Wohnungen:Die Kunst muss Wohnungen weichen

Weil die GWG im Westend fünf Miethäuser saniert, verlieren die Künstler Dietmar Tanterl und Nikolaus Gerhart ihre großzügigen Ateliers. Sie verweigern den Auszug und pochen auf eine schriftliche Zusage bis Ende 2015

Von Sonja Niesmann

Schwanthalerhöhe - Am Ende eines langen Gesprächs hat sich Dietmar Tanterl so in Schwung geredet, dass er einen österreichischen Landsmann zitiert, den Schriftsteller Peter Handke: "In Österreich ersetzt der Kulturbeutel die Kultur." Und er setzt spitz hinzu: "Hier ist es genauso." Der Foto-, Video- und Lichtkünstler arbeitet seit 28 Jahren in einem Atelier im Westend - ein 230 Quadratmeter großer, fast vier Meter hoher, weißverputzter Raum mit großen Fenstern, Küchenzeile, Sitzecke. Der 60-Jährige hat sich gut eingerichtet in dieser ehemaligen Eisengießerei, die später der Firma Metzeler als Ausstellungsraum für Boote diente.

Direkt unter ihm, wie in einem großen Schacht mit Tageslicht, hat der Bildhauer Nikolaus Gerhart, der bis 2010 Präsident der Akademie der Bildenden Künste in München war, ein ebenso großes Atelier. Gerharts Unterwelt ist dicht bevölkert von wuchtigen geometrischen Skulpturen aus parischem Marmor, Gipsmodellen, Arbeitstischen, Kreissägen und allerlei anderen Gerätschaften.

Doch die Tage hier sind gezählt, denn die GWG, die städtische Wohnungsbaugesellschaft, saniert fünf Miethäuser, in deren Mitte sich die Ateliers der beiden befinden. "Dass wir hier mal raus müssen, war klar, war absehbar", betonen beide. Jetzt aber wollen sie nicht leise, sondern mit ein bisschen öffentlichem Rabatz ausziehen - weil es sie so erbost, dass, wieder einmal, Raum für Künstler in dieser Stadt weitgehend ersatzlos verschwindet und es offenbar niemanden stört, "nicht einmal das Kulturreferat".

Die Häuser - das älteste 1903/1904 gebaut, die anderen in den Sechzigerjahren - und Höfe, zu denen steile Eisenstiegen hinab führen, bilden hier zwischen der Westend- und der Gollierstraße ein verschachteltes Ensemble. Es ist ein Stück altes Westend, an das die hoch aufragenden Glaspaläste von Versicherungsunternehmen schon ganz nahe herangerückt sind. In der Vergangenheit war in dem Karree eine bunte Künstlertruppe daheim. Musiker, Maler und eine Performancekünstlerin, die im Vorderhaus an der Westendstraße 151 Wohnungen gemietet hatten, sind schon ausgezogen, wie die anderen Mieter auch. Sie werden, vermuten Tanterl und Gerhart, die beiden letzten Mohikaner, nach der Modernisierung wohl kaum in die dann teureren Wohnungen zurückkehren. Tanterl, der an der Trierer Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung eine Professur hatte und für das neue Lenbachhaus die Lichtkonzeption - eine perfekte Simulierung von Tageslicht mit Hilfe von LED-Technik - entwickelt hat, nennt das die "Atomisierung eines Kreativpools".

Im Zuge der Wohnungsmodernisierungen werden die Tiefhöfe verfüllt. Ebenerdig entstehen Grünflächen, darunter teils eine neue Tiefgarage, teils Keller. Tanterls großes Atelier im Erdgeschoss des Rückgebäudes Westendstraße 151 wird zu zwei 80-Quadratmeter-Wohnungen mit verkleinerten Fenstern umgebaut. "Unser Auftrag ist es eben, Wohnraum zu schaffen", erklärt GWG-Sprecher Michael Schmitt. In einem der Sechzigerjahre-Bauten an der Gollierstraße seien jedoch zwei 90-Quadratmeter-Wohnungen geplant, die jeweils einen als Atelier tauglichen Raum haben. Ein Atelier wird Wohnraum, Wohnungen werden als Ateliers ausgewiesen - "das ist doch Irrsinn", erregt sich Dietmar Tanterl. Außerdem bräuchte es "mindestens vier Atelierwohnungen", um den Verlust von insgesamt drei Großateliers mit 650 Quadratmetern Fläche (das dritte liegt an der Gollierstraße) zu kompensieren. Geradezu lachhaft finden die beiden den Hinweis der GWG, dass im Vorderhaus künftig auch zwei "Gewerbeeinheiten" zur Verfügung stehen: "50 und 80 Quadratmeter!"

Vor einigen Wochen bat der ehemalige Direktor des Lenbachhauses, Helmut Friedel, Oberbürgermeister Dieter Reiter um "helfendes Eingreifen", damit nicht "zwei herausragende Künstler ihre Arbeitsgrundlage verlieren". Daraufhin bot das Kulturreferat den beiden einige "Optionen" an: 40 Quadratmeter im städtischen Atelierhaus am Domagkpark sowie drei weitere Räumlichkeiten, die jedoch nicht in der Zuständigkeit des Referats liegen. Der Bildhauer Gerhart kann nur den Kopf schütteln bei der Vorstellung, seine wuchtigen Steinblöcke in 40 Quadratmeter zu packen und dort mit der Kreissäge zu bearbeiten. Aber darum geht es nicht, sie werden schon etwas finden. Bloß: Wenn man mit ihnen, den arrivierten Künstlern, "so umspringt, was passiert dann mit den Studenten, den jungen Künstlern, die frisch von der Akademie kommen?

Weil ihnen das alles stinkt, stellen sie sich jetzt bockig. Sie pochen darauf, dass sie eine schriftliche Zusage bis Ende 2015 haben, wehren sich juristisch gegen die Kündigung zum Jahresende 2014. Die GWG hat derweil mit den Arbeiten begonnen. In Tanterls Hof stapelt sich Baumaterial, ein Zaun trennt den größten Teil ab. Die Passage zu seiner Türe, erzählt er, dürfe er jetzt nur noch in Absprache mit dem Bauleiter benutzen. "Jetzt terrorisieren sie uns." Dem entgegnet Schmitt, man wolle zügig arbeiten, damit die Miethäuser nicht länger leer stehen als nötig. Und wenn der Tiefhof vor Tanterls Atelier abgebrochen wird, "kann es tatsächlich sein, dass er mal nicht durchgehen kann".

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