Spurensuche:Der perfekte Mensch

Spurensuche: Gotteskind - Ethan Hawke als Vincent in "Gattaca", 1997.

Gotteskind - Ethan Hawke als Vincent in "Gattaca", 1997.

(Foto: Verleih)

Wieder einmal streiten Wissenschaftler, wie weit DNA-Manipulationen gehen dürfen. Ein Thema, das der Film "Gattaca" schon vor Jahren klug erörtert hat.

Von Susan Vahabzadeh

Die Dinge, von denen er erzählte, hatten noch gar keine Namen, als sich Andrew Niccol diese Geschichte ausdachte. Begriffe wie "Genome Editing" waren noch nicht in der Welt, und dass die Menschen eines Tages ihr Erbgut überarbeiten und ihre Babys tunen, bevor sie geboren sind, war noch kein kollektiver Albtraum. 1997 war das, "Gattaca" kam ins Kino, das Regiedebüt eines 33-jährigen Filmemachers, von dem noch keiner gehört hatte, Andrew Niccol. Niccol hatte sehr viel Gespür für den Zeitgeist. Er hatte vorher schon ein Drehbuch geschrieben, das noch nicht verfilmt war, "Die Truman Show", über einen Mann, der nicht weiß, dass er in einer Doku-Soap lebt.

"Gattaca" war mehr als nur Zeitgeist. Ist der Wille stärker als die genetische Determinierung? Niccol machte sich Gedanken über Ängste, die gerade erst entstanden: Kann man Krankheiten ausmerzen, den perfekten Menschen schaffen - und was passiert dann, wie sähe die Gesellschaft aus, die daraus entstünde? Gerade in den letzten zwei Wochen haben Wissenschaftler angemahnt, diese Diskussionen jetzt zu führen, haben gar ein Moratorium verlangt. Dabei geht es um Techniken, die erst seit Ende der Neunziger erfunden wurden - mit ihnen rückt "Gattaca" ein Stückchen näher aus dem Reich der Fiktionen an uns heran. Die ethische Debatte kreist um sehr viele der Aspekte, um die es im Film geht: Was für Kinder würden wir uns denn erschaffen, wenn man bestimmen könnte, wie sie sind?

Genmanipulation ist Normalität in der Zukunft, in der Vincent lebt. Vincent, gespielt von Ethan Hawke, gehört einer minderwertigen Klasse an: Er wurde natürlich gezeugt. Ganz schlecht, wenn ein Bewerbungsgespräch nur die Sekunden dauert, die das Gegenüber braucht, die innere Zusammensetzung des Bewerbers am Bildschirm abzuchecken. Vincent darf nur niedere Arbeiten verrichten, gehört nicht dazu, weil er als minderwertig gilt mit seinem Öko-Erbgut. Er hat einen Sehfehler, ein schwaches Herz, seine Lebenserwartung ist nicht berauschend. Aber seine Träume sind größer als die der anderen - er will an einer Expedition Richtung Saturn teilnehmen. Immer schon, sagt seine Stimme aus dem Off, habe er davon geträumt, in eine andere Welt aufzubrechen, weil er diese nicht mögen konnte.

Um das zu schaffen, muss er seine genetische Identität tauschen, mit Jerome (Jude Law), der perfekt geplant war, aber gelähmt ist seit einem Unfall. Mit den falschen Blut- und Urinproben und nach einer schmerzhaften Prozedur, die ihn ein bisschen größer gemacht hat, kann Vincent nun als Jerome Karriere machen, am Computer sitzen und programmieren, das Nonplusultra in dieser Welt: Herr über die Technik, vielleicht, weil sie da träumen können, noch etwas zu beherrschen, statt sich so ausgeliefert zu fühlen, wie sie es sind. Er bewirbt sich um einen Platz in der Expedition - Gattaca heißt die Firma. Die Buchstaben g, t, a und c beziehen sich auf die vier organischen Basen, aus denen sich unsere DNA zusammensetzt.

Es ist keine glorreiche Science-Fiction, die sich Niccol da ausgedacht hat. Bildschöne Menschen werden schon vorab so zusammengestellt, dass die plastische Chirurgie überflüssig geworden ist. Einmal schaut Vincent ein Kontrolleur in die Hose und wundert sich - da haben, sagt Vincent, seine Eltern es sehr gut mit ihm gemeint. Ach ja: Lieben soll man hier natürlich nur einen kompatiblen Gensatz. Die Frau, die Vincent kennenlernt (Uma Thurman, die ja tatsächlich so perfekt aussieht, als habe man jeden ihrer Züge minutiös überarbeitet und verfeinert), kommt eigentlich nicht für ihn in Frage. Sie ist ja das Produkt von "Genome Editing". "Früher hieß es", sagt Vincent, "ein Kind der Liebe habe größere Chancen, glücklich zu werden; man sagt das nicht mehr."

Ein Verbrechen bringt Vincent in Bedrängnis, die Ermittlungen zum Mord an einem Vorgesetzten drohen seine Tarnung auffliegen zu lassen, man findet eine Wimper, die einem der minderwertigen, unmanipulierten Gotteskinder gehören muss, und ein Test würde ihn als Schwindler entlarven . . .

Ein Schreckensuniversum, und doch ist "Gattaca" ein ganz hoffnungsvoller Film - denn diese Menschen, editiert oder auch nicht, entscheiden immer wieder mit dem Herzen. Ein Arzt beispielsweise, der immer schon gewusst hat, das Vincent nicht Jerome sein kann und ihn doch nicht verrät. Seinem Bruder, der nicht natürlich gezeugt ist, muss Vincent in einem Wettbewerb schlagen, damit er ihn nicht verrät, beim Schwimmen. Er schafft es.

Das ist das hoffnungsvolle an "Gattaca" - der feste Glaube, dass das Geheimnis des Lebens letztlich nicht zu entschlüsseln ist. Vincent gewinnt, weil etwas ihn dazu treibt, was man nicht manipulieren und nicht klonen kann. Vielleicht gewinnt er sogar, weil das, was Menschen ausmacht, auch in ihren Fehlern verborgen ist. Und dennoch lässt einen Niccols Zukunft frösteln. Die Kinder, deren genetische Zusammensetzung man bestellen könnte wie ein Menü im Restaurant, wie wären die denn nun? Artige kleine Streber, oder brüllende Nervensägen, die später mal große Revoluzzer werden und den Lauf der Welt verändern? Es gibt, sagt Vincent einmal, kein Gen, das das Schicksal bestimmt.

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