Lufthansa-Chef Carsten Spohr:Der Mann, der redet

Lufthansa-Chef Carsten Spohr: Carsten Spohr ist noch nicht ein Jahr im Amt. Nun muss der 48-Jährige den schlimmsten Unfall in der Geschichte des Unternehmens erklären.

Carsten Spohr ist noch nicht ein Jahr im Amt. Nun muss der 48-Jährige den schlimmsten Unfall in der Geschichte des Unternehmens erklären.

(Foto: AP)
  • Seit dem Absturz in Frankreich ist nichts mehr, wie es vorher war - nicht für die Luftfahrtindustrie, nicht für die Deutsche Lufthansa und auch nicht für Carsten Spohr persönlich, den Lufthansa-Chef.
  • Spohr ist es nun vor allem, der die passenden Worte für das Grauen finden muss, obwohl es dafür keine Worte gibt.

Von Caspar Busse, Jens Flottau und Ulrich Schäfer

Mehr als sechs Jahre ist Carsten Spohr schon nicht mehr geflogen. Jedenfalls ganz vorne im Cockpit nicht, als Pilot eines Airbus mit Passagieren. "Das Fliegen fehlt mir", gestand der gelernte Pilot vor ein paar Monaten. Seine Lizenz als Flugzeugführer erhält sich Spohr durch regelmäßige Trainings im Simulator, auch wenn das viel Zeit kostet. Vor 22 Jahren hat er die Verkehrspilotenlizenz an der Lufthansa-Verkehrsfliegerschule in Bremen und Phoenix erworben. "Ich bin bei jedem Flug kurz im Cockpit", sagt Spohr - und der Lufthansa-Boss ist naturgemäß oft unterwegs.

Spohr ist also noch heute berechtigt, einen A320 zu fliegen. Eine Maschine genau dieses Typs mit 150 Menschen an Bord ist in dieser Woche in den französischen Alpen zerschellt, sie wurde vom Copiloten, so glaubt die Staatsanwaltschaft, gezielt zum Absturz gebracht. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, ein paar Stunden früher als die Medien, haben sie bei der Lufthansa von dieser ungeheuerlichen Wendung in dieser Geschichte erfahren.

Seitdem ist nichts mehr, wie es vorher war, nicht für die Luftfahrtindustrie, nicht für die Deutsche Lufthansa, dieses Symbol der deutschen Wirtschaft, und auch nicht für - Carsten Spohr persönlich. Die Lufthansa: Das ist nicht irgendeine Airline. Sondern der ehemalige Staatsbetrieb, privatisiert in den 1990er-Jahren, zählt zum Stolz des Landes. So wie der Daimler. So wie Siemens. Und so wie früher auch die Deutsche Bank. Der Chef dieser Lufthansa ist mithin ebenso wenig irgendein Boss.

Welche nationale Bedeutung die Lufthansa mit ihrem Kranich-Logo besitzt, spürte man zum Beispiel an jenem denkwürdigen Montag im Juli vergangenen Jahres, als ebendiese Fluggesellschaft - wer auch sonst? - die deutschen Fußballweltmeister heim nach Berlin gebracht hat. Da flog, eingefädelt von Spohr, der Jumbojet aus Rio de Janeiro mit wackelnden Flügeln über die Fanmeile am Brandenburger Tor hinweg, und nicht Angela Merkel, sondern Spohr begrüßte die Helden von Brasilien als Erster auf deutschem Boden. Er strahlte. Er lachte. "Siegerflieger" hatten sie auf den Rumpf der Maschine geschrieben.

Ein paar Wochen war Carsten Spohr da gerade erst im Amt. Und nun, neun Monate später, scheint dieser Moment weiter entfernt zu sein denn je. Nun muss der 48-Jährige das Unerklärliche erklären. Er muss die passenden Worte für das Grauen finden, obwohl es dafür keine Worte gibt. Er muss Verantwortung übernehmen für ein Unglück, eine Katastrophe, die er selbst für unvorstellbar gehalten hat.

Es ist der schlimmste Unfall in der Geschichte des Unternehmens; der Absturz des Germanwings-Fluges 4U 9525 ist der erste Totalverlust einer Maschine im Reiseflug für den Konzern überhaupt. Lufthansa-Maschinen stürzen nicht ab, sagten sich die Kunden des Unternehmens stets, wenn irgendwo auf der Welt mal wieder das Flugzeug einer anderen Airline abgestürzt war. Die Lufthansa: Das war ein Symbol für Sicherheit, ein Inbegriff für deutsche Zuverlässigkeit. Gilt das noch?

"Das ist mit Abstand das Schlimmste, seit ich in dieser Branche bin"

Schwere Unglücke haben immer wieder Fluggesellschaften in tiefe, manchmal sogar existenzielle Krisen gestürzt, zuletzt etwa Malaysia Airlines oder früher Pan American und TWA. Ist nun auch Lufthansa in Gefahr? Wie verkraften die 119 000 Mitarbeiter diesen Horror? Wie groß wird der Reputationsschaden sein? Und wird die Airline die gewaltigen Schadenersatzklagen bewältigen können, die nun - wenn sich der Verdacht über die Unfallursache erhärten sollte - auf sie zurollen werden?

Es geht um die Existenz des Unternehmens, und es kommt nun auf niemanden mehr an als auf Carsten Spohr. Der Mann aus Wanne-Eickel, dessen Herkunft aus dem Ruhrgebiet man ihm anhört und der mit seiner Familie in München lebt, ist seit Dienstag ununterbrochen im Einsatz. Er schickt keine anderen Manager oder die Unternehmenssprecher vor, er versteckt sich nicht hinter neutralen Statements. Er macht, bisher jedenfalls, nicht jene typischen Fehler, die Konzernchefs oder Politiker immer wieder machen, wenn sie in Bedrängnis geraten. Sondern er geht raus. Spricht mit Politikern, Mitarbeitern, Hinterbliebenen. Geht ins Fernsehen.

"Das passt in keine Schublade"

Wenige Stunden nach dem Absturz tritt Spohr im Lufthansa Airport Center, der futuristischen Hauptverwaltung der Airline am Frankfurter Flughafen, das erste Mal vor die Presse. Er trägt einen dunklen Anzug und eine schwarze Krawatte. Eine schwarze Krawatte trägt er seither jeden Tag. Spohr ist normalerweise ein fröhlicher, leutseliger Mensch, der auf andere zugeht. Der scherzt und lacht. Ein jovialer Typ. Nun sagt er: "Wir sind hier alle zutiefst erschüttert und bestürzt." Er senkt den Blick zum Boden, seine Stimme ist brüchig. Man merkt ihm das Entsetzen an, und dabei war da das ganze Ausmaß der Tragödie noch gar nicht bekannt.

Nur wenige Stunden später fliegt er zusammen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verkehrsminister Alexander Dobrindt an die Unfallstelle in den französischen Alpen, schaut das Grauen von oben aus dem Hubschrauber an. "Das ist das mit Abstand Schlimmste der vergangenen 20 Jahre, seit ich in dieser Branche bin", sagt er am Abend, unmittelbar nach seiner Rückkehr, in den "Tagesthemen" der ARD.

Wie viele andere Topmanager hat Spohr sicherlich ein Training für Krisensituationen absolviert. Aber diese Krise hier ist ohne Beispiel, so etwas kann nicht geübt werden. "Das passt in keine Schublade", meint ein erfahrener Kommunikator, der ihn berät. Man habe Spohr nicht drängen müssen, sondern es sei ihm klar gewesen, dass er nun in die Öffentlichkeit müsse, heißt es. Er absolviert die Auftritte ohne ausführliche Manuskripte, spricht meist frei.

Am Mittwoch geht es weiter im Krisenmodus. Spohr erlebt zunächst zusammen mit seinen Mitarbeitern in Frankfurt die konzernweite Schweigeminute. Dann macht er sich auf nach Düsseldorf, wo er mit Germanwings-Chef Thomas Winkelmann Angehörige der Opfer besucht. Anschließend fliegt er nach Barcelona, um auch dort trauernde Familien zu treffen.

Am Donnerstag muss Spohr in Köln in der Zentrale von Germanwings erklären, was passiert ist - erst den Mitarbeitern, dann der Öffentlichkeit. "Wir stehen vor einem riesigen Rätsel", sagt er. Es sei eine Tragödie, die man sich in den schlimmsten Albträumen nicht vorstellen könne. Er stellt sich auch in dieser schwierigen Stunde demonstrativ vor die Piloten, mit denen er seit Monaten über deren Altersvorsorge streitet: "Es sind die besten der Welt." Er schließt die Pressekonferenz mit den Worten: "Dass das gerade uns passiert, das tut uns einfach nur leid."

Tage im Ausnahmezustand

Am späten Donnerstagabend ist er erneut für ein Live-Interview in den "Tagesthemen" zugeschaltet. Zwei Tage zuvor, sagt Moderatorin Caren Miosga zur Begrüßung, habe Spohr gesagt, dies sei der schwärzeste Tag in der Geschichte der Lufthansa. Und was sei das nun heute, will sie von ihm wissen. Spohr macht eine kleine Pause. Dann redet er nicht über sein Unternehmen, sondern zunächst darüber, wie sehr ihn das Leid der Angehörigen bewegt.

Es sind Stunden und Tage im Ausnahmezustand. Und noch - jedenfalls bis zum Freitag - hat Spohr nach Ansicht von Kommunikationsexperten keinen Fehler gemacht. Noch hat er sich nicht in Widersprüche verheddert. Noch hat er keine Aussagen, die er gemacht hat, revidieren müssen. Aber wie lange hält er das durch? Wann macht auch er einen Fehler?

Training für Krisensituationen

Viele Topmanager haben ein Training für Krisensituationen absolviert. Aber die Krise bei der Lufthansa ist ohne Beispiel, so etwas kann nicht geübt werden. "Das passt in keine Schublade", meint ein erfahrener Kommunikator. Man habe Spohr nicht drängen müssen, es sei ihm klar gewesen, dass er nun in die Öffentlichkeit müsse. Er absolviert die Auftritte ohne ausführliche Manuskripte, spricht meist frei.

Zu Hilfe kommt Spohr seine jugendliche und offene Art. Er sei ein "natürlicher Kommunikator", meint dazu einer, der in diesen Tagen dabei ist. Und einer, der es nicht so gut mit Spohr meint, mäkelt leicht genervt, dass der Lufthansa-Chef in den vergangenen Wochen auch nach dem zwölften Pilotenstreik noch gute Laune verbreitet habe. Seit dem Flug 4U 9525 ist das allerdings vorbei.

Spohr, der Sohn eines Bauingenieurs und selbst Wirtschaftsingenieur, ist ein zielstrebiger, ehrgeiziger Manager. Er hat im Jahr 1994 gleich nach einem Einser-Examen bei der Lufthansa angeheuert und schon früh einen Traum gehabt: Eines Tages wollte er ganz oben an der Spitze stehen. Er machte Karriere, war als Vorstand nacheinander für die beiden Kernbereiche Cargo- und Passagiergeschäft zuständig.

Als Lufthansa-Chef Christoph Franz im Herbst 2013 überraschend seinen Wechsel zum Schweizer Pharmakonzern Roche ankündigte, war die große Chance gekommen: Spohr galt sofort als einer der aussichtsreichen Kandidaten. Und er selbst hielt sich fraglos für den Richtigen. Doch im Aufsichtsrat hatten sie so ihre Zweifel, ein halbes Jahr wurde debattiert, wurden andere, externe Kandidaten gesichtet. Erst dann machte Spohr das Rennen: Ein Start mit Hindernissen - und auch sein erstes Jahr im Amt war voller Hindernisse.

Was passiert mit den Streiks?

Zwei Gewinnwarnungen hat Spohr den Investoren verkaufen müssen, weil das Geschäft schlechter lief als geplant - und die Streiks der Piloten die Airline weit mehr Geld gekostet haben als erwartet. Spohr musste einräumen, dass das Sanierungsprogramm mit dem Namen Score lediglich dafür gesorgt hat, dass die Lage bei Lufthansa nicht noch viel schlechter wurde. Und nun das, was seit 22 Jahren kein Vorstandsvorsitzender der Lufthansa bewältigen musste: ein Absturz mit vielen Toten. Und verantwortlich ist dafür, so wie es aussieht, ein Pilot. Ein Pilot wie er. Ein Pilot wie auch Spohrs Bruder, der bei der Lufthansa als Ausbildungskapitän arbeitet.

Spohr hat vor ein paar Monaten gesagt: "Ich habe die Piloten-Mütze immer gerne getragen." Die Faszination für das Cockpit, für den Platz ganz vorne war auch später immer da. Als er im Lufthansa-Vorstand noch für die Passagiersparte zuständig war, hatte Spohr am Frankfurter Flughafen ein Büro mit weitem Blick über das Rollfeld. Von hier aus konnte er die startenden und landenden Maschinen genau beobachten. Begeistert sprang er im Gespräch auf, zeigte aus dem Fenster: "Das ist die A 380 nach San Francisco, die ist heute fünf Minuten zu spät dran." Auf einem langen Bord neben dem Schreibtisch standen Modelle aller Lufthansa-Flugzeuge.

Der letzte, der das Unternehmen durch eine tiefe Krise managen musste, war Jürgen Weber, Spohrs großer Fürsprecher. Weber musste den Konzern 1992 vor der ziemlich schnell nahenden Pleite bewahren. Dies gelang ihm unter anderem durch einen Deal mit den Piloten, der Spohrs Leben heute schwer macht. Die Piloten ließen sich auf Konzessionen beim Gehalt und den Arbeitsbedingungen ein, im Gegenzug räumte Weber ihnen im sogenannten Konzerntarifvertrag weitgehende Mitspracherechte ein - es sind genau diese Rechte, um die jetzt so hart gerungen wird.

Im Jahr 1993 verunglückte ein Airbus A 320 der Lufthansa bei der Landung in Warschau, zwei Menschen kamen ums Leben. Spohr war damals der Büroleiter von Weber. Nun ist es er, der um den Mythos Lufthansa kämpft.

"Natürlich wird jetzt nicht gestreikt. Das wäre absurd"

Europas größte Fluggesellschaft, zu der neben Lufthansa auch Swiss, Austrian Airlines, Germanwings oder Eurowings gehören, transportiert weltweit jeden 30. Fluggast. In Sicherheitsrankings stand das Unternehmen immer ganz oben, weit vor der Konkurrenz. Fliegen mit Lufthansa mag etwas teurer oder etwas weniger komfortabel als bei den Konkurrenten sein, dafür aber sicher und solide - das war die Meinung, die viele Passagiere hatten.

"Lufthansa ist immer das Maß der Dinge, das ist einfach eine andere Sache", sagt der Pilot einer konkurrierenden Airline. Und das weiß auch Spohr. Gerade deshalb ist es jetzt so wichtig, dieses Image zu retten - gleich, was passiert ist. Kann Spohr das schaffen?

Schon vor dem Dienstag dieser Woche war es keine einfache Zeit für ihn. "Die ersten Monate waren turbulenter, als ich es mir gewünscht hätte", sagte er vor Kurzem - und lächelte. Konfliktscheu ist er nicht. Die Stimmung im Unternehmen gilt als schlecht, seit er sich mit den 5400 Piloten im Konzern streitet. Der interne Konflikt setzt vielen zu. Viele Lufthansa-Mitarbeitern verstehen nicht mehr, was die Piloten treibt. Viele langjährige Kunden sind wegen der ständigen Flugausfälle genervt.

Zudem kommt die Airline gleich von mehreren Seiten wirtschaftlich unter Druck. Die Billig-Fluglinien in Europa jagen der Lufthansa Passagiere ab. Auf den wichtigen Strecken in Richtung Asien sind die Golf-Carrier immer erfolgreicher. Auch die Anteilseigner machen Spohr und seinen Leuten Druck: Der Aktienkurs ist niedrig, an der Börse ist die Lufthansa deutlich weniger wert als Easyjet oder Ryanair; die Dividende musste zuletzt gestrichen werden. Und die Passagiere sind sowieso nie zufrieden: Preise zu hoch, Service zu schlecht, Vielflieger-Privilegien in Gefahr.

Spohrs Antwort darauf: Er will unter dem Dach der Lufthansa mit Eurowings ebenfalls eine starke Billigmarke etablieren und hier auch Germanwings integrieren. Der Umbau ist gerade in vollem Gange. Aber passt das zusammen: Lufthansa und Billigflieger? Und lässt sich das jetzt, nach dem Absturz der Germanwings-Maschine, wirklich noch umsetzen?

Carsten Spohr hat in den letzten Tagen noch keine Zeit gehabt, darüber ernsthaft nachzudenken. Noch arbeitet er voll im Krisenmodus. Aber es könnte durchaus sein, dass der Absturz die Lufthanseaten, die früher so gern den Gemeinsinn beschworen haben, wieder näher zusammenrücken lässt. Die Gemeinsamkeiten bestehen darin, dass sie immer noch für eine der besten Airlines der Welt arbeiten, bei der soziale Verantwortung tatsächlich keine leere Worthülse ist. Einer, der lange mitverhandelt hat zwischen Piloten und Management, sagt: "Natürlich wird jetzt nicht gestreikt. Das wäre absurd."

Schon früher hat Spohr immer wieder die lange Tradition des Konzerns, der am 1. April sein 60-jähriges Bestehen feiert, beschworen. Erst kürzlich sagte er: "Wenn ich manchmal höre, dass mancher Mitarbeiter sogar in Lufthansa-Bettwäsche schläft, dann kann ich das gar nicht als Kritik verstehen, denn Tradition und Innovation stehen nicht im Widerspruch." Denn bei Lufthansa arbeiteten "keine Söldner, sondern überzeugte Lufthanseaten".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: