Serie:Süchtig nach dem wahren Leben

Serie: Ein Selbstgespräch auf der Toilette zu viel: der Millionär Robert Durst in der True-Crime-Doku The Jinx.

Ein Selbstgespräch auf der Toilette zu viel: der Millionär Robert Durst in der True-Crime-Doku The Jinx.

(Foto: HBO)

Echte Kriminalfälle werden jetzt auch als Serie erzählt - zum Beispiel in "The Jinx" aus den USA. Moralisch wirft das einige Fragen auf.

Von Karoline Meta Beisel

Man kann Serienfans sehr ärgern, indem man ihnen wichtige Wendungen der Handlungen vorab verrät, sie "spoilert", wie es neudeutsch heißt. Ein harmloses Beispiel aus der Literatur: Am Ende von Romeo und Julia sind beide tot.

Was aber, wenn nicht ein kunstvoll konstruierter Plot-Twist, sondern das echte Leben den Spaß verdirbt? Genau das ist am vorvergangenen Wochenende passiert. Auf dem amerikanischen Paysender HBO lief die Dokumentarserie namens The Jinx, darin geht es um den New Yorker Millionär Robert Durst und mehrere ungeklärte Mordfälle. Sonntags sollte die letzte von sechs Folgen laufen, das große Finale. Und dann brach am Samstag die Welt herein.

The Jinx (in Deutschland auf Abruf bei Sky zu sehen) ist ein Krimi aus dem echten Leben, ein realer Fall mit echten Mordopfern und echten Angehörigen. Das Genre "True Crime", Filme und Bücher über echte Kriminalfälle, gibt es schon seit Truman Capotes Literaturklassiker Kaltblütig. Aber jetzt werden diese Geschichten nicht mehr am Stück, sondern als Serie erzählt - mit allen erzählerischen Tricks, die bislang der Fiktion vorbehalten waren.

Aber The Jinx ist eben keine Fiktion, sondern eine besonders lange Dokumentation und im Kern ein journalistisches Unterfangen: Die Autoren machen sich daran, einen echten Fall aufzuklären. Wie zuvor schon der populäre Podcast Serial - ebenfalls über einen Mordfall - stellt auch The Jinx zu Beginn Fragen, die mit voller Absicht erst nach und nach beantwortet werden - wie eine Pille, die ihren Wirkstoff in kleinen Dosen abgibt. Ein irres Fernseherlebnis mit hohem Suchtfaktor, nicht viel anders als die fiktive Krimiserie True Detective, die im vergangenen Jahr bezeichnenderweise auf demselben Sendeplatz bei HBO lief.

Moralisch ist dieses Vergnügen aber nicht ohne Fallstricke. Andrew Jarecki, der Autor und Regisseur von The Jinx, muss sich derzeit gleich mehrere unangenehme Fragen gefallen lassen, und eine davon hat mit dem schon erwähnten Spoiler aus dem echten Leben zu tun.

Den kann man wiederum nicht erklären, ohne in den heißen Brei gewissermaßen hineinzuspringen. Jetzt also eine echte Spoilerwarnung: Wer das Ende von The Jinx nicht wissen will, sollte den folgenden Absatz überspringen (dann aber bitte weiterlesen).

Der Podcast "Serial" sei kein sauberer Journalismus, sagt ein Medienethiker

Am Tag vor der Ausstrahlung der letzten Folge war Robert Durst in New Orleans festgenommen worden, wohl auch aufgrund der Recherchen der Filmemacher. Die hatten Indizien gefunden, die Durst zumindest für einen der ungeklärten Morde stark belasten. Nachdem sie Durst mit ihren Ermittlungen konfrontiert hatten, gestand der Millionär unter bizarren Umständen gleich drei Taten: Sein Mikrofon zeichnete nach dem Interview weiter auf, als Durst auf der Toilette vor sich hinbrabbelte: "What the hell did I do? Killed them all, of course." (Was zur Hölle habe ich gemacht? Ich habe sie alle umgebracht.") Die Festnahme war in den Medien sofort ein Riesenthema, über den Fall war seit Jahren viel berichtet worden. Und wer am Samstag von der Festnahme hörte, für den war das Finale am Sonntag keine Überraschung mehr.

Spoilerfrei weiter mit einem Gedankenspiel. Wenn samstags etwas passiert, ausgelöst von einer Fernsehsendung, die schon am Tag darauf geschnitten und mit Musik unterlegt ausgestrahlt wird: Wie lange hatten die Filmemacher ihr Wissen dann für sich behalten, zugunsten eines möglichst spannenden Fernsehabends? Oder, wie ein amerikanischer Blog formulierte: "Did HBO do it?"

Jarecki hat diese Frage nur kurz beantwortet: "Vor Monaten" schon habe er die Informationen weitergegeben. Mehr wollte er nicht sagen, kündigte in einem schriftlichem Statement an, sich mit Rücksicht auf die Ermittlungen nicht weiter zu der Angelegenheit äußern zu wollen. Die Frage nach dem Timing ist aber nicht das einzige Problem bei The Jinx. Auch führt die Serie die Zuschauer über die Reihenfolge der Ereignisse in die Irre - es wirkt, als sei die Chronologie der Dramaturgie geopfert worden.

Auch die Macher des extrem erfolgreichen Podcasts Serial mussten sich kritische Fragen gefallen lassen. Serial und The Jinx funktionieren ganz ähnlich: Beide bedienen sich großzügig aus Mitschnitten von Vernehmungen bei der Polizei, Interviews mit Zeugen und Audio- beziehungsweise Videoaufnahmen aus den Gerichtsverfahren. Hierzulande sind Ton- oder Filmaufnahmen während der Verhandlung vor Gericht verboten, Vernehmungen bei der Polizei werden normalerweise nur schriftlich protokolliert. Eher unwahrscheinlich also, dass es bald auch eine deutsche True-Crime-Serie geben wird - hierzulande gibt es eben Aktenzeichen XY.

Anders als bei The Jinx wurde Serial schon veröffentlicht, obwohl die Recherchen der Autoren noch andauerten. Die Reporterin Sarah Koenig ließ ihre Zuhörer an all ihren Überlegungen, Erkenntnissen und Zweifeln teilhaben. Das Interesse des Publikums wurde dadurch erst recht angeheizt, Hörer diskutieren bis heute im Netz die Indizien. Ein Nebeneffekt: Die für Serial Befragten wussten vor ihrem eigenen Interview schon, was die anderen Zeugen gesagt hatten, kannten den Kenntnisstand der Reporterin nahezu in Echtzeit. Professor Ben Wasserman, der an der University of California Medienethik lehrt, verurteilt das Vorgehen in seinem Blog: Das sei kein verantwortungsvoller Umgang mit Quellen, diese Form des Storytellings "unvereinbar mit verantwortungsvollem Journalismus".

Und dann ist da noch der Vorwurf, den sich alle True-Crime-Geschichten gefallen lassen müssen, ob seriell erzählt oder nicht. All diese Geschichten folgen dem Täter. The Jinx und auch Serial sind so spannend erzählt, dass es allzu leicht ist, zu vergessen, dass man es mit echten Menschen zu tun hat, die einmal gelebt haben und jetzt tot sind.

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