BASF:Von Ludwigshafen in die Welt

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Deutschland hat nicht mehr viele globale Champions in einer Schlüsselindustrie. BASF ist einer, sieht aber seinen Schwerpunkt woanders.

Von Helga Einecke

Der Chemiekonzern BASF hält sich im Jubiläumsjahr 2015 nicht groß mit der eigenen Geschichte auf. Gut, die Manager um den Vorstandsvorsitzenden Kurt Bock spendieren den Mitarbeitern mit Blick auf die 150 Jahre Brot und Spiele, sprich Prämien und Feiern. Aber dafür müssen die tüchtig Ideen sammeln, nach vorne und nicht zurück blicken. Es geht um Energie, Ernährung und städtisches Leben. Das konzertierte Gehirnschmalz aus dem BASF-Kosmos von Ludwigshafen über New York, São Paulo, Mumbai bis Shanghai soll in ein virtuelles Labor namens "Creator Space" fließen. Auch Externe sind eingebunden.

Ein Rohstoffkonzern stilisiert sich also zur internationalen Denkfabrik. Was abwegig klingt, ergibt Sinn, wenn man an die bahnbrechenden Erfindungen der Chemie in der Vergangenheit denkt. Die BASF will mit dem Projekt ihre Stellung als Weltmarktführer einer Schlüsselindustrie herausstreichen und festigen. "Kein anderes Unternehmen der Branche verfügt über eine so breite Technologiebasis wie wir", behauptet Bock.

Die drei Themen sind bewusst gewählt. Zum Beispiel Energie, der wichtigste Rohstoff der Chemie. In ihren sechs größten Fabriken bringt die BASF vorne Öl oder Gas hinein und lässt hinten Plastikfolie, Spritzmittel oder Lacke herauskommen. Eng vernetzt nutzt sie Abwärme und spart Abfälle. Verbund nennt sich dieses Konzept, und niemand beherrscht es so wie BASF, ja es ging sogar in den angelsächsischen Wortschatz ein.

Um sich Zugang zu fossilen Brennstoffen zu sichern, hatte man sich einst die Kohlegrube Auguste Viktoria einverleibt. Heute beschafft die Tochter Wintershall Öl und Gas, vor allem als Gegengewicht zum schwankenden Chemieabsatz. Nach der Wende übernahm sie die Lieferverträge der DDR mit dem russischen Konzern Gazprom. Handel, Speicher, Exploration gehören heute zum BASF-Geschäft, ob in Sibirien, der Nordsee oder in Libyen.

Lange erwies sich die Energiesparte als Goldader. Nun aber sorgen die Russlandkrise, der Schiefergasboom in den USA und der Sturz der Ölpreise für Turbulenzen. Nach einem geplatzten Tauschgeschäft mit Gazprom muss sich der Konzern der Frage nach der strategischen Bedeutung von Öl und Gas neu stellen, die mehr denn je von politischen Faktoren bestimmt wird. Vor allem in Deutschland, der noch immer starken Heimatbasis der BASF. Hier treibt die Energiewende die Preise und schürt Ängste vor Stromausfällen. "Deutschland ist für uns ein Hochrisikoland, was Öl und Gas angeht", sagt Bock. Er meint damit, die mangelnden Genehmigungen für Bohrungen.

Die neue Gemengelage macht die USA attraktiver. Die BASF investiert dort kräftig. In Texas an der Golfküste plant der Konzern für über eine Milliarde Euro ein neues Werk, das günstiges Schiefergas zu Propylen verarbeiten soll. In die USA verlagert wurde bereits die Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen, wie etwa mit der Stärkekartoffel Amflora, weil die Europäer von gentechnisch veränderter Nahrung nichts wissen wollen. Im Überflussland Deutschland mögen Ernährung und Chemie nicht zusammenpassen. Aber weltweit gelingen höhere Ernteerträge nur mit Gentechnik oder mit Kunstdünger, einem frühen Erfolgsprodukt der BASF, glaubt man im Konzern. Vor hundert Jahren nahm BASF die erste Ammoniakanlage in Betrieb, das Haber-Bosch-Verfahren war damals eine Sensation. Heute geht es eher um kleine Fortschritte, wie der BASF-Chef in einem Experiment demonstriert: Bock hält zwei Reagenzgläser in die Höhe, füllt sie mit Flüssigkeiten. Links schäumt es schnell himmelblau, rechts tut sich wenig. Klar, das dynamische Zeug links stammt von BASF, saugt in Windeln alles weg und nennt sich Superabsorber Saviva. "Es geht um glückliche Babys", stellt Bock zufrieden fest. Das Umrüsten auf dieses neue Verfahren für die Pampers kostet weltweit Millionen. Auch supergedämmte Adidas-Turnschuhe und leichte Kunststoffe-Teile für bekannte Automarken gehören zum Repertoire der Chemiker.

So sehr sich die BASF bemüht, am Puls der Zeit zu bleiben, so stark ist sie vom Lauf der Konjunktur abhängig. Denn alle ihre Produkte gehen in die industrielle Fertigung ein. Die gesamte Chemie soll jährlich vier Prozent zulegen, lauten die einschlägigen Prognosen. Die BASF aber will schneller wachsen. Dafür hat sie schon vor Jahren stark in Asien, vor allem in China, ausgebaut. Für neue Anlagen und Technologien rollt mehr Geld in den Rest der Welt als nach Europa.

Glaubt man dem Historiker Werner Plumpe, dann hat die BASF aber ihren Erfolg als globaler Champion vor allem dem Standort Deutschland zu verdanken. Die Amerikaner könnten in ihrem großen einheitlichen Markt mit ein bis zwei Produkten überleben. In Europa forderten die Kunden jedes Landes etwas anderes. Schon deshalb hätte "die Badische", wie Plumpe sie nennt, stets forschen, Kosten optimieren, auf Qualität achten müssen.

Im Raum Rhein-Neckar werden Leute, die für BASF arbeiten, als "die Aniliner" bezeichnet, obwohl Farben in Ludwigshafen keine Rolle mehr spielen. BASF-Gründer Friedrich Engelhorn stellte aus dem Abfallprodukt Steinkohlenteer Anilin und Fuchsin her und experimentierte mit künstlichen Farben. Damals waren die Menschen so verrückt nach Farben wie heute nach Smartphones. Engelhorns Fabrik gewann das Wettrennen um das synthetische Indigo, dem begehrtesten aller Farbstoffe, heute bekannt von den Blue Jeans. Damals kostete das Jahrzehnte intensiver Forschung und mehr Geld als das Grundkapital.

Heute würden Aktionäre, Investoren und Mitarbeiter einen solch riskanten Kurs wohl kaum unterstützen. Die BASF jedenfalls scheut das Klumpenrisiko und müht sich, ihre Chemikalien möglichst breit und möglichst nah an den Kunden herzustellen. Deshalb hat man in Asien, dem Wachstumsmarkt schlechthin, und dort vor allem in China, bereits große Kapazitäten hochgezogen. Welchen Stellenwert dieser Erdteil für den Konzern hat, wird zum Jubiläumsjahr in einem Buch mit dem Titel "Eine lange Reise" beschrieben. Bereits 1885 fand der Aufbruch statt, heute macht der BASF in Fernost kaum einer mehr etwas vor. Das Buch mag auch eine kleine Verbeugung vor dem Aufsichtsratsvorsitzenden Jürgen Hambrecht sein, der in seiner aktiven Zeit die Karte China fleißig zog.

Seinen Anspruch als Weltmarktführer untermauerte der Chemiekonzern zuletzt mit einer ganzen Reihe von Zukäufen und Verkäufen. Damit setzt er weniger auf Massenprodukte und mehr auf Spezialitäten, und zwar aus einem einfachen Grund: Die Spezialitäten werfen mehr Gewinn ab. Dabei hat man in Ludwigshafen nie die eigene Strategie aus den Augen verloren.

Frühzeitig verkaufte BASF die Pharmazeutika und grenzte sich damit von den fast gleichaltrigen Konkurrenten Bayer und der inzwischen zerschlagenen Hoechst ab. Von der Abspaltung ganzer Konzernbereiche im Stil von Siemens und Bayer will man in Ludwigshafen nichts wissen. Das würde die Verbundproduktion und damit das eigene Erfolgsrezept sprengen,

Eher konservativ geht es an der Spitze zu. Im Management bringen es traditionell Talente aus den Reihen ganz nach oben, früher Chemiker, heute in Bock ein Finanzfachmann. In dem Amerikaner Wayne T. Smith und dem Inder Sanjeev Gandhi sind nun zwei Top-Leute ohne deutschen Pass dabei, auch das ein Signal des Aufbruchs von Europa aus nach Asien und in die USA.

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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