Semaine du Dessin:Van Gogh bis Tiepolo

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Wie jeden März strömen Liebhaber der Handzeichnung nach Paris - das Angebot stimmt, von Altmeistern über deutsche Romantiker bis Ingres und Gauguin.

Von Dorothea Baumer

Für Liebhaber der Handzeichnung, für Sammler und Kuratoren der einschlägigen Museen empfiehlt sich Paris in diesen Tagen als ein El Dorado. An die zwei Dutzend Museen und Institutionen, darunter der Louvre und die Bibliothèque nationale, zelebrieren in einer andernorts nicht leicht vorstellbaren Fülle eine "Semaine du Dessin". Zentraler Schauplatz ist der "Salon du Dessin" in der alten Börse - jene 1991 von gerade einmal neun französischen Händlern gegründete Messe, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten zum weltbesten Forum für Originalzeichnungen geworden ist. Das Angebotsspektrum sucht seinesgleichen, nicht zuletzt amerikanische Museumskuratoren finden hier bevorzugt ihre Neuerwerbungen.

Bei den alten Meistern der Zeichnung werden die Werke auf dem Markt knapp

Die Messe hat das dem Medium angemessene Format. Sie bietet einen intimen Rahmen, ist mit rund vierzig exklusiv der Zeichnung verpflichteten Spitzenhändlern überschaubar. Merklich verändert hat sich in jüngster Zeit der Angebotsschwerpunkt: Das 19. Jahrhundert ist präsent wie nie. Während die Klassische Moderne zunehmend an Gewicht gewinnt, ist die Materialknappheit im Altmeisterbereich nicht mehr zu übersehen. Zählten noch im vergangenen Jahr zwei Renaissance-Zeichnungen von Fra Bartolomeo zu den spektakulärsten Exponaten, teilen sich die Spitzenpositionen diesmal Werke der Moderne oder Vormoderne.

Wer nach Altmeisterblättern Ausschau hält, kann allerdings nach wie vor fündig werden, sehr gut etwa im 18. Jahrhundert. Bei Katrin Bellinger, der Münchner Spezialistin, wird eine feine Kostümstudie mit Schauspielern des theateraffinen Lehrers von Antoine Watteau, Claude Gillot, angeboten, ausgezeichnet mit 52 000 Euro. Werke der Tiepolos wären zu haben. Marty de Cambiaire gibt als einer der sieben Neuaussteller in diesem Jahr mit einem in roter und schwarzer Kreide umrissenen sitzenden Akt des Vaters Giambattista sein Debüt, während sich Sohn Gian Domenico bei Eric Coatalem mit einer bildhaft ausgeführten "Vermählung der Jungfrau Maria" präsentiert. Als ein französischer Klassierst reinsten Wassers ist der noch im 18. Jahrhundert geborene Jean-Auguste-Dominique Ingres mehrfach vertreten; am prominentesten beim Londoner Stephen Ongpin, der ein großes, mehrfiguriges und teilweise collagiertes Portrait schärfster Präzision der "Familie Gatteaux" bereithält, das dann auch 350 000 Euro kosten soll. Bei Jean-Luc Baroni ist ein Ingres-Portrait mit einer frühen Lucian Freud-Zeichnung und einer Gouache von Paul Gauguin, "Négreries Martinique" von 1890, zu einer modernen Trias vereint. Bemerkenswert an dem kleinen farbigen Gauguin ist nicht nur sein Preis von zwei Millionen Euro, sondern auch seine Provenienz. Das Blatt gehörte vor 1912 Alexej Jawlensky, bevor es offenbar der Galerist Thannhauser übernahm, dürfte also auch bei den anderen Künstlern des Blauen Reiters gut bekannt gewesen sein.

Mit wunderbaren Landschaftsskizzen deutscher Romantiker kann die Münchner Galerie Arnoldi-Livie aufwarten. Ein Aquarell des so talentierten wie früh verstorbenen Ludwig Fohr war schon zur Vernissage reserviert. Ein beidseitig bearbeitetes Blatt von Ernst Fries ist 1828 auf einer gemeinsamen italienischen Wanderung mit Camille Corot entstanden und zeigt, neben einer zarten figürlichen Studie, eine Landschaft, die zum Vergleich geradezu einlädt, da sie auch der französische Künstlerfreund festhielt. Das Doppelblatt ist mit 24 000 Euro ausgezeichnet. Deutsche Zeichner spielen auch beim Hamburger Martin Moeller die Hauptrolle, der ein anregendes Ensemble von ganz beiläufig fixierten Lesenden und Ruhenden von Macke, Liebermann oder Menzel und sogar Zille ins Zentrum seiner Offerte rückt, daneben auch einen der zauberhaften Scherenschnitte von Otto Runge bereithält, eine Mohnblüte, für die er 120 000 Euro erwartet. Die zeichnenden und aquarellierenden Schriftsteller Georges Sand und Victor Hugo sind zu entdecken, Georges Sand sogar als eine vorzeitige Tachistin. "Tache" ist ihr kleines abstraktes Aquarell von 1873 betitelt, ein Kuriosum, das für 13 000 Euro bei der New Yorker Kunsthändlerin Jill Newhouse auf einen Liebhaber wartet.

Von anderer Statur ist da natürlich Victor Hugo, der ja nicht erst seit heute als ein Vormoderner gefeiert wird und in dem Genfer Galeristen Jan Krugier seinen passioniertesten Sammler fand. Tatsächlich stammen die vier von der Hamburger Galerie Le Claire aufgebotenen, von einer schönen Publikation begleiteten Arbeiten aus dessen ehemaliger Sammlung. Die geheimnisvollste Ruinen-Szenerie darunter ist dann auch 220 000 Euro teuer.

Eine der hochkarätigsten Kojen hat der zum zweiten Mal teilnehmende David Tunick aus New York bestückt. Bei ihm hat die Wiener Moderne einen glanzvollen Auftritt, mit Porträtzeichnungen von Klimt und Schiele, die bereits 1918 in eine Privatsammlung gelangten. Nicht alle Tage auch sieht man eine so dichte, fast abstrakte Kohlezeichnung Vincent van Goghs, wie die Hinterhofszene beim Zürcher Cuéllar, ein Millionenblatt, das man so nah wie in keinem Museum betrachten darf. Einer der ganz überragenden Zeichner dieses Salons ist zweifellos Edgar Degas. Seine Körperstudien bei Stephen Ongpin fallen schon von weitem ins Auge. Solche Kühnheiten, ist man versucht zu sagen, sind eigentlich jeden Preis wert.

Bis 30. März. Palais Brongniart, Place de la Bourse, Paris.

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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