Präsidentenwahl:Nigeria, Land der Zuversicht

  • An diesem Wochenende wurde in Nigeria gewählt, nachdem der Termin wegen anhaltenden Terrors bereits um sechs Wochen verschoben wurde.
  • Es kommt zu einem engen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Präsident Goodluck Jonathan und seinem Herausforderer Muhammadu Buhari.
  • In etwa 300 Wahllokalen kam es zu Pannen mit elektronischen Lesegeräten zur Erfassung von Fingerabdrücken. In manchen Wahlbezirken blieben Wahllokale wegen Terrorgefahr geschlossen. Mindestens 30 Menschen starben bei Angriffen.
  • Die Terrorgruppe Boko Haram versetzt den Nordosten des Landes mit blutigen Attacken seit Monaten in Angst und Schrecken.

Von Tobias Zick, Nairobi

Wenn an diesem Wochenende eine positive Botschaft von Nigeria ausging, jenem afrikanischen Riesen, der ansonsten vor allem mit Terror und Korruption weltweit Aufsehen erregt, dann diese: Die demokratische Kultur im öl- und bevölkerungsreichsten Staat des Kontinents ist alles andere als tot. Überall im Land standen die Menschen stundenlang in langen Schlangen in der Hitze, um ihre Stimme abzugeben. Greise und Kranke ließen sich in Rollstühlen und Handkarren zu den Wahllokalen rollen.

Die Wahlbeteiligung, so viel lässt sich schon sagen, war hoch. Das deutet zunächst auf zweierlei hin: Die Menschen haben die Zuversicht nicht verloren, dass sie an den Geschicken ihres Landes mitwirken können. Und sie haben zumindest ein Minimum an Vertrauen, dass es bei der Auszählung der Stimmen mit rechten Dingen zugeht. Anders als bei der letzten Wahl 2011, als die Opposition dem erklärten Wahlsieger Manipulation vorwarf - und mehr als 800 Menschen bei Ausschreitungen starben.

Pannen mit den elektronischen Lesegeräten

Diesmal wollte die nationale Wahlkommission auf Nummer sicher gehen: Jeder Wähler musste sich per Fingerabdruck an einem elektronischen Lesegerät identifizieren. Wie pannenanfällig ein solches System ist, erfuhr Präsident Goodluck Jonathan selbst, als er am Samstagmorgen ins Wahllokal kam - und nach einer halben Stunde unverrichteter Dinge wieder abziehen musste, weil sämtliche Lesegeräte dort ihren Dienst verweigerten.

Erst beim zweiten Anlauf, Stunden später, konnte der Amtsinhaber seine Stimme abgeben. Kurz darauf ließ er einen Sprecher seiner Partei ausrichten, die Pannen seien eine "riesige nationale Peinlichkeit" - und eine "Bestätigung" der Bedenken, welche die Regierungspartei vorab gegen die Technik geäußert hatte; Bedenken, die aus Sicht von Kritikern aber auch daher rühren könnten, dass das neue System den Spielraum der Machthaber für Manipulationen einengt.

Verschiebung des Wahltermins um sechs Wochen

Eine Manipulation sahen viele bereits in der Verschiebung des Wahltermins um sechs Wochen: Ursprünglich sollte am 14. Februar gewählt werden, doch dann gab die Wahlkommission dem Druck der Armee nach, die erklärt hatte, sie brauche zunächst alle Kräfte für den Kampf gegen die Terrorgruppe Boko Haram im Nordosten des Landes. Die Opposition sah darin einen Schachzug des Präsidenten, um sich schnell noch verlorene Sympathien zurückzuerobern.

Tatsächlich gelang es in diesen sechs Wochen dem Militär, vor allem aber Truppen aus den Nachbarländern Tschad und Niger, Boko Haram aus vielen Städten zurückzudrängen. An mehreren Orten im Nordosten des Landes schaffte es die Terrorgruppe dennoch, ihre Drohungen wahr zu machen und Wahllokale zu attackieren. Mindestens 30 Menschen starben bei diesen Angriffen.

Präsidentenwahl: SZ-Grafik; Quellen: NBS, ACLED

SZ-Grafik; Quellen: NBS, ACLED

Noch nie war das Rennen so knapp

Wegen der technischen Probleme musste mancherorts die Stimmabgabe in den Sonntag hinein verlängert werden. Betroffen waren etwa 300 von insgesamt 150 000 Wahllokalen, rund 0,2 Prozent also - was in einem Land wie Nigeria durchaus als ansehnlich niedrige Ausfallquote gelten darf. In einigen Orten im Nordosten verhinderte die Sicherheitslage die Stimmabgabe. Viele der schätzungsweise 1,5 Millionen Flüchtlinge, die wegen des Terrors ihre Wohnorte verlassen mussten, konnten sich nicht rechtzeitig registrieren; in einigen Wahlkreisen blieben die Wahllokale aus Angst geschlossen.

Nicht nur für das Land selbst ist die Wahl eine gewaltige Prüfung: Seit Nigeria 1999 formal von einer Militärdiktatur zur Demokratie wurde, war das Rennen noch nie so knapp. Das liegt auch daran, dass die Regierung darin versagte, ihre Bürger vor dem Terror zu schützen. Zudem wuchert weiter die Korruption; sie verhindert, dass Öleinnahmen und Wirtschaftswachstum der in Armut darbenden Mehrheit der Bürger zugutekommen.

All das hat dem Image von Präsident Jonathan zugesetzt - und seinem Herausforderer Muhammadu Buhari mächtigen Aufwind verschafft, auch wenn der nicht gerade die Biografie eines lupenreinen Demokraten vorweisen kann: Der 72-Jährige hat das Land bereits von 1983 bis 1985 regiert, an der Spitze eines brutalen Militärregimes, ehe ihn unzufriedene Generäle aus dem Amt putschten. Sein kategorisches Versprechen von "Change", Wandel, ist heute jedoch vielen frustrierten Bürgern gewichtig genug, um über solche Makel aus der Vergangenheit hinwegzusehen.

Schlüsselereignis für den ganzen Kontinent

Es ist auch ein Schlüsselereignis für den ganzen Kontinent: Nigeria ist das öl- und bevölkerungsreichste Land Afrikas, fast jeder fünfte Afrikaner südlich der Sahara ist Nigerianer. Wenn Nigeria niest, so geht ein Sprichwort, holt sich Westafrika eine Erkältung. Der britische Premier David Cameron etwa warnte vergangene Woche in einem Brief an Präsident Jonathan, der Verlauf der Wahl werde ein "Signal an den Rest von Afrika" senden - wo im Laufe dieses Jahres weitere Wahlen anstehen.

Die Tatsache, dass das Wahlwochenende glimpflich verlaufen ist, bedeutet freilich noch nicht, dass die größte Demokratie Afrikas die Prüfung bereits bestanden habe: Der Wahlkampf war von Hetze und persönlichen Angriffen geprägt; die Präsidentengattin Patience Jonathan etwa rief Medienberichten zufolge bei einem Wahlkampfauftritt dazu auf, jeden zu "steinigen", der daherkomme und ihnen "Wandel" verspreche. In Jonathans Heimatregion haben einige seiner Anhänger mit "Krieg" gedroht, sollte Buhari die Wahl gewinnen.

Aus dessen Hochburgen im muslimischen Norden tönte wiederholt die Drohung, einen Wahlsieg Jonathans in jedem Fall mit Betrug gleichzusetzen und entsprechend zu reagieren. Die Furcht, dass es nach der Bekanntgabe des Endergebnisses - frühestens am Montag - wieder zu Unruhen kommen könnte, ist groß.

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