Eishockey:Raus aus Regent Park

GER, DEL, Playoffs Adler Mannheim vs. Nuernberg Ice Tigers

"Ich denke, dass ich mittlerweile ein klügerer Spieler bin": Glen Metropolit, 40, vom DEL-Halbfinalisten Mannheimer Adler.

(Foto: Nordphoto/Fabisch)

Mannheims Glen Metropolit hat eine beeindruckende Lebensgeschichte hinter sich. Aufgewachsen in einem üblen Viertel von Toronto, hat er auf dem Eis Halt gefunden.

Von Christian Bernhard

In dem Jahr, in dem die Adler Mannheim ihren letzten Meistertitel gewannen, im Jahr 2007, traten Filmemacher an Glen Metropolit heran. Sie wollten das Leben des Eishockeyprofis der Boston Bruins, bei denen ein gewisser Geoff Ward als Co-Trainer arbeitete, verfilmen. Die Anfrage kam nicht, weil Metropolit einer der großen Namen in der nordamerikanischen Profiliga NHL war; sie kam, weil seine Lebensgeschichte so beeindruckend ist.

"Meine Kindheit hat mich gelehrt, das Leben zu lieben, denn ich weiß, wie hart es sein kann", erzählt Metropolit vor Beginn der Halbfinalserie in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) zwischen Hauptrundensieger Mannheim und Wolfsburg (Freitag, 19.30 Uhr). Metropolit ist heute 40 Jahre alt und spielt mittlerweile unter dem Cheftrainer Geoff Ward für die Mannheimer Adler. Mannheim ist seine 20. Profi-Station, die DEL seine neunte Liga. Bald bestreitet er sein 1400. Spiel als Profi.

Glen Metropolit sagt: "Eishockey war mein Glück, es hat mich von all den schlimmen Dingen weggehalten."

Metropolit ist in Torontos Regent Park aufgewachsen, Kanadas ältestem und größtem Sozialbaugebiet; Prostitution, Drogenhandel und Kämpfe gehörten dort zum Alltag. "Ich bin so dankbar, dass ich es da raus geschafft habe", berichtete er kürzlich der kanadischen Rundfunkgesellschaft CBC. Das gebe ihm "auch heute noch" Kraft. Schule, Eishockey spielen auf der Eisfläche mitten im Regent Park, schlafen: so sahen seine Kindertage aus. "Wir mussten ihn vom Eis zerren, damit er zum Essen kam", erzählte seine Mutter Linda: "Wenn es besonders kalt war, war er der einzige, der auf der Eisfläche stand und den Puck gegen die Bande schoss."

Ein Leben ohne Eishockey war für ihn nicht vorstellbar, deshalb tat er alles, um besser und besser zu werden. "Ich habe immer versucht, härter zu arbeiten, als jeder neben mir", betont Metropolit. Als ein Freund ihm erzählte, dass er Doug Gilmour, ein Eishockey-Idol in Toronto, gesehen habe, wie er einen besonders steilen Hügel im brütend heißen Sommer sechsmal emporsprintete, stand Metropolit tags darauf am selben Anstieg - und bewältigte ihn 15 Mal.

Sein drei Jahre jüngerer Bruder Troy, mit dem er als Kind von Pflegeheim zu Pflegeheim geschoben wurde, da seine alleinerziehende Mutter ihren Job verloren hatte, fand nicht im Eishockey Halt, er driftete auf die schiefe Bahn ab. Ein schwerer Raubüberfall brachte ihm 16 Jahre Haft ein, Anfang des Jahres kam er in den offenen Strafvollzug. Metropolit versucht gerade, ihm einen Job zu vermitteln.

Als 20-Jähriger hat Metropolit Toronto verlassen, er machte in British Columbia seinen Highschool-Abschluss und startete dort seine Eishockey-Karriere, die ihn 1999 in die NHL führte. Jahrelang tingelte er durch die Liga und verrichtete dabei hauptsächlich Abwehraufgaben. "Für mich kam das Team immer an erster Stelle", sagt er; er habe stets versucht "das zu machen, was meiner Mannschaft weiterhilft". Erst in Montreal, seiner siebten Station in der besten Liga der Welt, wurden ihm spielerische Aufgaben zuteil, dort bestritt er auch das letzte seiner 437 NHL-Spiele.

Seine große Zeit hatte er aber in Europa. Nachdem er zwei Spielzeiten bei Jokerit Helsinki in Finnland groß aufgespielt hatte, gewann er 2006 in der Schweiz mit Lugano seinen bisher einzigen Meistertitel. Seine Leistungen brachten ihm dort den Spitznamen "Tessin-Gretzky" ein. Ingolstadts Coach Larry Huras, der ihn 2005 in Lugano trainierte, sagte damals, Metropolit spiele "wild", arbeite "jedoch wie ein Verrückter". Heute spielt der Kanadier überlegt und cool. "Ich denke, dass ich mittlerweile ein deutlich klügerer Spieler bin", sagt er.

Seine Zauberpässe kommen aber weiterhin in Momenten, in denen die Gegenspieler nicht damit rechnen; er erweckt regelmäßig den Eindruck, als hätte er auch am Hinterkopf Augen. Metropolits Spielverständnis und Gefühl für den freien Mitspieler suchen in der DEL ihresgleichen. "Metro ist einfach der Wahnsinn", sagt sein Teamkollege Matthias Plachta: "Seine Übersicht ist unglaublich. Er macht auch defensiv so viele Dinge richtig, die man von außen kaum sieht." Und trotzdem ist es seine Hingabe, die sein Spiel so besonders macht; er selbst streut im Gespräch immer wieder die Begriffe Enthusiasmus und Leidenschaft ein. Metropolit verkörpere "die Liebe zum Eishockey wie kaum jemand", sagt Adler-Kapitän Marcus Kink.

Das Filmprojekt steht übrigens immer noch im Raum, auch ein Buch über Metropolits Leben ist in Planung. Seine damalige Antwort an die Filmemacher gilt noch heute: "Die Geschichte ist noch nicht fertig. Lasst uns warten, bis sie zu Ende geschrieben ist."

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