Tomas Tranströmer:Der Kapitän

Tomas Transtromer

Zu Hause in Schweden so beliebt wie kaum ein anderer Autor: Der Lyriker Tomas Tranströmer.

(Foto: AP)

Wenige Dichter hatten wie er die Fähigkeit, sehr komplizierte Dinge in sehr einfachen Bildern auszudrücken. Jetzt ist der schwedische Lyriker und Literaturnobelpreisträger Tomas Tranströmer gestorben.

Von Thomas Steinfeld

Tomas Tranströmer war im März 1990 in Venedig. Die Reise dorthin hatte ihm sehr gefallen. In Heidelberg hatte er in der damals noch bestehenden Buchhandlung Braun gelesen, vor sechzig Zuhörern. In Innsbruck schien die Sonne. Doch als der Dichter in Venedig ankam, häuften sich die Widernisse: Die Wohnung nicht weit vom Rialto, die ihm der wie immer im Winter in Venedig lebende Joseph Brodsky vermittelt hatte, erschien ihm "makaber", der ganze Palazzo als ein "Gespensterhaus": "Jetzt gilt es, die Nerven in Form zu halten", schrieb er in sein Tagebuch.

In jener Zeit entstand, in der für Tomas Tranströmer erstaunlich kurzen Zeit von zwei Monaten, das ungewöhnlich lange Gedicht "Trauergondel 2". Es verdankt seinen Titel einem Stück von Franz Liszt, und es enthält die Zeile: "Die grüne Kälte des Meeres dringt durch den Fußboden in den Palast." Es ist zweifelhaft, ob es wirklich das Meer ist, das Venedig durchspült. Aber dass der kalte Fußboden auch zu der Wohnung gehört, in der Tomas Tranströmer damals wohnte, dürfte gewiss sein.

Das Werk des Lyrikers Tomas Tranströmer ist klein. Es beginnt im Jahr 1954, endet im Jahr 2004, und es umfasst nur ein gutes Dutzend schmaler Bände, die zusammen nicht mehr als fünfhundert Seiten ergeben. Im Jahr 2011 erhielt er dafür den Nobelpreis für Literatur, aus gutem Grund, wenn man denn die Fähigkeit, sehr komplizierte Dinge in sehr einfachen Bildern auszudrücken, für ein Argument zu halten bereit ist. Das war am Anfang noch nicht so gewesen. In den "Siebzehn Gedichten", seinem Debüt, geht es noch um den "morschen Mast" des Mondes und ähnliche Freiheiten einer surrealen Moderne.

Als er 1965 in die Provinz zog, war er schon ein berühmter Dichter

Doch schnell rücken an die Stelle der prächtig schillernden Metapher die auf eine knappe Formel verkürzte Erfahrung, das nur für Sekunden aufblitzende Bild, aus dem heraus Tomas Tranströmer große Räume, dramatische Geschichten (wie das Ineinander von Franz Liszt und Richard Wagner, Schwiegervater und Schwiegersohn, beide alte Männer in Venedig) entfaltet, mit der Präzision von Haikus: "Das Gedicht, das völlig möglich ist. // Ich blickte hinaus, als die Zweige schwankten. / Weiße Möwen aßen schwarze Kirschen". Diese Gedichte werden umso lakonischer, je deutlicher sich darin ein "Ich" zu Wort meldet, und es ist nichts Hermetisches an ihnen. Eine für Lyrik ungewöhnliche große Lesergemeinde, vor allem in seinem Heimatland, liebte ihn deswegen.

Tomas Tranströmer, im April 1931 in Stockholm geboren, hatte Södra Latin besucht, ein in Schweden berühmtes humanistisches Gymnasium, zu dessen Schülern der Anakreontiker Carl Michael Bellman wie der Schriftsteller Stig Dagerman gehört hatten. Studiert hatte Tranströmer zuerst Literaturwissenschaft, bevor er sein Examen in Psychologie machte und einen gewöhnlichen Beruf ergriff. Er arbeitete am psychotechnischen Institut der Universität Stockholm sowie als Kurator in einer Jugendstrafanstalt, bevor er 1965 in die Provinz zog, um dort halbtags als Berufsberater in den Arbeitsämtern schwedischer Kleinstädte zu dienen.

Damals war er schon ein berühmter Dichter, nachdem die schwedische Kritik ihn nach dem Band "17 Gedichte", seinem Debüt, zum Genie ausgerufen hatte. Und ein mehr oder minder gewöhnlicher Angestellter blieb er, wenngleich die gleichmäßige Abfolge der Arbeitstage zunehmend von Lesereisen und Preisverleihungen unterbrochen wurde. Ein Schlaganfall, der ihn halbseitig lähmte und ihm das Sprechen und Schreiben raubte, setzte diesem redlichen Leben im Jahr 1990 ein Ende. Danach und bis zu seinem Tod lebte Tomas Tranströmer in Stockholm, unterstützt von seiner Frau, die seine Zeichen verstand und sogar neue Gedichte diktiert bekam, und lange Zeit noch fähig, mit der linken Hand Klavier zu spielen, Franz Schubert vor allem.

"Was mich an den meisten Schriftstellern so stört, ist ihr Wunsch, groß zu sein."

So aber verlief das Leben Tranströmers. Er schien es mit heiterer Gelassenheit hingenommen zu haben, wie ihm alles Drängende, Anspruchsvolle, Avantgardistische, aber auch das Schmerzliche und das Jauchzende fremd war. "Was mich an den meisten Schriftstellern so stört", schrieb er im Sommer 1976 an einen Freund, den amerikanischen Lyriker Robert Bly, "ist ihr Wunsch, groß zu sein." Zwar dichtete er hauptsächlich in freien Versen, ohne Rhythmus und Reim, aber es gibt nicht ein Gedicht von ihm, in dem sich, und wäre es durch bloße Apartheit, ein lyrisches Ich aufspreizte.

Er dichtete sachlich, im emphatischen Sinne des Wortes - obwohl man doch stets merkte, dass es persönliche Erfahrungen waren, die da gestaltet wurden: "Das Oktobermeer blinkt kalt / mit seiner Rückenflosse aus Luftspiegelungen. // Nichts ist zurückgeblieben, was sich an den weißen / Taumel der Segelregatten erinnert. // Bernsteinlicht über der Stadt. / Und alle Geräusche in langsamer Flucht. // Die Hieroglyphe eines Hundegebells steht in die Luft / über dem Garten gemalt, // wo die gelbe Frucht den Baum / überlistet und sich fallen lässt."

Lebenserinnerungen auf 80 Seiten

Das ist Tomas Tranströmer, ein Gedicht aus dem Jahr 1958, das "Wettergemälde" heißt und von Hanns Grössel übertragen wurde, ohne den Tomas Tranströmer zumindest auf Deutsch nicht existiert hätte. Seine Lebenserinnerungen "Minnena ser mig" ("Die Erinnerungen sehen mich", 1993) sind gerade einmal achtzig Seiten lang, und zwar nicht, weil es nichts zu sagen gegeben hätte, sondern weil sich das, was zu sagen war, so verdichten ließ, bis eine jede Erinnerung die Qualität eines kleinformatigen Bildes annahm, in dem eine ganze Lebenslage zusammengefasst erscheint.

Nobel Prize in Literature 2011 laureate Swedish Tomas Tranströme

2011 nahm Tranströmer, fast stumm, den Nobelpreis für Literatur entgegen.

(Foto: dpa)

Tomas Tranströmers Großvater mütterlicherseits war Lotse gewesen. Die Familie besaß ein Sommerhaus in den Schären vor Stockholm, und die Bilder von dort durchziehen sein ganzes Werk: "Wir haben viele Schatten", heißt es in dem Gedicht "Der vergessene Kapitän" aus dem Jahr 1989, "Ich war auf dem Heimweg / in der Septembernacht, als Ö / nach vierzig Jahren aus seinem Grab stieg / und mir Gesellschaft leistete."

An dieser übersinnlichen Situation ist nichts Spektakuläres, sie stellt nur eine Art Ausweitung der alltäglichen Erfahrung dar: "Jetzt gilt es, die Nerven in Form zu halten", dieser pragmatische Satz scheint auch für die Begegnung mit dem Kapitän zu gelten: Für einen Augenblick ist die Tyrannei der verrinnenden Zeit aufgehoben. Es tut sich eine Lücke auf zwischen Vergangenheit und Gegenwart, und durch diesen Spalt fährt das Gedicht, mit dem Dichter als eher schweigsamem Lotsen und dem Leser als plapperndem Passagier. Am Donnerstag ist der Kapitän Tomas Tranströmer im Alter von 83 Jahren gestorben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: