Facebook:Betriebssystem fürs Leben

Es ist zur Mode geworden, das baldige Ende von Facebook zu prophezeien. Stattdessen wird der amerikanische Konzern immer stärker, während einst stolze Firmen zu seinen Zulieferern degradiert werden.

Von MICHAEL MOORSTEDT

Auch das Internet gehorcht Zyklen und Moden. Eine beliebte besteht darin, regelmäßig einen Abgesang auf Facebook anzustimmen. Sie erlebt immer dann ihr Revival, wenn wieder einmal die Anmeldezahlen zu stagnieren beginnen. Wenn ein smarter Berater flüstert, dass die heutigen Teenager sich, aus Angst auf Facebook ihren Eltern und Großeltern zu begegnen, schon längst auf andere Plattformen geflüchtet haben. Oder wenn das nächste Möchtegern-Konkurrenznetzwerk antritt, um mit einem latent verändertem Geschäftsmodell die mittlerweile 1,4 Milliarden Nutzer abwerben zu wollen.

Facebook selbst reagiert auf präemptive Nachrufe gelassen bis gar nicht. Wie alle IT-Imperien, egal ob Apple oder Google, lud man stattdessen vergangene Woche auf die hauseigene Entwicklerkonferenz in San Francisco, die (so ist es Usus in der Branche) zu gleichen Teilen, Innovationsmesse, Techno-Gottesdienst und Motivationsseminar ist. Eine der zentralen Botschaften auf der F8, so der Name der Veranstaltung, war, dass Facebook in Zukunft Drittanbietern erlaubt, Apps für die hauseigene Messenger-Plattform zu programmieren.

Was sich zunächst wie trockene Nerd-Nachrichten anhört, hat in Wahrheit weitreichende Konsequenzen. "Facebook frisst das Internet auf", hieß es vergangene Woche in einem Branchenreport, wobei die Metapher des Verschlingens vielleicht nicht die richtige ist. Es ist eher ein Verdrängen. Facebook ist schon längst viel mehr als nur ein soziales Netzwerk. Es ist zu einem eigenständigen Internet im Internet geworden. Und für den bequemen Nutzer gibt es immer weniger Argumente, seine Grenzen jemals zu verlassen.

Man braucht keinen E-Mail-Account mehr, schließlich hat Facebook all seinen Mitgliedern die hauseigene Messenger-App aufgezwungen - das bisschen Gängelung muss bei so viel Marktmacht schon erlaubt sein. Das Intranet am Arbeitsplatz? Wird durch Facebook at Work ersetzt. Man braucht kein Youtube mehr, denn jeden Tag werden drei Milliarden Videos auf Facebook angesehen. Banken? Überweisungen lassen sich über den Facebook Messenger tätigen. Mit der Ankündigung, Inhalte von Verlagen und Fernsehsendern künftig ganz auf Facebook selbst veröffentlichen zu wollen, anstatt erst auf deren Webseiten weiterzuleiten, werden auch die Medien überflüssig. Die Hoheit über Daten und werberelevante Interaktionen verbleibt natürlich bei Facebook. Einst stolze Firmen werden zu bloßen Zulieferern. Auf dem Smartphone-Bildschirm ist das blaue F-Icon nicht mehr eine App von vielen. Facebook wird zu einem kompletten Betriebssystem für das eigene Leben.

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