Serie "Sinn stiften":Frieden schaffen mit Giraffen

Serie "Sinn stiften": Christiane Raabe (rechts) ist die derzeitige Leiterin der Internationalen Jugendbibliothek, Barbara Scharioth war ihre Vorgängerin.

Christiane Raabe (rechts) ist die derzeitige Leiterin der Internationalen Jugendbibliothek, Barbara Scharioth war ihre Vorgängerin.

(Foto: Robert Haas)

Geprägt von Frauen mit Durchsetzungskraft: Die Internationale Jugendbibliothek in Schloss Blutenburg überwand vor Jahren mit der Stiftungsform eine tiefe Krise

Von Antje Weber

Der Löwe Alois, der Elefant Oskar und die Giraffe Leopold haben die Faxen der Menschen dicke. Als ihnen klar wird, dass die unfähigen Menschen niemals Kriege und Hunger verhindern werden, nehmen sie die Sache selbst in die Hand. Auf einer Konferenz beschließen die Tiere, das Militär abzuschaffen und Lehrer besser zu bezahlen: Sie hätten schließlich die wichtige Aufgabe, die Kinder zu formen. Das hehre Ziel ihrer Erziehung? "Es gibt keine Trägheit des Herzens mehr."

Erich Kästners berühmtes Kinderbuch "Die Konferenz der Tiere" als Plädoyer für Frieden und Menschlichkeit ist ein perfektes Beispiel, um von der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) zu erzählen - und von den Frauen, die deren Geschichte bis heute überwiegend bestimmen.

Angeregt wurde das Buch von der IJB-Gründerin Jella Lepman, die mit Kästner befreundet war. Als das Buch 1949 erschien, hatte sie es gerade geschafft, mit 4000 geschenkten Büchern eine Jugendbibliothek in der Kaulbachstraße zu gründen, die anschließend lange von Walter Scherf geprägt wurde. Später gingen Kästners Tiere dann auf Reisen: in der Wanderausstellung "Guten Tag, lieber Feind! Bilderbücher für Frieden und Menschlichkeit", die 1998 von der Direktorin Barbara Scharioth konzipiert wurde. Die heutige Leiterin Christiane Raabe wiederum schickt die überarbeitete Ausstellung samt Kästners Friedens-Aufruf jetzt wieder durch die Welt, sogar in die Ukraine.

"Eine solche Ausstellung hat eine enorme politische Sprengkraft!", sagt Raabe, die auf einem Sofa in ihrem großen Büro im Obermenzinger Schloss Blutenburg Platz genommen hat. Ihre Vorgängerin Scharioth, die neben ihr sitzt und wie Raabe zum Stiftungsvorstand gehört, ergänzt enthusiastisch: "Das hat Wirkkraft nach außen, das lohnt die Anstrengung!" Und: Es ist ganz im Sinne der Stiftung, die seit 1996 nicht nur die Verbreitung und Erforschung von Kinder- und Jugendliteratur fördert, sondern sich auch für "interkulturelle Verständigung" engagiert. "Von wegen unpolitisches Kinderbuch!", muss Scharioth gleich noch einmal klarstellen: "Das ist eng verwoben mit den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen!"

Das trifft auch auf die Entwicklung der Internationalen Jugendbibliothek selbst zu. Sie hat das, was man eine bewegte Geschichte nennt - und besonders bewegt war die Entscheidung, sie zu einer Stiftung zu machen. Um das heutige Wirken der Institution zu verstehen, ist daher erst einmal ein Rückblick nötig - in eine noch nicht sehr lange vergangene Geschichte, die Barbara Scharioth unmittelbar miterlebt hat.

Als Scharioth 1992 von der Verlegerin und langjährigen IJB-Beirätin Christa Spangenberg als geschäftsführende Direktorin ins Amt gebracht wurde, war die als Verein geführte Institution gerade völlig im Umbruch. Neun Jahre zuvor waren die Bibliothekare "unter Schmerzen" von der zu engen Kaulbachstraße in die Blutenburg umgezogen. Für die heute auf mehr als 600 000 Medien angewachsene Sammlung war eigens der Schlosshof unterkellert worden. Doch noch fremdelten die Mitarbeiter: "Man trauerte dem alten Standort nach", sagt Scharioth, "es wurde nicht mit Leben gefüllt." Dazu mahnte der Bundesrechnungshof eine Neuausrichtung an. Und: Da bei einem Verein die Mitgliederversammlung das höchste Gremium ist, waren Entscheidungen nur schwierig zu treffen. "Die Versammlungen verliefen disparat, nicht zielführend", erinnert sich Scharioth, und man darf vermuten, dass dies noch diplomatisch formuliert ist.

In dieser Situation des Stillstands kam Christa Spangenberg, die inzwischen verstorben ist, die Idee einer Stiftung. Sie hatte gerade ihren eigenen Kinderbuch-Verlag Ellermann verkauft und Lust auf eine neue Aufgabe. Christa Spangenberg sei analytisch und "sehr durchsetzungsstark" gewesen, erinnert sich ihre Weggefährtin Barbara Scharioth, die selbst "kreativ gestalten" wollte. Ein gutes Team also, das sich nun daran machte, den Trägerverein und die Vorstände von den Vorteilen einer Stiftung zu überzeugen. "Kein leichter Akt", sagt Scharioth. Doch die Einrichtung der Stiftung, für die Spangenberg selbst das Kapital von 500 000 Mark zur Verfügung stellte, sei ein wichtiger Schritt gewesen, um der IJB Stabilität zu geben - schließlich sei eine Stiftung im Gegensatz zu einem Verein ja "nicht mehr aufzulösen" und die Struktur mit Stiftungsrat und -vorstand besser zu handhaben. Einmal im Jahr tritt jetzt der kontrollierende Stiftungsrat zusammen: "Dann beugen sich die Stiftungsräte über die Zahlen und Jahresberichte - und in der Regel sind sie zufrieden", sagt Scharioth mit einem ebenfalls zufriedenen Lächeln.

An der Finanzierung jedoch hat sich trotz Stiftung nichts geändert. Wie schon zuvor wird die IJB von der öffentlichen Hand gefördert: 45 Prozent kommen vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die verbleibenden 55 Prozent je zur Hälfte vom Freistaat Bayern und von der Stadt München. Zusammen mit eigenen Einnahmen und Drittmitteln ergab das 2014 knapp 2,5 Millionen Euro an Einnahmen. Eine komfortable Situation? Kommt auf die Perspektive an. Es gebe nur wenige Institutionen, die mit Bundesmitteln gefördert würden, sagt Raabe, dadurch sei man aber auch "zu bundesweiter Bedeutung verpflichtet" und eben keine Stadtteilbibliothek, wie es sich vielleicht manche wünschen würden.

Wobei es, um zu einem kurzen virtuellen Rundgang zu starten, in den weitläufigen Gemäuern des Schlosses durchaus eine lebendige Kinderbibliothek gibt. Und - neben der Verwaltung und der Katalogabteilung - noch so viele Säle mehr rund um den idyllischen Schlosshof, dass man eine Weile braucht, bis man sie alle durchwandert hat: das kleine Michael-Ende-Museum, das Zimmerchen für Erich Kästner, den James-Krüss-Turm und das hübsche Dach-Kabinett für die Illustratorin Binette Schroeder. Und all diese Räume haben ihren guten Grund.

Denn als die IJB in den Neunzigerjahren die Krise überwunden und sich strukturell und personell gewandelt hatte, da begann eine goldene Zeit: die Phase der Schenkungen, die bis heute andauert. Die Erben von Michael Ende machten den Anfang und überließen seinen Nachlass der Bibliothek. Viele weitere folgten, von Krüss bis zuletzt Hans Baumann. Wie so etwas abläuft, dazu kann man in einem Krüss-Band eine schöne Anekdote seiner Nichte nachlesen. Die rief im Jahr 2000 bei Scharioth in der IJB an und fragte: "Möchten Sie den James-Krüss-Nachlass haben?" Still war es in der Leitung, dann kam von Scharioth: "Ich sag' jetzt einfach mal ja", wieder Stille, ein kleiner Seufzer: "Dann habe ich aber ein Problem . . ."

Scharioth lacht, als sie sich daran erinnert. "Es ist halt auch Verpflichtung", sekundiert Raabe. Aktive Erbengemeinschaften erwarteten eben, dass man das Erbe ständig pflege. Was Krüss angeht, so hat die IJB das gerade erst wieder getan: Mit Hilfe der Deutschen Forschungsgesellschaft konnte sie den Nachlass digitalisieren; eine kleine Ausstellung zeigt außerdem gerade Illustrationen zu seinem Werk. Mit der Robert-Bosch-Stiftung wiederum setzt die IJB zum Beispiel das Projekt "ViVaVostock" zur Förderung osteuropäischer Literatur um. Ohne Partner und Drittmittel geht es eben nicht: "Ich schreibe viele Anträge", sagt Raabe. Denn die festen Zuwendungen von Bund, Land und Stadt sind zwar der solide Grundstock, doch viel Handlungsspielraum eröffnen sie nicht. "Der laufende Betrieb wird immer teurer", sagt die Direktorin; für Einzelideen wie ein Flüchtlingsprojekt sei leichter Geld einzuwerben als für die Stiftung: "Ich habe Sorge, was das Haus insgesamt angeht, die bibliothekarischen Projekte sind schwierig zu finanzieren."

Was würde sie sich wünschen, wenn sie einen Wunsch frei hätte? Christiane Raabe grübelt. Die Bedeutung dieser weltweit größten Bibliothek für internationale Kinder- und Jugendliteratur sei einzigartig, sagt sie dann. "Ich würde mir wünschen, dass der Staat sich mal einen Ruck gibt und was drauf setzt." Das würde auch Barbara Scharioth gefallen: "Wir machen mal das Sterntaler-Röckchen auf!" Und wenn das nichts hilft? Dann wäre es wohl mal wieder an der Zeit für eine Konferenz der Tiere. Oder, schließlich leben wir in modernen Zeiten, gleich eine Konferenz der Kinder selbst. Eine internationale, natürlich, mit einem klaren Auftrag: die Trägheit der Herzen zu überwinden.

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