Bestattung von Richard III.:England feiert einen toten König - und sich selbst

Bestattung von Richard III.: Zehntausende strömen am 23. März zur Kathedrale von Leicester, um einen kurzen Blick auf den Sarg von Richard III. zu werfen.

Zehntausende strömen am 23. März zur Kathedrale von Leicester, um einen kurzen Blick auf den Sarg von Richard III. zu werfen.

(Foto: AP)

Die Gebeine von König Richard III. werden unter großem Trubel erneut bestattet. Weil die Engländer wie kaum eine andere Nation ihre Identität aus ihrer Geschichte beziehen.

Kommentar von Christian Zaschke, London

Das kann sich wirklich nur in England abspielen: Eine Frau läuft über einen Parkplatz in Leicester, hat dort das starke Gefühl, die Gebeine des vor mehr als 500 Jahren getöteten Königs Richard III. könnten unter dem Asphalt liegen, sie bewegt in jahrelanger Überzeugungsarbeit die örtliche Universität dazu, eine Ausgrabung zu beginnen und siehe da: Am ersten Tag der Grabung findet sich das Skelett des Königs. Diese irrwitzige Geschichte kommt an diesem Donnerstag zu ihrem Ende, wenn die Gebeine Richards erneut bestattet werden.

Seit der Entdeckung der Knochen im Jahr 2012 ist nicht nur das Medieninteresse gewaltig. Mehr als 100 000 Menschen haben das im vergangenen Juli eröffnete Richard-III.-Zentrum besucht, das unter anderem einen Blick in die Grube bietet, in welcher der König so lange geruht hatte.

Begeisterung an der Grenze zur Hysterie

In den vergangenen Tagen sind Zehntausende zur Kathedrale von Leicester gepilgert. Geduldig standen sie stundenlang an, um einen kurzen Blick auf den Sarg werfen zu dürfen, der seit Sonntag in dem Gotteshaus aufgebahrt war. Die Stimmung schwankte zwischen feierlicher Ergriffenheit und aufgekratzter Freude. Eine Besucherin erzählte unter Tränen, sie habe tatsächlich eine Karte für die Umbettungszeremonie an diesem Donnerstag erhalten; das bedeute ihr alles.

Die große Begeisterung für Richard ist ein Phänomen, bei dem einiges zusammenkommt. Natürlich hat das Fernsehen mit seiner ausführlichen Berichterstattung dazu beigetragen, die bestehende Begeisterung so weit anzufachen, dass sie bisweilen an Hysterie grenzt. Natürlich hat der Bürgermeister von Leicester umgehend erkannt, dass hier für seine wirklich nicht sehr hübsche Stadt eine große Chance liegt, Touristen anzulocken.

Und natürlich spielt die englische Neigung zu einer angenehm schrulligen Exzentrik bei dem für Auswärtige doch übertrieben anmutenden Brimborium um ein paar Knochen eine Rolle. Vor allen Dingen aber zeigt sich in dem Trubel eine Begeisterung für die eigene Geschichte, wie sie kaum einem anderen Volk zu eigen ist.

Manche Engländer stellen sich die Frage, bei welcher der beiden großen Denkmalschutz-Organisationen sie Mitglied sein sollen, English Heritage oder National Trust. Für viele Engländer hingegen ist klar, dass sie selbstverständlich beiden angehören.

Die Freude an der eigenen Vergangenheit hat viel damit zu tun, dass die meisten Bewohner der Insel ihre Geschichte als linear und ungebrochen sehen, als etwas, auf das man durchweg stolz sein kann. Natürlich gehört zu diesem Geschichtsbewusstsein in vielen Fällen auch eine gute Portion Geschichtsklitterung.

Schönfärberei der britischen Geschichte

Paradoxerweise braucht insbesondere die Zeit die meiste Schönfärberei, die lange so wichtig war für das englische und britische Selbstverständnis: die Kolonialzeit, in der Großbritannien zum Empire wurde. Mit ihrem geschlossenen Geschichtsverständnis haben sich die Engländer sogar fast über den Verlust des Empires hinweggetröstet und sich ein weitgehend ungebrochenes Verständnis ihrer selbst bewahrt.

Zusammen mit der Insellage entsteht durch dieses ausgeprägte historische Bewusstsein ein Selbstverständnis, das sich wesentlich von dem der Nationen auf dem Kontinent unterscheidet. Den Engländern sowie denjenigen Schotten, Walisern und Nordiren, die sich eher als britisch verstehen, ist gemein, dass sie sich selbst genügen und ihre Identität gleichsam aus sich selbst heraus entwickeln.

Das englische Selbstbild kommt ohne andere Länder aus

Als kleine Einschränkung wäre vielleicht zu nennen, dass die über Jahrhunderte gewachsene und liebevoll gepflegte Abneigung gegen die Franzosen durchaus ein wichtiger Teil des englischen Selbstbildes ist. Die Nationen auf den Kontinent definieren sich hingegen viel mehr im Zusammenspiel. Überspitzt ließe sich sagen: Deutschland braucht seine Nachbarn, um sich selbst zu spüren. England kommt in dieser Hinsicht sehr gut alleine zurecht.

Diesen Unterschied zu bedenken ist zum Beispiel immer dann wichtig, wenn es in EU-Verhandlungen wieder so aussieht, als seien die Briten notorische Querulanten, mit denen man nicht arbeiten kann. Sie haben ein pragmatisches Interesse an wirtschaftlicher Zusammenarbeit, aber nicht die geringste Absicht, durch die Verlagerung von Kompetenzen nach Brüssel das eigene Unterhaus weiter zu schwächen.

Das ist keine Frage von politischen Details, sondern eine fundamentale: Die Mutter der Parlamente in Westminster ist das in Stein gehauene Sinnbild des britischen Selbstverständnisses.

Aus der innigen Verbindung mit der eigenen Vergangenheit zieht das Land einen wichtigen, vielleicht den wichtigsten Bestandteil seiner Identität. Indem es in diesen Tagen den toten König feiert, vergewissert es sich seiner selbst.

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