Unterdrückung der Pressefreiheit:"Auf der Krim gelten keine Gesetze"

Ein Jahr nach dem Anschluss der Krim an Russland

Ein Jahr nach dem Anschluss der Krim an Russland beklagt Reporter ohne Grenzen die Unterdrückung von unabhängigen Journalisten.

(Foto: dpa)
  • Sie werden bedroht, verhaftet, unter Druck gesetzt: Ein Jahr nach der Annexion der Krim beklagt "Reporter ohne Grenzen" die schwierige Lage für Journalisten auf der Halbinsel.
  • Der Fernsehproduzent Alexander Jankowski ist wie viele kritische Journalisten nach Kiew geflohen und weist auf Willkür und Unterdrückung in seiner Heimat hin.
  • Dennoch versuchen unabhängige Medien weiterhin, über die Verhältnisse auf der Krim zu berichten - wenn auch mit großen Schwierigkeiten.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Eingehakt laufen sie die Straße entlang, als wären sie ein Liebespaar. Die Handykameras verstecken die Reporter unter den Mänteln, filmen heimlich, damit niemand merkt, was sie tun. Es ist ungemütlich geworden für kritische Journalisten auf der Krim, das erzählt Alexander Jankowski in der Geschäftsstelle von "Reporter ohne Grenzen" in Berlin: "Ich weiß nicht, wie lange unsere Korrespondenten ihre Arbeit noch machen können."

Jankowski ist TV-Produzent und arbeitet für den ukrainischen Fernsehsender Chernomorskaya TV, bis vor Kurzem der größte unabhängige Sender der Krim. Vor ziemlich genau einem Jahr jedoch besetzten russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen die Krim, die eigentlich zur Ukraine gehört. Danach wurden dort alle ukrainischen Fernsehsender aus dem Kabelnetz genommen, ihre Ausrüstung und ihr Besitz beschlagnahmt. Einfach so, ohne Entschädigung. "Auf der Krim gelten keine Gesetze", sagt Jankowski. Chernomorskaya TV zog nach Kiew um, auch Jankowski verließ seine Heimat.

Journalisten arbeiten im Geheimen

Heute läuft auf der Krim über Kabel nur noch russisches Staatsfernsehen. Lediglich der krimtatarische Sender ATR durfte bleiben. Auch Zeitungen in ukrainischer Sprache werden nicht mehr auf die Insel geliefert. Chernomorskaya TV können die Bewohner der Krim nur noch über Satellit empfangen.

"Reporter ohne Grenzen" beurteilt die Verhältnisse auf der besetzten Insel kritisch. Journalisten würden eingeschüchtert, an ihrer Arbeit gehindert, verhaftet und unter Druck gesetzt. Drei Korrespondenten hat Chernomorskaya TV dort noch, drei Journalisten die ihrer Arbeit im Geheimen nachgehen müssen. "Als Zeitungsjournalist geht das vielleicht noch, als Radioreporter wird es schon schwieriger, weil man hin und wieder etwas aufnehmen muss", sagt Jankowski. "Als Fernsehjournalist ist es ganz schwierig, weil es selbst bei Handykameras auffällt, wenn jemand ständig filmt."

Seine Kollegen sind nicht die Einzigen, die Schwierigkeiten mit dem Krim-Regime haben. Am 26. Januar 2015 etwa durchsuchten bewaffnete Uniformierte die Büroräume von ATR in Simferopol. Die Männer beschlagnahmten Server und andere Geräte, unterbrachen den Sendebetrieb.

Dabei habe sich ATR, so sagt es Jankowski, zunächst mit den neuen Machthabern arrangiert, sich angepasst - um nicht wie die ukrainischen Sender geschlossen zu werden. "Doch anscheinend nicht genug", sagt Jankowksi. Den Journalisten wurde in den vergangenen Monaten vorgeworfen, "Misstrauen gegen die Staatsmacht" und "russlandkritische Haltungen zu fördern".

Kritiker der Annexion fliehen

Auch Mitarbeiter tatarischer Zeitungen bestellte der russische Geheimdienst in den vergangenen Monaten mehrmals ein und verwarnte sie, beklagt "Reporter ohne Grenzen". Das Haus einer Bloggerin und Mitarbeiterin von Krym.Realii - einem Projekt von Radio Liberty, an dem auch Jankowski mitarbeitet - wurde im September 2014 von der Anti-Extremismus-Abteilung der Krim durchsucht. Die Bloggerin wurde stundenlang zu ihren russlandkritischen Berichten verhört. Sie floh schließlich von der Krim, wie viele andere Oppositionelle und Journalisten.

Sie erleiden nun das Schicksal vieler Exil-Journalisten und -Schriftsteller. Sie wollen berichten über das, was in ihrer Heimat geschieht, wollen Kritik üben und dadurch an den Machtverhältnissen rütteln. Doch gleichzeitig sind sie selbst abgeschnitten von den Ereignissen, sind auf Quellen und Mitarbeiter angewiesen, die wiederum eine Verhaftung riskieren.

"Ich höre oft: Was erzählst du da vom Leben auf der Krim, du sitzt doch in Kiew", sagt Jankowski. "Aber zurück kann ich nicht, weil ich dann wohl ins Gefängnis käme." Das könne auf der Krim schon aus geringerem Grund passieren, sagt der Journalist. Zwei Bekannte von ihm seien kürzlich zu Sozialstunden verurteilt worden, nur weil sie einen Anstecker in den ukrainischen Nationalfarben Gelb und Blau an ihren Jacken gehabt hätten - wegen des Tragens "extremistischer Symbole".

Ziel der Machthaber auf der Krim sei es, kritische Journalisten und Oppositionelle zu vertreiben, sagt Jankwoski. Mit einigem Erfolg, wie man an seiner eigenen Redaktion sehen kann. Zurück bleiben die, die ohnehin lieber zu Russland gehören möchten, sich über die höheren Renten freuen und die neue Regierung in Kiew für Faschisten halten. Denn die gibt es natürlich auf der Krim, das muss auch der Journalist zugeben. Oder diejenigen, die sich arrangiert haben mit den neuen Verhältnissen. Und lieber still abwarten, als ihre Heimat zu verlassen.

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