. "Er kommt aus dem Osten, sie aus dem Westen. Er der kühle Analytiker, sie Herz und Schnauze", fasst er zusammen. "Als ich das las, dachte ich mir, okay, ich finde spannend, was ihr mit uns vorhabt, aber das ist mir zu hölzern, zu schablonenhaft. Wir spielen doch keine Figurenkonzepte, sondern Figuren." Aber, räumt Waschke ein, "was wirklich entscheidend ist, kannst du sowieso in kein Konzept reinschreiben." Also komme den Schauspielern eine besondere Verantwortung als Hüter ihrer Figuren zu. "Wir sind diejenigen, die den Arsch hinhalten", sagt Waschke. "Mir wird mehr und mehr klar, was das bedeutet." Und Meret Becker, die das Reden eher ihrem aufgedrehten Kollegen überlässt, ergänzt: "Ich würde Schauspieler nicht so reinquatschen lassen, wie man uns reinquatschen lässt." Was natürlich nicht heißt, dass sie sich die Gelegenheit entgehen lässt.

Grundverschiedene Schauspielertypen

Meret Becker, 46, und Mark Waschke, 43, die sich vor dem Casting für den Berliner Tatort nur zweimal über den Weg gelaufen sind, stehen für grundverschiedene (Schauspieler-)Typen und sind damit für Regisseur Wagner, der das Drehbuch für den zweiten Fall schreiben wird, der im Frühjahr gedreht wird, "eine Spiegelung der Strömungen in dieser Stadt, ganz unterschiedliche Verkörperungen des besonderen Berliner Lebensgefühls". Mit den Konnotationen, die sie beim Zuschauer auslösen, "dem ganz persönlichen Rucksack, den jeder Schauspieler mitbringt", seien die beiden genau die Richtigen für ihre Rollen und somit nicht so einfach austauschbar.

Erstaunlich einig sind sich die so Gegensätzlichen in ihrer Distanz zum Mythos Tatort. Es ist auch eine Machtfrage - das klare Signal: Der Tatort braucht uns mehr als wir ihn. Die Anfrage habe bei ihm "keine spontanen Begeisterungsstürme ausgelöst", sagt Waschke, erst die Gespräche hätten ihn überzeugt. Und Meret Becker, die sich eher im Kino und in der Musik zu Hause fühlt, ist sich der Ehre durchaus bewusst, gefragt worden zu sein, schließlich sei eine Hauptrolle im Tatort für viele Kollegen das "Nonplusultra", aber sie habe ihre "Probleme damit zu wissen, dass ich künftig zweimal im Jahr blockiert bin." Der Tatort sei ein Korsett, "wenn auch längst nicht mehr so ein enges wie das, das Kollegen wie Ulrike Folkerts einschnürt, die in einer anderen Zeit Kommissare wurden und stark auf diese Rolle festgelegt sind." Manchmal zweifle sie immer noch, sagt Becker: "Es ist nicht so, dass ich mit meiner Entscheidung nur im Reinen wäre."

Es ist auch diese demonstrative (innere) Unabhängigkeit, die Meret Becker und Mark Waschke bei Arbeitsgesprächen in die Waagschale werfen werden. "Der RBB weiß schon, dass er sich mit uns zwei anarchische Querköpfe ins Haus geholt hat", sagt Becker. Intensive Diskussionen sind programmiert. Die Redaktion wird also auf jeden Fall noch viel Spaß mit ihren neuen Kommissaren haben - der Zuschauer wohl auch ganz unironisch. Die Ausgangslage könnte besser kaum sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: