Schadenersatzrecht:Riesige Unterschiede zwischen Tod und Tod

  • Die Fluglinie Germanwings wird den Angehörigen der Passagiere, die beim Flugzeugabsturz des Airbus A320 über Südfrankreich ums Leben kamen, Schadenersatz zahlen müssen.
  • Bei Flugzeugunglücken, die auf einen technischen Fehler zurückgehen, ist die Haftung auf einen Betrag von etwa 150 000 Euro begrenzt. Ist der Absturz dagegen auf eine "unrechtmäßige Handlung" eines Mitarbeiters zurückzuführen, gilt diese Grenze nicht.
  • Beim Schmerzensgeld gilt das deutsche Recht im internationalen Vergleich als ungewöhnlich restriktiv.

Von Wolfgang Janisch und Herbert Fromme

Nach dem furchtbaren Absturz über Frankreich steht zumindest eines fest: Die Fluglinie Germanwings wird den Angehörigen der getöteten Passagiere Schadenersatz zahlen müssen - und zwar in unbegrenzter Höhe. Bei Flugzeugunglücken, die auf technische Fehler zurückgehen, ist die Haftung nach dem Montrealer Abkommen zwar auf knapp 150 000 Euro begrenzt. Ist der Absturz aber auf eine "unrechtmäßige Handlung" der Linie oder eines ihrer Mitarbeiter zurückzuführen, dann gilt diese Obergrenze nicht, erläutert der auf Luftfahrtrecht spezialisierte Neu-Ulmer Anwalt Peter Urwantschky. Wovon nach der bisherigen Auswertung des Stimmenrekorders auszugehen ist - denn der Copilot hat den fatalen Sinkflug eingeleitet.

Bei einem Manager können es Millionen sein, bei einem Kind nichts

Wie hoch die Summen allerdings sein werden, auf die Angehörige einen Anspruch haben - in dieser Frage gibt es eine fast zynisch anmutende Spannbreite. Das Schadenersatzrecht macht riesige Unterschiede zwischen Tod und Tod. Allenfalls bei den Beerdigungskosten werden alle gleich behandelt. Weil der größte Posten normalerweise der Unterhalt ist, der den Kindern und dem Ehepartner eines Verunglückten entgeht, werden die Angehörigen eines Topverdieners mit ungleich größeren Summen rechnen können als etwa die Eltern jener Kinder aus Haltern in Nordrhein-Westfalen. Die Gerichte rechnen anhand des Einkommens sowie des Alters des Verunglückten und seiner Angehörigen aus, wie lange er noch den Unterhalt für seine Familie hätte bestreiten müssen. Auf dieser Grundlage wird ein Betrag festgesetzt. Bei einem Manager können dies Millionen sein - bei einem toten Kleinkind vermutlich gar nichts.

Auch beim Schmerzensgeld ist das deutsche Recht nach Urwantschkys Worten im internationalen Vergleich ungewöhnlich restriktiv. Der Schmerz, der Schock, die Trauer der Angehörigen - all dies wird in Deutschland nur in Ausnahmefällen mit Geld entgolten. Nur wenn der Betroffene in der Folge des Unglücks unter massiven psychischen Problemen leidet, in ärztliche Behandlung muss oder seiner Arbeit nicht nachgehen kann, erkennen die Gerichte auf Schadenersatz wegen eines "Schockschadens". Und selbst dann sind die Beträge gering. Kürzlich hatte der Bundesgerichtshof über einen Verkehrsunfall zu urteilen: Eine Frau auf einem Motorrad wurde vom Auto eines betrunkenen Fahrers erfasst und getötet - ihr Ehemann, ebenfalls auf einem Motorrad unterwegs, musste den Unfall mitansehen. Das Oberlandesgericht Hamm sprach ihm 4000 Euro zu; der BGH freilich hob das Urteil auf und mahnte ein höheres Schmerzensgeld an - das aber nicht über 8000 Euro hinausgehen wird.

Schmerzensgeld wird zudem für die Todesangst der Passagiere gezahlt, ein Anspruch, der auf die Angehörigen übergeht. Doch auch hier sind die Summen gering. Ausschlaggebend ist, wie lange die Menschen die Panik des nahenden Todes erleben mussten. Der Stimmenrekorder hat nur in den letzten Sekunden des achtminütigen Sinkflugs Schreie aus der Kabine aufgezeichnet. Im Jahr 2007 bezifferte das Landgericht Siegen den 15 bis 30 Sekunden dauernden Todeskampf eines Menschen, der einen Herzinfarkt erlitten hatte, auf 5000 Euro. Urwantschky glaubt allerdings, dass die Gerichte hier inzwischen sensibler geworden sind und höhere Summen festlegen.

Auf die Versicherer kommt ein Millionenschaden zu

Ohnehin vermutet der Anwalt, der Erfahrung mit der Regulierung mehrerer Flugzeugunglücke hat, dass die Höhe des Schadenersatzes ohne gerichtlichen Prozess festgelegt wird, schon weil eine Fluggesellschaft sich hier normalerweise nicht knauserig zeigen wolle. Beglichen werde der Schaden am Ende von der Versicherung.

Tatsächlich ändert der grausame Hintergrund des Absturzes des Germanwings-Fluges 4U 9525 nur wenig an dem Millionenschaden, der auf die Versicherer unter Führung der Allianz zukommen wird. Aber er könnte dafür sorgen, dass die Versicherer auf Änderungen an den Systemen dringen, mit denen Cockpit-Türen gegen das Eindringen aus der Fluggastkabine geschützt sind, heißt es bei Branchenexperten.

Fluggesellschaften versichern einerseits ihre Flugzeuge gegen Beschädigung und Zerstörung über eine Kasko-Deckung. Andererseits müssen sie eine Haftpflichtpolice abschließen, die bei Schäden gegen Dritte - dazu zählen auch Passagiere - zahlen muss.

Die mutmaßliche Absturzursache Suizid des Piloten könnte die Kaskopolice betreffen. In den Versicherungsbedingungen gibt es zahlreiche Ausschlusstatbestände. Dazu gehören in der Regel Krieg und Terrorismus sowie "bösartige Handlungen", im Branchenenglisch "malicious acts", sagte ein Experte.

Wenn ein solcher Ausschluss vorliegt, kann das dazu führen, dass nicht die Kaskoversicherer für das Flugzeug zahlen müssen. Vielmehr müssen die Kosten dann die Anbieter besonderer Kriegsrisikopolicen übernehmen, die meistens auch "malicious acts" einschließen.

Ob das bei den Verträgen der Lufthansa mit den Allianz-geführten Versicherern der Fall ist, wollten die beiden Seiten nicht mitteilen. Da der versicherte Wert des 24 Jahre alten Flugzeugs nur 6,5 Millionen Euro beträgt, ist er für die Gesamtschadensumme des Absturzes von geringer Bedeutung.

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