Front National:Jeder dritte Franzose vertraut den Rechten

France's far-right National Front political party leader Marine Le Pen delivers a speech during a political rally in Six-Fours

Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National, kann auf einen Wahlsieg am Sonntag hoffen.

(Foto: REUTERS)
  • Umfragen zufolge will jeder dritte Franzose bei den Departements-Wahlen an diesem Sonntag für den rechtsextremen Front National stimmen.
  • Die Etablierung in der Mitte der Gesellschaft ist der wichtigste Erfolg für Parteichefin Marine Le Pen.
  • Le Pen genießt es, wie Sozialisten und Konservative auf sie eindreschen.

Von Christian Wernicke, Savigny-sur-Orge

Alle greifen zu. Der alte Herr im grauen Anorak, auf dem Weg zum Gemüsehändler, lässt sich die kleine Wahlbroschüre zustecken. Auch die junge Blondine im Jogginganzug, die drüben am Marktstand von Savigny-sur-Orge Baguettes gekauft hat, nimmt das Papier von Michel Fesler gern an: "Merci Monsieur!"

Der lokale Kandidat des Front National schafft es sogar, mit den beiden Jugendlichen, die schnell den Vorstadtzug nach Paris erwischen müssen, kurz über Politik zu reden. Oder darüber, was sie dafür halten: "Alles Betrug, was die Regierung macht. Egal, ob Hollande oder Sarkozy der Präsident ist - sie bescheißen uns!" Die FN-Propaganda stecken sie gern ein. "Für die Fahrt." Niemand sagt Nein. Oder doch?

Fesler, der 54 Jahre alte Front-Aspirant in schwarzer Windjacke und Jeans, geht auf eine große, schwarze Frau zu. Die Einwanderin aus Westafrika prüft mit ihren drei Töchtern am Stand billige Sonnenbrillen. "Sie sind vom Front National?" - "Oui, Madame!"- "Interessant!" Auch dieser Dialog währt keine Minute. Aber am Ende ruft Madame ihr Fazit laut über den Platz: "Sie haben recht, und ich sage das als Französin: Es muss sich etwas ändern!"

Der Front wird massiv zulegen

Fesler lächelt zufrieden. "So geht das ständig", versichert der Kandidat, "die Zeiten, da man uns für Rassisten hielt, sind endlich vorbei." Fesler ist politischer Novize. Vor dreißig Jahren wählte er die Sozis, später bevorzugte der Besitzer einer Spedition für Gefrierwaren die konservative UMP. Nun will er dabei helfen, in Savigny "ein Erdbeben" auszulösen: Im ersten Wahlgang zu den Departements-Wahlen an diesem Sonntag könnte die Le-Pen-Partei die meisten Stimmen ergattern.

In Essonne, dem bisher roten, von den Sozialisten regierten Departement südlich von Paris, dürfte das nicht ganz gelingen. Hier gilt die UMP von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy als Favoritin. Aber der Front wird massiv zulegen, überall: Beinahe jeder dritte Franzose will laut Umfragen für den FN votieren.

Unter Marine Le Pen, seit 2011 Parteichefin, ist der FN in den Augen einer Mehrheit der Franzosen zu einer normalen Partei geworden. 56 Prozent geben an, die einst verpönten Rechtsextremen seien "eine Partei wie alle anderen". Mehr als ein Drittel (36 Prozent) und fast die Hälfte aller Jungwähler (47 Prozent) glauben sogar, die Le-Pen-Truppe verkörpere "die Werte der Republik". Diese Entteufelung, diese Normalisierung ist der wichtigste Erfolg für Marine Le Pen, die davon träumt, 2017 Präsidentin zu werden.

Dabei helfen ihr Leute wie Fesler. Der FN-Kandidat aus Savigny ist mit einer Chinesin verheiratet; Plakate klebt für ihn ein aus Algerien zugezogener Freund und Angestellter.

Entsetzen über die "Normalisierung" der Rechten

Front National: Genügend Gründe für gute Laune: Marine Le Pen.

Genügend Gründe für gute Laune: Marine Le Pen.

(Foto: Reuters)

Am gereinigten Ruf der Partei ändert auch nichts, dass sich unter den 3800 FN-Kandidaten zunächst ein Dutzend rückfällige Bewerber fanden: Nach rassistischen Bemerkungen gegen Juden wie Muslime oder nach Affen-Witzen über Frankreichs schwarze Justizministerin Christiane Taubira wurden sie von der Partei zum Verzicht gezwungen. Le Pen polierte den Imageschaden gleich mit einer neuen Umfrage auf: 73 Prozent der Bürger in jenen zehn Städten, die bei den Kommunalwahlen vor einem Jahr dem FN die Mehrheit im Rathaus schenkten, sind heute "ganz oder überwiegend zufrieden" mit ihren neuen Bürgermeistern. Der Front National wird zum Front Normal.

Es gibt Franzosen, die diese "Normalisierung" entsetzt. Einer, der das laut sagt, ist Manuel Valls: Er habe "Angst, dass mein Land am FN zerschellt", hat der sozialistische Premierminister neulich bekannt. Gegen den Rat vieler PS-Parteifreunde, die den Chef einer unpopulären Regierung vor einer "Nationalisierung des Wahlkampfes" warnten, wettert Valls fast jeden Tag gegen den FN. Das europafeindliche Wirtschaftsprogramm, so Valls, würde "Frankreich ruinieren", der Populismus der Le-Pen-Partei "täuscht die kleinen Leute." Valls kennt die Umfragen, er weiß, dass seine sozialistische Partei spätestens im zweiten Wahlgang am 29. März etwa 40 der 61 von den Sozialisten derzeit regierten Departements verlieren wird.

"Den Krieg, davor habe ich keine Angst"

Auch Nicolas Sarkozy, der in die Politik wiedergekehrte Ex-Präsident, warnt vor dem Front National. Darüber freilich, dass Valls Angst vor dem FN bekundet, höhnt der Chef der rechts-bürgerlichen UMP: Der Premier solle "lieber regieren als ständig große Reden zu schwingen". Nur, zu viel Zurückhaltung mag auch Sarkozy nicht üben. Mitte dieser Woche erklärte er das Duell mit Marine Le Pen zu einem Motiv für seine Rückkehr in die politische Arena: "Ich bin seit zehn Jahren ihr wichtigster Gegner, sie hat begriffen, dass ich das Hindernis bin", sprach Sarkozy. "Den Krieg, davor habe ich keine Angst - den wird sie haben!"

Zugleich beginnt Sarkozy, Positionen seiner Erzfeindin zu kopieren. Zur Überraschung seiner eigenen Partei etwa sprach sich der neue UMP-Vorsitzende dafür aus, das Kopftuch-Verbot auf Universitäten auszuweiten. Oder zu verbieten, dass die Kantinen staatlicher Schulen muslimischen Kindern ein Ersatzessen für Schweinefleisch-Gerichte anbieten. Er habe, so versichert Sarkozy, dazugelernt: "Statt Integration müssen wir zu einer Politik der Assimilation übergehen."

Die FN-Chefin genießt es sichtlich, wie die etablierten Parteien auf sie einschlagen: "Der FN ist zum Mittelpunkt dieser Wahl geworden", triumphiert sie. Zugleich helfen ihr die Attacken, den FN "als Opfer des Systems" von UMP und PS darzustellen. Dass Sarkozy jetzt nach rechts rückt und FN-Ideen aufgreift, erfüllt sie mit Genugtuung. Ihre Partei wirkt normaler denn je.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: