EM-Qualifikation in Tiflis:Niederringen, niederkämpfen, niederspielen

Vor dem Spiel am Sonntag macht sich Bundestrainer Löw bei einer launigen Pressekonferenz um die auswärtigen Beziehungen verdient.

Von Philipp Selldorf, Tiflis

Draußen spielten die Buben Nachlaufen mit den Sicherheitsleuten des Hotels. Sobald die einen vor dem Betreten des Hauses abgefangen und mit festem Griff auf den Parkplatz geführt wurden, rutschten die anderen ins Innere des Hauses. Und sobald auch sie vor die Tür gesetzt wurden, kamen die Vertriebenen vom Parkplatz zurück. So ging es munter hin und her, und beinahe hätten zumindest ein paar der jungen Fans ihren Coup gelandet, als die deutschen Nationalspieler in Herdenformation durch die Hotelhalle Richtung Aufzug wandelten - doch gerade dann wurden die Eindringlinge entdeckt und in der Drehtür festgesetzt. So nah dran waren sie nun, und bekamen trotzdem kein Autogramm von Schweinsteiger. Die Spieler verschwanden in den Aufzügen, die Fans auf dem Parkplatz.

Ein Fragesteller trägt Christbaumkugeln am Hut

Auch drinnen wurde gedrängelt und geschubst, als der Bundestrainer zur Pressekonferenz in den Saal einzog. Dass nicht alle der erstaunlich zahlreichen Anwesenden dem amtlichen georgischen Sportjournalistencorps angehörten, wie ein DFB-Mitarbeiter vertrauensvoll verriet, ließ sich auch ohne Insiderinformationen erahnen. Die eingeschmuggelten Schaulustigen waren nicht zu übersehen. Einer zum Beispiel trug auf dem Kopf einen recht albernen Hut mit Georgskreuz, an dem zwei Christbaumkugeln in den Landesfarben baumelten und die Nationalflagge befestigt war, und gab zu Protokoll, er habe schon "Seeler, Schnellinger und Kaiser Franzis" spielen sehen. Ein anderer Mann führte statt Block und Kugelschreiber zwei Schmuckbälle aus dem Souvenirshop mit, die er im Laufe der Veranstaltung an Joachim Löw überreichte. Der Bundestrainer bedankte sich freundlich und lächelte sein völkerverbindendes Lächeln, das er noch etliche Male aufzusetzen genötigt wurde. Als der Mann mit den Christbaumkugeln auf dem Kopf berichtete, er habe nachts zuvor geträumt, das EM-Qualifikationsspiel am Sonntagabend (18 Uhr, RTL) werde 1:1 ausgehen, entgegnete Löw lächelnd: "Für mich wäre das ein Alptraum." Und fügte hinzu: "Aber das wird nicht passieren."

Nachdem sie ihm während seiner Ausführungen mehrmals Applaus gespendet hatten, haben ihm die als Journalisten getarnten Verehrer noch etliche Erinnerungsfotos abverlangt, bis er den Saal verlassen durfte. Löw machte den Spaß gern mit: "In meiner Heimatstadt Freiburg haben viele Georgier gespielt: Iaschwili, Kobiaschwili, Tschikitschwili", berichtete der 55-Jährige mit launigem Unterton und nannte dann auch "Tobias Willi - auch wenn der Deutscher ist. Die Fans haben immer Volker Finkewili gesungen". Löw hat sich auch in Tiflis/Georgien wieder um die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht. Allerdings wies Toni Kroos wenig später mit Recht darauf hin, dass es noch zu früh sei, um ein Urteil über die Gastlichkeit der Georgier zu fällen. Erst sei abzuwarten, "wie es ist, wenn wir das Land wieder verlassen - ob die dann immer noch so freundlich sind, das sehen wir noch".

Fest steht: Die Deutschen sind willkommen in Georgiens Hauptstadt, das EM-Qualifikationsspiel in der Dinamo Arena am Sonntagabend (Ortszeit 20 Uhr/ 18 Uhr deutscher Zeit) ist ausverkauft, 54.000 Besucher werden erwartet. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Die georgische Nationalelf ist nicht so erfolgreich, dass sie bei jeder Gelegenheit die Leidenschaft der Landesleute entfacht. Diesmal ist es vor allem das Team des Weltmeisters, das die große Resonanz hervorgerufen hat. Schon am Flugplatz gab es am Freitagabend einen lebhaften Empfang. Von ihrer eigenen Mannschaft verlangen die Georgier weder einen Kantersieg noch ein schlichtes Remis, bloß einen Auftritt mit Anstand. In der Weltrangliste befindet sich Georgien auf einem Platz zwischen Kuwait und Burundi.

Wie es dem diplomatischen Protokoll bei solchen internationalen Anlässen entspricht, hat der Bundestrainer die Eigenheiten des Gegners trotzdem mit großen Worten gewürdigt. "Wir wissen, dass sie defensiv wahnsinnig gut agieren können", hat Joachim Löw zum Beispiel behauptet. Und dann hat er gesagt, dass seine Mannschaft die Georgier nicht nur "niederringen", sondern auch "niederkämpfen" und "niederspielen" müsse, um die angestrebten drei Punkte in der Qualifikationsgruppe D zu sammeln. Georgien hat bisher zwei Heimspiele bestritten: Gegen Irland gab es ein 1:2, gegen Polen ein 0:4. Das verleitete eine Reporterin (diesmal eine echte) zu der Frage an Toni Kroos, ob die deutschen Spieler sich auf ein leichtes Spiel freuten. Der Mittelfeldspieler erwiderte schlau: "Wenn ich sage, es wird leicht, dann klingt das herablassend und arrogant. Aber wenn wir eine sehr, sehr gute Leistung bringen, dann glaube ich, dass es leicht wird."

Warum ist Deutschland "keine Maschine mehr"?

Dass es mal wieder an der Zeit ist, eine sehr gute Leistung zu bringen, das ist das vorherrschende Gefühl in der Reisegruppe des DFB. Für die Deutschen geht es in Georgien darum, nicht nur an der Korrektur des aus ihrer Sicht schiefen Tabellenstands zu arbeiten, sondern wieder etwas für die Reputation zu tun, die durch das doppelte Stolpern im vorigen Herbst gelitten hat. Warum Deutschland seit dem WM-Sieg "keine Maschine" mehr sei, erkundigte sich in Tiflis einigermaßen irritiert ein Fachmann. Löw versicherte dem Zweifler daraufhin, seine Mannschaft habe nicht den Anspruch, in der Gruppe D lediglich "mitzuschwimmen", sondern in der Schlussrechnung den ersten Tabellenplatz zu übernehmen.

Das erste Pflichtspiel im Jahr 2015 soll daher nicht viel gemein haben mit dem ersten Länderspiel im Jahr 2015, das 2:2 gegen Australien betrachten die Beteiligten als unmaßgebliche Ouvertüre. Ebenso wie die daraufhin angestrengte Systemdebatte, die Löw leichthin als "völlig unerheblich" abtat. In Tiflis soll nun mit Knopfdruck auf Ernstfall geschaltet werden. "Wir wollen jetzt anfangen, uns souverän zu qualifizieren", erklärte Kroos, dem der Bundestrainer am Mittwoch eine Pause verschafft hatte, damit er am Sonntag in frischer Verfassung mit seinen Präzisionspässen das Offensivspiel versorgen kann. Ohnehin wird eine andere Elf auf dem Platz stehen als in Kaiserslautern. Den Wimpeltausch wird dann wieder der vorgesehene Spezialist übernehmen: Dem Kapitän Bastian Schweinsteiger gab Löw am Samstag eine Einsatzgarantie: "Klar, er wird morgen beginnen."

Die deutschen Fußballer werden also am Montagmorgen bei der Abreise vor ihrer Hoteltüre erkennen können, ob sie ihrem Ruf etwas Gutes getan haben. Bedenklich wird's, falls niemand kommt, um Autogramme zu jagen.

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