Kommentar:Zwischen Wehtun und Wegschauen

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Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt die Schau "Fast Fashion". Es geht aber nicht um Mode - sondern um das Grauen.

Von Till Briegleb

Eine Frau mit Céline-Tasche und ihr Freund im blauen Anzug stehen verlegen vor einem Guckkasten und starren auf blutige Schafe, denen brutal das Fell abgezogen wird. Noch beklommener betrachten sie die Fotos der toten Textilarbeiter, die 2013 beim Einsturz der Fabrik "New Wave Style" in Bangladesch erschlagen wurden. Und schließlich dürfte dem Paar unwohl werden - angesichts einer Statistik, wonach jeder Deutsche 27 Kilo Modeartikel pro Jahr kauft, die, im Durchschnitt 1,7 mal getragen, zur Altkleidersammlung wandern.

Offensichtlich haben die beiden Fashion-Victims sich vom Titel dieser Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe täuschen lassen: "Fast Fashion" zeigt nicht tolle Produkte von Zara, Zalando und Zoo York, sondern das Schicksal der echten Fashion Victims. Asiatische Arbeitssklaven, gequälte Tiere, rot schäumende Flüsse und gigantische Abfallberge sind der zweite Preis der Billigmode, die wir in unsere Plastiktüten stopfen. Doch obwohl es spätestens seit Naomi Kleins Bestseller "No Logo" vom Jahr 2000 an Aufklärung über diese Zusammenhänge nicht mangelt, bleiben auch die größten Schock-Kampagnen wirkungslos. Die Systeme der Moral und des Shoppings sind im besten Luhmannschen Sinne unvermittelbar.

In Hamburg liegen sogar nur 200 Meter zwischen dem Museum, wo die Ausstellung stattfindet, und der Fast-Fashion-Meile Mönckebergstraße. Aber dieser Abstand markiert einen fundamentalen gesellschaftlichen Graben, mit Betonung auf "mental". Unternehmer wie Michael Otto engagieren sich zwar für die Umwelt und spenden dem Museum, das "Fast Fashion" zeigt, großzügig Geld für nötige Umbauten. Aber dass eine völlig undemagogische Dokumentation über die Mode-Produktion durch die ECE-Shopping-Malls des Otto-Konzerns wandern könnte, ist absolut unvorstellbar. Dort, wo die Kritik hingehört, ist sie tabu, also ist sie dort, wo sie stattfinden darf, vermutlich verlorene Liebesmüh.

Es ist die Macht der Verlegenheit, die Mode- und Mall-Unternehmer zu Recht fürchten. Denn der schöne Lustgewinn beim Einkaufen lässt sich mit Blick auf Sweatshops und die Lebensverhältnisse von Näherinnen, die nur ein Prozent des Ladenpreises als Lohn erhalten, kaum aufrechterhalten. Diese Unterdrückung beschämender Zusammenhänge geschieht im Sinne der Bilanz natürlich bewusst. Aber manchmal ereilt auch die Verkäufer ein Hauch schlechten Gewissens. In der Mall of Berlin am Leipziger Platz hat der Betreiber, der alles ein bisschen besser machen wollte, Friedens-Sprüche von Gandhi, Reagan und Kennedy vor die Rolltreppen in den Boden graviert. Barack Obama sagt dort, der Lauf der Geschichte beweise, "dass keine Herausforderung zu groß ist für eine Welt, die zusammensteht." Die Welt steht zusammen - nur leider auch auf den zwei Seiten eines Grabens, der uns trennt.

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