Fußball-Nationalmannschaft:Heimwerker im Blaumann

Fussball/ GES/Deutschland-Australien, 25.03.2015

Reingehüpft ins Länderspiel-Jahr 2015: Karim Bellarabi (links) beim 2:2 gegen Australien.

(Foto: Markus Gilliar/GES)

Für Joachim Löw sind Testspiele wie das 2:2 gegen Australien nur noch öffentliche Bastelstunden. Gegen Georgien sollen seine Weltmeister wieder Ernst machen. Offen bleibt, ob der Rollentausch so einfach gelingt.

Von Ulrich Hartmann, Kaiserslautern

Inmitten eines Kreisverkehrs am Fritz-Walter-Stadion stehen seit 14 Jahren die "Elf Freunde". Sie trotzen dem Wetter, den Zeiten und den Launen des Fußballs. Die elf Freunde sind aus Beton. So stabil ist keine echte Fußballmannschaft, nicht mal ein Weltmeister. Diese Erfahrung hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gerade im Stadion neben dem Kreisverkehr machen müssen.

Wenn Fußballer sagen, dass man im nächsten Spiel "eine andere Mannschaft auf dem Platz" sehen werde, dann meinen sie normalerweise: Man wird zwar dieselben Fußballer sehen, aber mit veränderter Einstellung. Als der Nationalspieler Sami Khedira am Mittwochabend versprach, man werde "am Sonntag in Tiflis eine andere Mannschaft auf dem Platz sehen", da meinte er: Es werden andere Spieler spielen, sie werden ein anderes System benutzen, sie werden eine andere Einstellung zeigen und sie werden alles für einen Sieg geben - und gerate er auch noch so nüchtern. Am Sonntag geht es gegen Georgien um wichtige Punkte in der Qualifikation zur Europameisterschaft. Es geht dann nicht mehr wie beim jüngsten 2:2 gegen Australien um einen ungezwungenen Bastelkurs für mehr taktische Variabilität.

"Raus aus dem Teufelskreis": Sami Khedira bestätigt, dass er Real Madrid verlassen wird

Die Nationalmannschaft hat neuerdings zwei Outfits im Schrank: einen Anzug für die seriösen Anlässe - und einen Blaumann zum Werken und Wursteln. Den Blaumann hat sie nach dem Spiel gegen Australien wieder ausgezogen. In Tiflis am kommenden Sonntag will sie den feinen Anzug anlegen, aber die große Frage bei der Umzieherei ist, ob der Sonntagsanzug überhaupt noch richtig sitzt - oder ob die Weltmeister womöglich ein bisschen angesetzt haben. Der Bundestrainer Joachim Löw hatte am Mittwoch erstaunlicherweise auch Spaß. "Das war unterhaltsam", sagte er nach dem Spiel, als sei er einem Kettenkarussell entstiegen. Die deutsche Mannschaft hatte sich mit ungewohnter Dreierkette und ungewohnter Zusammensetzung ungewohnt frechen Australiern gegenüber gesehen und musste mit dem 2:2 gegen den Asienmeister und 65. der Weltrangliste sogar zufrieden sein.

Doch für Löw war das Ergebnis erkennbar sekundär. Der Bundestrainer verwandelt in diesen Zeiten Freundschaftsspiele, die vor nicht allzu langer Zeit noch seriös Auskunft über den Zustand der Nationalmannschaft gaben, in live übertragene Übungseinheiten. 9,84 Millionen Fernsehzuschauer sahen am Mittwoch eine gleichwohl fröhlich vorgetragene Pleiten,-Pech-und-Pannen-Show des Weltmeisters, der in seinem neuen 3-1-4-2-System oft den Rückwärtsgang nicht fand und sich darum schwertat mit den schnellen Australiern.

"Gut, es sind jetzt viele Dinge vielleicht nicht sooo gelungen", sagte Löw hinterher wie ein unaufgeregter Hobbyschreiner, dessen Stuhl nur drei Beine hat.

Der Gewinn der Weltmeisterschaft hat mit dem Bundestrainer etwas gemacht. Löw hat seinen Vertrag beim Deutschen Fußball-Bund nicht bis zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland verlängert, um bis dahin den Ruhm des jüngsten Triumphs auszukosten oder um am altbekannten Spielsystem festzuhalten. Joachim Löw will vorankommen. Und was macht einer, der den höchsten Berg der Welt bereits erklommen hat? Er versucht sich an neuen Herausforderungen: am Klettern auf Geschwindigkeit oder ohne Seil.

Löw hat keine Angst vorm Runterfallen. Schon gar nicht in einem Testspiel wie gegen Australien, dessen Ausgang ihm trotz ausverkauftem Stadion und ZDF-Übertragung offenbar nicht allzu viel bedeutet. "Es kann ja gar nicht alles auf Knopfdruck funktionieren", beschwichtigte er aufkeimende Sorgen, die Weltmeistermannschaft verrenne sich da möglicherweise in ein taktisches Hirngespinst. "Das wird Zeit benötigen", sagt Löw gelassen - "vielleicht eineinhalb Jahre, vielleicht drei." Aber der Weltmeistertrainer lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. "Ich bin bereit, das eine oder andere auch in Zukunft mal auszuprobieren und dieses Risiko gerade in solchen Spielen einzugehen - auch auf die Gefahr hin, dass Fehler passieren."

Vor Fehlern, mit denen gegen Australien etwa der Torwart Ron-Robert Zieler, der Rechtsverteidiger Shkodran Mustafi oder der defensiv suboptimale Rechtsaußen Karim Bellarabi aufgefallen sind, ist aber auch jene deutsche Elf nicht gefeit, die es am Sonntag mit den Georgiern aufnehmen muss. Manuel Neuer wird dann wieder im Tor stehen, Mats Hummels und Jerome Boateng werden wieder verteidigen, Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos werden das Mittelfeld organisieren, Thomas Müller wird sich um die Chancenverwertung kümmern. Auch Khedira wird wieder eine wichtige Rolle spielen, er braucht diese Bühne im Moment auch, um ein paar Signale auszusenden - wie bei der kraftvollen Vorbereitung des Führungstors von Marco Reus. Er müsse "ruhig bleiben, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen", sagt Khedira über seine unbefriedigende Lage bei Real Madrid und bestätigt, dass er den Klub am Saisonende verlassen wird.

All jene, die Löw gegen Australien schonte, "weil sie nicht unbedingt ins Gefecht geschickt werden mussten", sollen nun in Georgien mit dem herkömmlichen Spielsystem wieder die seriöse Rolle eines Weltmeisterteams spielen. Aber gerade das wird spannend: zu sehen, ob der Rollentausch tatsächlich so reibungslos funktioniert, wie Löw suggeriert. "Gegen Georgien werden wir mit noch mehr Konzentration spielen", sagte Löw ganz ernst nach dem doch eher ungezwungenen 2:2 gegen Australien. Löw weiß: Punkte darf seine Elf nicht mehr verschenken, bevor es im Herbst nach Schottland und Irland geht. Der Nationalspieler Christoph Kramer fordert deshalb schon mal eine kleine Experimentierpause: "In der Quali", sagt er, "können wir jetzt nichts mehr ausprobieren."

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