Menschenrechtsbericht:Terror verleitet zur Todesstrafe

  • Die Zahl der verhängten Todesurteile ist Amnesty International zufolge im vergangenen Jahr stark angestiegen - von 1925 im Jahr 2013 auf 2466 im Jahr 2014.
  • Die Zahl der Vollstreckungen nahm dagegen 2014 im Vergleich zum Vorjahr ab.
  • Dennoch wurden dem Bericht zufolge mindestens 607 Menschen in 22 Ländern hingerichtet. Die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen.

Von Stefan Ulrich

Von dem früheren französischen Justizminister Robert Badinter stammt der Satz: "Eine Demokratie, die gegen Terroristen die Todesstrafe vollstreckt, macht sich die Werte Letzterer zu eigen." Doch gerade der Kampf gegen den Terrorismus wird heute gern von Regierungen in verschiedenen Teilen der Welt als Grund angeführt, der Todesurteile und Hinrichtungen rechtfertigen soll.

Ein Beispiel dafür ist Pakistan. Dort hatte die Regierung vergangenen Dezember nach einem Massaker von Taliban-Kämpfern in einer Schule ein Moratorium für Hinrichtungen aufgehoben und angekündigt, Hunderte zum Tode verurteilte Häftlinge hinzurichten. Die ersten Exekutionen wurden noch vor Jahresende vollzogen. Die Menschenrechts-Organisation Amnesty International kritisiert diese Aktion: "Gerade in einem Jahr, in dem wir abscheuliche Hinrichtungen durch bewaffnete Gruppen wie den 'Islamischen Staat' miterleben mussten, ist es beschämend, dass einige Staaten die Todesstrafe als Mittel gegen Terrorismus rechtfertigen."

Vor allem in Ägypten und Nigeria nahm die Zahl der Todesurteile zu

Amnesty International setzt sich seit Langem für eine weltweite Abschaffung der Todesstrafe ein. Im Jahr 2014 gab es dabei schwere Rückschläge, aber auch Erfolge. Laut dem Bericht "Hinrichtungen und Todesurteile 2014", den die Organisation an diesem Mittwoch veröffentlichte, stieg die Zahl der weltweit bekannt gewordenen Todesurteile stark an, von 1925 Verurteilten im Jahr 2013 auf nunmehr 2466.

Vor allem in Ägypten und in Nigeria nahmen die Todesurteile dramatisch zu. In Ägypten waren davon besonders Anhänger der Muslimbruderschaft betroffen, in Nigeria Menschen, die beschuldigt wurden, mit der Terrororganisation Boko Haram zu paktieren. Auch in Ländern wie Iran, dem Irak oder China wurde die Todesstrafe im Kampf gegen Terroristen verhängt.

Screen grab of the execution chamber at the Arizona State Prison Complex in Florence

Eine Hinrichtungskammer in Arizona: Weltweit wurden 2014 weniger Todesurteile vollstreckt als im Vorjahr.

(Foto: REUTERS)

Während also die Zahl der Urteile stieg, ging die Zahl der Vollstreckungen um 22 Prozent zurück. Amnesty sagt, es gebe verlässliche Informationen dafür, dass im vergangenen Jahr weltweit mindestens 607 Menschen in 22 verschiedenen Ländern hingerichtet wurden. Die Behörden ließen die Verurteilten erschießen, erhängen, vergiften oder - in Saudi Arabien - enthaupten. Die tatsächlichen Zahlen liegen deutlich höher, glaubt Amnesty. China zum Beispiel behandelt die Todesstrafe als Staatsgeheimnis. Deshalb spart Amnesty das Land in seiner globalen Statistik aus. Die Organisation schätzt jedoch: "Wie in den Jahren zuvor richtete China vermutlich auch 2014 mehr Menschen hin als der Rest der Welt zusammen." Neue Informationen zur Todesstrafe in den verschiedenen Staaten, die Amnesty nach der Veröffentlichung des Reports erhält, sollen unter www.amnesty.org/deathpenalty online gestellt werden.

In etlichen Ländern sind die Prozesse unfair

Einige Staaten setzen die Todesstrafe nicht nur im Kampf gegen Verbrecher oder Terroristen ein, sondern auch, um politische Gegner zu unterdrücken. Amnesty nennt dabei neben China auch Nordkorea, Iran und Saudi-Arabien. In etlichen Ländern seien die Prozesse unfair, in manchen würden Todesurteile völkerrechtswidrig auch gegen Menschen verhängt, die zur Zeit ihrer Tat minderjährig waren oder geistig behindert sind.

Trotz aller Rückschläge sehen die Menschenrechtler auch Fortschritte im Kampf gegen die Todesstrafe. In praktisch allen Weltregionen gebe es positive Entwicklungen. So würden auf dem gesamten amerikanischen Kontinent nur noch in den USA Menschen hingerichtet, und auch dort habe es 2014 etwas weniger Exekutionen (35) gegeben als 2013 (39).

Mühsame Überzeugungsarbeit

Allen Staaten, die noch an der Todesstrafe festhalten, gibt Amnesty zu bedenken: "Es gibt keine Beweise dafür, dass die Todesstrafe eine effektivere Abschreckung vor Verbrechen darstellt als Haftstrafen." Regierungen, die behaupteten, die Todesstrafe löse Kriminalitätsprobleme und erhöhe die innere Sicherheit, führten die Öffentlichkeit in die Irre.

Doch wie mühsam solche Überzeugungsarbeit ist, zeigt ein Blick in die europäische Geschichte. In Westdeutschland etwa enthielten mehrere Landesverfassungen aus den Jahren 1946 und 1947 noch die Todesstrafe, erst 1949 wurde sie durch das Grundgesetz bundesweit abgeschafft. Die DDR vollstreckte 1981 das letzte Todesurteil und schaffte die Todesstrafe 1987 ab. Und in Frankreich, das sich gern als Heimstatt der Menschenrechte sieht, wurde noch 1977 ein Mann in Marseille mit der Guillotine hingerichtet und noch 1981 ein Todesurteil gefällt. Im selben Jahr erreichte dann der Justizminister Badinter, dass die Todesstrafe gestrichen wurde. Heute würde sie die radikale Partei Front National gerne wieder einführen.

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