Dießen:Schluss mit dem Kinderkram

Georg Jenisch führt Orffs "Prometheus" als gewaltiges Figurentheater auf

Von Sabine Reithmaier, Dießen

Georg Jenisch ist ein sehr liebenswürdiger Mensch. Wer die Grenzen seiner Freundlichkeit aber gern einmal ausloten möchte, sollte dem Figurentheaterspieler am besten von Kater Mikesch, Urmel oder Jim Knopf vorschwärmen. "Die haben die Chose an die Wand geklatscht", sagt er. Puppentheater für Erwachsene tut sich in Deutschland noch immer schwer und daran ist die Augsburger Puppenkiste nicht unschuldig. Aber eigentlich will der 45-Jährige nicht über Imageprobleme reden, sondern über seine Inszenierung von Orffs Oper "Prometheus", ein Figurentheater, das an diesem Freitag in Dießen Premiere hat und eine Woche später in München zu sehen ist.

Start in Dießen deshalb, weil Carl Orff, der im Juli 120 Jahre alt werden würde, lange in dem Ort am Ammersee wohnte. Auch den "Prometheus" schrieb er dort, ein Alterswerk, das auf dem altgriechischen Text von Aischylos basiert. Die Geschichte des an einen Felsen im Kaukasus geschmiedeten Prometheus, der sich für die Menschen einsetzt und deshalb von den Göttern gefoltert wird, habe ihn schon als Kind fasziniert, sagt Jenisch. Genauso wie Puppen. Tagelang saß er im Salzburger Marionettentheater herum, half beim Puppenbauen mit und übte sich früh darin, die Figuren an den Fäden zu bewegen. Als ein Spieler wegen eines Bandscheibenvorfalls kurzfristig ausfiel, übernahm der Zehnjährige eine erste kleine Rolle. "Meine Sucht hat sich sehr früh entzündet."

Mit 18 beschloss er, erwachsen zu werden. Er studierte Komposition am Mozarteum, feierte erste Erfolge mit Kammermusiken und den Opern "Edward II." und "Dargelos-Ritual". Eines Tages bat ihn ein Freund, für ein Fest die Puppen hervorzuholen. "Da flog die Büchse wieder auf." Seither spielt und inszeniert er, hörte mit dem Komponieren auf, als er merkte, dass beides parallel nicht funktioniert. "Ich habe eine ganz bewusste Entscheidung für das Figurentheater getroffen."

Das ist fast 15 Jahre her. Trotz gelegentlicher Ermüdungserscheinungen hält sich Jenisch seither für einen glücklichen Menschen. Anstrengend ist der Beruf aber sehr. Weniger das Bauen der Puppen - für eine Figur braucht er in seiner Berliner Werkstatt rund zwei Wochen, für die großen vier. Echte Schwerstarbeit ist es, die drei bis vier Meter großen und meist nicht federleichten Figuren zu führen, zumal ein Puppenspieler fast immer aus einer ungünstigen Position heraus agiert. Egal ob er die Figur hochstemmt oder sie beugen muss oder ob er gar auf dem Boden liegend spielt - es raubt Kraft. "Puppenspieler sind Multitasker", sagt Jenisch und lacht. Mit der Nase hielten sie noch einen Ellbogen hoch, wenn die Hände belegt sind. In sekundengenauen Plänen schreibt Jenisch auf, wann wo welcher Handgriff zu tun ist. Insgesamt werden beim Prometheus sieben Spieler 80 Objekte bewegen.

Entscheidend, sagt Jenisch, sei das Gespür für die Puppe, das sich mit der Zeit entwickelt. Jede ist anders, auch wenn sie völlig gleich gebaut sind, jede fühlt sich anders an, jede hat ihre Eigenheiten. "Und nur wenn ich die genau kenne, gelingt es mir, das tote Material zum Leben zu erwecken." Von Puppentheater, das einfach Menschentheater kopiert, hält er gar nichts. "Der Mensch kann sich deutlich besser ausdrücken als eine Figur. Also muss ich was finden, was die Puppe besser kann." Jenisch hebt einen großen verwitterten Kopf auf und ergreift zwei riesige Hände. Der Kopf mit den großen Augen neigt sich ein wenig, zuckt dann zurück, die Finger spreizen sich. Wenige Gesten nur, aber sofort reimt sich die Phantasie des Zuschauers die ganze Figur einschließlich ihrer Gefühle zusammen. Den Spieler nimmt er kaum mehr wahr.

Das Zeichenhafte, Symbolische ist es, was Jenisch an den Puppen schätzt, die Fähigkeit, mit wenigen Bewegungen eine Szene zu entwickeln, die auf die Wirklichkeit dahinter verweist. Das passt natürlich gut zur Dramaturgie der antiken Tragödie und gut zu Orffs musikdramatischem Denken. Davon abgesehen lässt sich auf dessen Musik gut spielen. "Die dringt in die Puppe ein, gibt ihr den Atem."

Nicht jedes Musiktheater passt zu den Puppen. Opern mit Realitätsanspruch eigneten sich gar nicht, sagt Jenisch. Bizets Carmen geht überhaupt nicht. Aber alles, was ins Düstere, Rätselhafte zielt, funktioniert hervorragend. Jenisch bevorzugt Musik des 20. Jahrhunderts. Bartok, Strawinsky, aber auch Schönberg - "ich kann damit musikalisch mehr anfangen und daher auch mehr für die Puppe denken". Mozart dagegen sei zu tüdelig, zu ornamental. "Die Puppe liebt die Stringenz, die Einfachheit, Klarheit."

Die Vorbereitung auf den Prometheus hat länger als ein Jahr gedauert. Doch jetzt steht die gekürzte Fassung - statt zweieinhalb Stunden 90 Minuten - die Proben sind gelaufen, das Team freut sich auf die Premiere. Was wird eigentlich aus den Puppen nach dem Spiel? Sie bleiben bei den Auftraggebern, im Münchner Künstlerhaus lagern inzwischen Hunderte. "Zum Glück, sonst bräuchte ich ein Lager. Und ich mache lieber jedes Mal wieder neue Figuren."

Carl Orffs "Prometheus" für Figurentheater von Georg Jenisch, Premiere 27.3., 19 Uhr, Augustinum Dießen, weitere Vorstellungen in Dießen am 28., 19.30 Uhr, 29. März, 16 Uhr, und in München am 3. April, 11 Uhr und 19 Uhr, Allerheiligen-Hofkirche

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