Down-Syndrom im Sport:Losgezogen, um seinen Platz zu finden

Down-Syndrom im Sport: Bei den Winter-Special Olympics 2017 will Hofmayer um eine Medaille mitfahren, das ist das einfachere Ziel. Einen Job finden, das ist das schwerere.

Bei den Winter-Special Olympics 2017 will Hofmayer um eine Medaille mitfahren, das ist das einfachere Ziel. Einen Job finden, das ist das schwerere.

(Foto: Tom Gonsior/ADAC)

Albin Hofmayer ist Skifahrer und Sprecher der geistig behinderten Sportler in Bayern. Um den Alltag abseits des Sports kämpft Hofmayer, der mit dem Down-Syndrom geboren wurde, seit seiner Geburt. Eine Tragödie vor gut zwei Jahren machte alles noch komplizierter.

Von Korbinian Eisenberger

Selbstverständlich, sagt Jan Hofmayer, komme sein Bruder mit zum Klettern. Albin Hofmayer sei ein guter Kletterer. Jetzt, wo der Schnee in den Alpenwiesen versickert, hat Albin seine Rennskier im Keller verstaut. Im Frühjahr packt der 26-Jährige seine Kletterschuhe und den Sicherungsgurt in den Bergrucksack.

Wenn er dann nicht selbst in der Wand hängt, steht er davor und sichert seinen älteren Bruder am Seil. Er hat das schon oft gemacht, er kann sichern, das steht in seinem Kletterschein. Doch hinter ihm steht dann noch jemand und hält das Seil fest in beiden Händen.

Albin Hofmayer sollte von Anfang an dazugehören. Das war der Plan seiner Mutter, seit vor knapp 27 Jahren diagnostiziert wurde, dass sie ein Kind mit Down-Syndrom gebären werde. Viele Ärzte rieten davon ab, die Kinder zu bekommen, sagt seine Schwester. Ende Januar 1988 kam Albin Hofmayer dann zur Welt, und die Prognose der Ärzte stimmte.

Es sei sein Glück gewesen, sagt der Bruder, dass er so eine Mutter hatte

Heute hat Albin Hofmayer eine Kiste mit Medaillen und Pokalen gefüllt. Vor vier Jahren wählten ihn die geistig behinderten Sportler Bayerns zu ihrem Athletensprecher. In seinem Lebenslauf hat Albin acht Praktika aufgelistet. Und einen Hauptschulabschluss. Er habe eine leichtere Form des Down-Syndroms erwischt, sagt sein Bruder Jan. Und es sei sein Glück gewesen, dass er so eine Mutter hatte.

Zu Veranstaltungen wie den deutschen Meisterschaften im Alpinskifahren im Februar begleiten Albin Hofmayer heute seine Geschwister. Diesmal hat Jan Hofmayer seinen Bruder ins oberbayerische Inzell zu den nationalen Special Olympics gefahren. Im Riesenslalom ist Hofmayer schnell, aber nicht der Schnellste. Jetzt, wo er in Skijacke und Rennhose aufs Podium steigt, wird die Menge laut. Lauter als bei den beiden Fahrern, die ihn an diesem Morgen besiegt haben.

Ein Fernsehteam hat die Kamera dennoch nur auf Hofmayer gerichtet. Er sei zufrieden, wolle morgen beim Slalom noch mal angreifen, spricht Hofmayer mit fester Stimme ins Mikrofon. Ein junger Mann aus Bottrop steht schweigend daneben. Er ist Sechster geworden. Er kann die Fragen nicht selbst beantworten. Bei den Special Olympics ist das normal. Anderswo nicht.

Kritiker monieren den deutschen Ansatz bei der Inklusion von Behinderten

Die Special Olympics sind eine Art Oase. Vier Tage lang erhalten geistig behinderte Menschen eine Plattform, auf der sie sich nicht behaupten müssen. Medaillen werden an alle verteilt, Verlierer gibt es keine. Wenn dann die Slalomstangen wieder aus dem Schnee gedreht werden und die Athleten mit ihren Betreuern abreisen, geht das normale Leben in den Förderschulen und Behindertenwerkstätten weiter. In Deutschland ist das so üblich. Kritiker monieren, dass es Behinderten damit umso schwerer gemacht würde, sich hierzulande in den Alltag zu integrieren. Die Hofmayers versuchten es trotzdem.

Dass auch das jüngste der vier Geschwister mit zum Skifahren kommt, stand nie zur Debatte, sagt Schwester Léna. "Wir haben ihn nicht als jemanden wahrgenommen, der anders ist", sagt sie. "Er musste immer mitziehen", sagt der Bruder. Mutter Barbara setzte sich dafür ein, dass ihr Sohn im oberbayerischen Reichertshofen im Dorfkindergarten und im Turnverein aufgenommen wird.

In der Turnhalle traf Barbara Hofmayer den Hauptschullehrer Alfred Huber. Albin, 4, sprang jetzt über Barren und Kasten. Huber gab ihm mehr Hilfestellung als den anderen Kindern. Und Hofmayer blaffte ihn dann an: "Albin allein." So ging das ein paar Jahre - bis der Vater nach Spanien versetzt wurde. Die Hofmayers zogen von Reichertshofen nach Barcelona. Es war das Jahr, in dem Albin Hofmayer eingeschult werden sollte.

Arbeitsmarkt statt Behindertenwerkstätte

Down-Syndrom im Sport: Ob bei Schnee oder in der Sonne - in die Berge zieht es Albin Hofmayer zu jeder Jahreszeit.

Ob bei Schnee oder in der Sonne - in die Berge zieht es Albin Hofmayer zu jeder Jahreszeit.

(Foto: Tom Gonsior, ADAC)

In Barcelona gab es schon damals eine deutsche Schule, keine deutsche Schule für Behinderte allerdings. Barbara Hofmayer sprach mit Eltern, sprach mit den Lehrern, mit dem Direktor. Albin bekam einen Schulbegleiter, zum Skifahren ging es jetzt nicht mehr nach Lenggries, sondern in die Pyrenäen.

Im Unterricht kämpfte er mit Mathe und hätte die zweite Klasse wiederholen sollen. Barbara Hofmayer ließ sich einen Sprechstundentermin geben, ihr Sohn wurde versetzt. Nach vier Jahren schaffte er auch die vierte Klasse. Albin sprach jetzt spanisch und fuhr immer noch Ski. Es war das Jahr 2001, und die Hofmayers kehrten zurück nach Deutschland.

Im Zelt der Special Olympics ist die Luft am Nachmittag stickig geworden. Albin Hofmayer hat den Helm auf einen der Biertische gelegt. Er umarmt eine Athletin, klatscht mit einem Kollegen ab. Dann setzt er sich im Getümmel an den Tisch und legt die Stirn in Falten. Morgen wolle er noch besser auf der Kante stehen und mehr riskieren, sagt er. Vielleicht reicht es dann für den Meistertitel in der höchsten aller Leistungsklassen.

"Ich weiß, dass ich einen Ausweis habe, wo drinsteht, dass ich gehbehindert bin"

Schöne Momente seien das hier, sagt er, klar. Im Sport sei das meistens so gewesen. Auch wenn er bei den Leichtathletik- und Turnwettbewerben gegen die Nichtbehinderten meist keine Chance habe. "Ich weiß, dass ich einen Ausweis habe, wo drinsteht, dass ich gehbehindert bin", sagt er. Die Ergebnisse sind das eine sagt er, ansonsten, lasse ihn im Sport nur selten jemand spüren, das er behindert sei. Abseits der Laufstrecken und Skipisten ist das mitunter anders.

Zurück in Bayern, Förderschule, Berufsförderschule. Die Mutter schickte Briefe, verhandelte, diskutierte und stritt. Schließlich durfte ihr Sohn ein Berufsvorbereitungsjahr an einer Hauswirtschaftsschule in Neuburg machen. Sein Lehrer sagte, er könne Albin nicht beschäftigen. Mit seinen Fingern könne er keine Weintrauben entkernen. Albin habe zwar dickere Finger, sagte die Mutter, aber er könne dafür gut Rüben schneiden. Nach einem Jahr verließ Albin Hofmayer die Schule.

Down-Syndrom im Sport: Skifahren, Klettern, Tauchen - Albin Hofmayer hat einige Talente. Seine drei Geschwister unterstützen ihn dabei.

Skifahren, Klettern, Tauchen - Albin Hofmayer hat einige Talente. Seine drei Geschwister unterstützen ihn dabei.

(Foto: privat)

Er arbeitete dann als Küchenhilfe, zur Weihnachtsfeier wurde er nicht eingeladen, als einziger. So etwas kann passieren, sagt er, auch anderen. Doch es passierte nie einfach so, sagen die Geschwister. Stets verteidigte die Mutter ihren Sohn, der auf dem Arbeitsmarkt und nicht in einer Behindertenwerkstätte seine Zukunft finden sollte. Sie kämpfte für ihn, und Albin kämpfte mit. Und zwischen den Gefechten kletterte, schwamm und tauchte er mit seiner Mutter um die Welt.

Bei einem Tauchurlaub vor zwei Jahren passierte dann das Unglück

Beim Tauchurlaub im Dezember 2012 blieb Albin ausnahmsweise zu Hause, er hatte mit seinem Vater Konzertkarten gebucht. Es war kurz nach Weihnachten, in Teneriffa schien die Sonne, und als Barbara Hofmayer auftauchte, atmete sie nicht mehr. Albin erfuhr die Nachricht vom tödlichen Unfall seiner Mutter über das Telefon. Er musste sich jetzt alleine verteidigen. "Das war ein Schock", sagt er, "ich wusste nicht, wie es weitergehen soll."

Es ging weiter. Der Sport, sagt Leichtathletik-Trainer Huber, hat ihn wieder aufgefangen. In den Frühlings- und Sommermonaten trainierte Albin Hofmayer fortan zwei- bis dreimal pro Woche. Schwimmen, Laufen, Klettern - nach Silber und Bronze bei den nationalen Wettbewerben in diesem Jahr hat er die internationalen Winter-Special-Olympics 2017 in Österreich im Visier. Er will um eine Medaille mitfahren, das ist das einfachere Ziel. Und einen festen Job finden, das ist das schwerere.

Albin Hofmayer ist drangeblieben. Seit Herbst 2014 leistet er bei der Caritas Bundesfreiwilligendienst. Für seine Arbeit in der Wäscherei und in der Kinderkrippe wird er so bezahlt wie seine nicht behinderten Kollegen. Er sagt das und sagt auch, dass er nicht weiß, wie es danach weitergeht.

Dass er dann immer noch skifahren und laufen und klettern werde, das sei sicher, sagt er. "Klettern", sagt er, "gehen wir meistens zu dritt."

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