Porträt:Was für ein Sprung!

'Hans Rosenthal, Quizmaster (''Dalli Dalli'')'

"Muss ich das ganze Haschisch versteuern?" Rosenthal, der am Freitag 90 Jahre alt würde, in typischer Pose.

(Foto: Ullstein Bild S.E.T.)

Hans Rosenthal war als lustiger kleiner Mann von "Dalli Dalli" der populärste Showmaster der BRD. Über den Versuch, als Holocaust-Überlebender ein ganz normales deutsches Leben zu führen

Von Claudia Tieschky

Der Fernsehapparat stand am Fußende einer großen Polstercouch mit senfbraunem Rankenmuster. Das war Anfang der Siebzigerjahre, hübsch hässlich also und total gemütlich. Wenn der Apparat in Betrieb gesetzt wurde, bildete sich auf der schwarzen Mattscheibe in der Mitte langsam ein heller Strich, der unter Knistern breiter wurde. Dann ploppte der Strich auf und da war Hans Rosenthal. Bei der Oma durfte man als Kind, anders als zu Hause, immer fernsehen, und einmal im Monat lief dann Dalli Dalli. Die Erkennungsmelodie machte aus Dalli Dalli den Rhythmus Ta-ta-tattta, was sich gut zum Hüpfen auf dem Polster eignete. Der kleine Mann im Fernsehen war genauso aufgedreht wie das Kind auf dem Sofa, und manchmal hüpfte er sogar auch, obwohl er einen Anzug trug. Er piekste den Zeigefinger in die Luft, holte Schwung aus den Beinen, stieß sich ab, bog die Füße nach hinten, was den Sprung höher aussehen ließ, und rief: "Das war Spitze!"

Hans Rosenthal ist eine sentimentale deutsche Erinnerung. Seine schlichte Frage-Show im ZDF, zu der das altmodische Wort "flott" passt, kam donnerstags, nicht samstags, wenn es etwas Besonderes sein musste. Er sah nie verwegen zerknautscht aus wie Peter Frankenfeld in Musik ist Trumpf, nie selbstverliebt wie Hans-Joachim Kulenkampff in Einer wird gewinnen. Dalli Dalli war Unterhaltung, die das Bürgertum unter Niveau fand, die von der Bild-Zeitung bejubelt und 2011 im NDR und dann in der ARD reanimiert wurde. Umfragen fanden regelmäßig heraus, dass die Leute Rosenthal gern als Nachbarn gehabt hätten. Den lustigen kleinen Mann. Den Springball.

Kaum einer der Zuschauer wusste Anfang der Siebziger, und das Kind auf der Couch schon gar nicht, dass der beliebte Herr Rosenthal, geboren am 2. April 1925, nur knapp überlebt hatte. In Deutschland, wo man nun so gern mit ihm lachte und sich an dem Springball freute, hatte man es einmal todernst mit ihm gemeint.

Der Sohn Gert ist Anwalt in Berlin und sieht seinem Vater ganz verblüffend ähnlich

Als er sich im April 1945 aus dem Versteck in der Laubenkolonie Dreieinigkeit in Berlin-Lichtenberg herauswagt, ist Hans Günter Rosenthal 20 Jahre alt und ganz allein auf der Welt. Er geht geradewegs zum Rundfunk. Dort wird er Regieassistent beim Sender Radio Berlin, wechselt zum Rias, wird Profi für Quizsendungen. Rosenthal moderiert Shows wie Wer fragt, gewinnt, Das Sonntagsrätsel oder Allein gegen alle. Er ist als Herzens-Westberliner zuverlässig Anti-DDR, und damit ganz auf der Linie des Frontstadt-Verlegers Axel Springer. Rosenthal steigt auf in der Unterhaltungsindustrie. Im kleinen Kreis ist seine Lebensgeschichte bekannt. Öffentlich redet er nicht darüber.

Im Rundfunk ist Rosenthal gewissermaßen inkognito unterwegs, inkognito und immer heiter. Als ob er Rücksicht nehmen wollte auf sein Publikum im Wiederaufbau, dem man das, was gewesen war, nicht mehr zumuten durfte. Jedenfalls nicht, wenn man beliebt sein wollte. Und Rosenthal ist - so hat ihn sein Freund, der Künstleragent Paul Spiegel, beschrieben - Perfektionist mit der Seele eines Gauklers, "süchtig nach Zustimmung, nach Beifall, ja nach der Liebe seiner Mitmenschen".

Es gibt ein Foto der Rosenthals aus den späten Siebzigern. Die erwachsenen Kinder Birgit und Gert, Mutter Traudl Rosenthal, Vater Hans vor ihrem Berliner Haus, eine Familie wie sie vorbildlicher nicht sein könnte. Hans Rosenthal hüpft nicht, er steht im Vordergrund und sieht sehr stolz aus.

Der Sohn, 1958 geboren, trägt auf dem Foto den zeitüblichen Haarturm und einen Pulli mit der Aufschrift Ashford Hockey Club. Die meisten Väter hätten damals angeordnet: Junge, geh zum Friseur. War es so? Nein, sagt Gert Rosenthal: "Das ging. Das fand er nicht so schlimm." Wegen der Haare also hatten sie wenig Probleme miteinander, "auch sonst wenig". Gert Rosenthal ist Anwalt für Zivilsachen mit Kanzlei in Berlins Westen. Er spricht sorgfältig und sanft und könnte genauso gut Arzt sein und einen weißen Kittel tragen. Der Sohn sieht seinem Vater verblüffend ähnlich.

Er hat den Kindern seine Geschichte nicht verheimlicht. Aber er wollte sie schützen

Gert Rosenthal wird als Rundfunkjunge groß, er ist eines der "Sonntagsrätselkinder" in der Radioshow dieses Vaters, der immer etwas tun muss und sich in den Ferien auf Föhr "nie in einen Liegestuhl an den Strand legte", sondern lieber die Urlaubermannschaft trainierte, die gegen die Einheimischen kickte. "Er war ständig in Bewegung", so hat ihn der Sohn erlebt, aber "es ging von ihm immer eine positive Ausstrahlung aus".

Auch Paul Spiegel kannte die Unruhe an Rosenthal. Er beschreibt ihn in seinen Erinnerungen als klug, schlagfertig, rühmt seinen Humor. Dann ändert sich der Ton. Bei all dem, schreibt Spiegel, "sprach aus seinen Augen menschlicher Schmerz. Wenn Hans mit seiner stets heiseren Stimme auf mich einredete, das Gesagte mit zappeligen Gesten seiner Hände unterstrich und mich dabei mit gotterbärmlicher Traurigkeit ansah, hatte ich stets das Bedürfnis, meinen Arm um seine Schultern zu legen. Als wir uns besser kannten, tat ich es oft. Gelegentlich ließ seine Hektik dann kurz nach."

War er so? Gert Rosenthal schweigt kurz, dann fragt er, ob da stehe heitere oder heisere Stimme? "Ich fand sie nun nicht heiser. Ich fand seine Augen nicht so traurig". Er könne das ganz schwer in Einklang bringen, heiter, fröhlich, traurig. "Aber die beiden waren gut befreundet, sie haben parallele Erfahrungen" - auch Spiegel überlebte die Nazizeit im Versteck. Und vielleicht rede man dann anders als mit seinen Kindern.

Was passiert ist, kann man keinem Kind erzählen, auch wenn Hans Rosenthal es durchmachte, als er selbst noch ein Kind war. Der Vater, ein Bankbeamter, stirbt 1937 an einem Nierenleiden, vier Jahre später die Mutter an Krebs, der kleine Bruder Gert kommt ins Waisenhaus. Hans pflanzt in der Niederlausitz Tomaten, um sich auf die Emigration nach Palästina vorzubereiten. Daraus wird nichts. Zunächst muss er zwangsweise als Totengräber auf dem Städtischen Friedhof in Fürstenwalde arbeiten. Hans bittet um Versetzung nach Berlin, um bei seinem Bruder zu sein, er lebt im jüdischen Jugendwohnheim. Als der zehnjährige Gert deportiert wird; Hans sieht ihn nie wieder. Der "Ausschließungsschein von der Wehrpflicht", vom 4. 8. 1942 ist ausgestellt für "Hans Israel Rosenthal", das Foto zeigt einen akkurat frisierten, hübschen Jungen mit erschrockenen Augen.

Im Februar 1943 beschließt er, unterzutauchen. Frau Jauch, eine Bekannte der Familie, versteckt ihn in ihrer Laube. In seinem Verschlag hört er mit einem Detektorradio abwechselnd BBC und die Hetzreden von Goebbels. Nach einem Jahr stirbt die gute Frau Jauch, eine andere Laubenbewohnerin nimmt den Jungen auf. Als im April 1945 die russischen Panzer in Berlin einrollen, ist aus Hans Rosenthal ein junger Mann geworden, der alles ausgehalten, alles überlebt und alles verloren hat.

"Er hat es nicht vor uns verheimlicht", sagt Gert Rosenthal, der den Vornamen seines ermordeten Onkels trägt. Er erinnert sich, dass sie die Laubenkolonie besucht haben. "Ich kannte die Geschichten alle, aber nicht im fortlaufenden Zusammenhang. Es war emotional fern von mir. Ich glaube, er hat uns das gesamte Ausmaß bewusst vorenthalten, um seine Kinder zu schützen." Seinem Vater sei wichtig gewesen, "dass es uns allen gut ging. Wahrscheinlich, weil er seine Familie so früh verloren hat".

Als Hans Rosenthal im Sender 1946 die hübsche blonde Traudl Schallon kennenlernt, verliert er keine Zeit. Auf dem Hochzeitsbild von 1947 sieht das Brautpaar so jung aus, dass sie im Sender über die "indische Kinderehe" lästern. Traudl ist nicht jüdisch, aber die Familie hält die Tradition auf liberale Weise ein. "Es war meinem Vater wichtig, dass es keine Ausgrenzung der Kinder in der Schule oder so gibt". Also bekommt Gert Geschenke zu Weihnachten, wie die Klassenkameraden, auch wenn daheim kein Weihnachtsbaum steht. Weil die Mutter das aber schön gefunden hätte, fahren sie später Weihnachten oft in ein nettes Hotel "wo das dann alles rumstand".

Gert Rosenthal wächst in Zehlendorf auf. Er kann sich nicht erinnern, dass er wegen seines Jüdischseins je schräg angeredet wurde. Er geht auf eine staatliche Schule, bei seiner Bar Mitzwa ist die ganze Klasse in der Synagoge dabei. Rassismus und Antisemitismus, wie es ihn heute wieder gibt, sagt er, "war in den sechziger, siebziger Jahren einfach nicht der Fall". Zumindest sei nicht darüber berichtet worden.

Er ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Erst da schreibt er ein Buch, in dem alles steht

Wissen ändert vieles: Hans Rosenthal will anfangs, als er zum Rundfunk geht, dass alle alles von ihm wissen. "Er wollte den Menschen sagen, dass die Juden nicht so sind, wie sie die Nazis dargestellt hatten", sagt der Sohn. Später ändert er seine Meinung, er kümmert sich um die jüdische Gemeinschaft, aber spricht nicht davon, denn "er wollte keine Antisemiten gegen sich und nicht als Quotenjude irgendwelche Vorteile haben". Nur habe der Vater nie das Wort Jude benutzt. Er sagte "jüdischer Mensch". Jude klang für ihn wegen der Nazis wie ein Schimpfwort. Er muss reichlich beschimpft worden sein, auch in der BRD. Hans Rosenthal legte einen Ordner an, sachlich beschriftet mit "Antisemitische Schreiben".

Die Rosenthals sind irgendwie auch ein Familienunternehmen. Zu Hause ist Probe für Dalli Dalli-Fragen. Die Tür zum Arbeitszimmer steht für den Sohn immer offen. Später sind sie unterschiedlicher politischer Ansicht, vor allem über Amerika. "Er war niemand, der die Diskussion abbrach. Ich habe manchmal bis drei Uhr morgens mit ihm diskutiert." Manchmal diskutiert Hänschen Rosenthal auch nicht. Am Tag nach der Hochzeit verfügt er, dass seine Frau nicht mehr arbeiten soll. Traudl Rosenthal gehorcht. Ab und zu besucht sie ihren Mann, wenn er Nachtdienst hat, im Sender und vertreibt sich die Zeit dort mit Stricken. Heute wirkt das lächerlich patriarchalisch, und sie fand es auch damals nicht lustig: Sie hatte vorher mehr verdient als er.

Am 9. November 1978 geschieht dann etwas, das Hans Rosenthal vor eine Wahl stellt: Ist er der lustige Mann im Unterhaltungsfernsehen oder der jüdische Mensch, über den er öffentlich nicht spricht? Es sind die guten Jahre. Die Zeiten, in denen Rosenthal einmal im Monat montags nach München fliegt, wo Dalli Dalli entsteht; freitags oder samstags fliegt er zurück; manchmal geht er direkt vom Flughafen auf den Fußballplatz. Ein normales deutsches Leben. Doch am 9. November 1978 hilft das alles auf einmal nicht mehr gegen die Vergangenheit. Es ist der vierzigste Jahrestag der Reichspogromnacht, ein Tag, der zum ersten Mal in der Medienöffentlichkeit mit Gedenkfeiern begangen wird. Der Bundespräsident spricht im Fernsehen, es wird diskutiert. Aber um 19.30 Uhr, es ist schließlich Donnerstag, kommt Dalli Dalli, und zwar zum 75. Mal. Rosenthal, damals im Direktorium der Zentralrats der Juden, hat den Show-Termin lange vorher zugesagt, ohne auf das Datum zu achten. Er fragt beim ZDF an, ob man nicht Dalli Dalli ein andermal einplanen könne. Man kann nicht.

Also moderiert das Nazi-Opfer Hans Rosenthal am Jahrestag der Synagogenbrände und Gewalttaten, die er als Kind in der Oranienburger Straße mit angesehen hatte, im Unterhaltungsfernsehen Dalli Dalli. "Pflichtbewusst, wie er als guter preußisch-deutscher Jude eben war", sagt der Sohn.

Doch etwas muss sich geändert haben, denn 1980 erscheint ein Buch, in dem alles steht. Zwei Leben in Deutschland ist seine Autobiografie; Springers Fernsehzeitschrift Hörzu bringt einen Vorabdruck. Mehr Aufmerksamkeit geht nicht. Hans Rosenthal, der immer gesagt hat, ich bin Berliner, sagt nun, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, einen anderen, einen ganz anderen Satz: Ich bin ein Berliner Jude.

An der Grenze sagt Rosenthal: "Jetzt zeig ich dir mal, was die deutsche Ordnungsmacht tut."

Gert Rosenthal macht eine Pause, vor dem Fenster hört man Vögel in der Berliner Luft lärmen. "Mein Vater sagte, dass er jetzt seine Prominenz nutzen musste, um klar zu machen, dass er Jude war. Die Menschen sollten wissen, dass sie jemanden mögen und akzeptieren und gerne als Nachbar hätten, der Jude ist."

Vielleicht hat er mit seinem Gespür für Timing auch gemerkt, dass es der richtige Zeitpunkt war. Im Januar 1979 läuft Holocaust im deutschen Fernsehen. Die Serie löst eine hochemotionale Debatte im Land aus über Schuld und Vergebung. Im Juli 1979 beschließt der Bundestag, die Verjährungsfristen für Mord abzuschaffen.

Gert Rosenthal ist da zwanzig und studiert Jura. Es sucht sich Gerichtsurteile aus der Nazizeit heraus; er will wissen, wie damals entschieden wurde - "Unser Rechtssystem hat sich ja eigentlich wenig geändert, sicher gibt es Änderungen, aber die Grundlagen sind dieselben". Rosenthal sagt, dass es "ziemlich erschreckend" für ihn gewesen sei, "wie man ohne den Text zu ändern nur durch Änderung der Auslegung ganze Bevölkerungsschichten ausnehmen konnte. Ich las Urteile aufgrund von Gesetzestexten, von denen ich inhaltlich überzeugt bin und dachte, mein Gott, was kann man, wenn man sie bösartig auslegt, für furchtbare Sachen damit machen."

Dann erzählt er noch eine "schöne Geschichte" über sich und seinen Vater. Sie geht so: Auf einer Autofahrt von Holland zurück nach Berlin geraten sie in eine hitzige Debatte. Es sind die Jahre des Vietnam-Protests, der Sohn findet, die deutsche Polizei greife zu hart durch, der Vater ist da ganz anderer Ansicht. Sie fahren auf die Grenze zu, und der Vater sagt: Jetzt zeige ich dir mal, was die deutsche Ordnungsmacht tut. Kurbelt das Fenster runter und sagt zum Zöllner: "Entschuldigen Sie, muss ich das ganze Haschisch, das ich im Kofferraum habe, versteuern oder kann ich das so mitnehmen?" Und die Grenzer: "Ach, haha, Rosenthal, fahrn Sie durch!"

Vielleicht ist dem Holocaust-Überlebenden Hans Rosenthal als Springteufel vom Fernsehen tatsächlich so etwas wie Normalität in Deutschland gelungen.

Im Frühherbst 1986 erhält Hans Rosenthal die Diagnose Krebs. Am 10. Februar 1987 stirbt er in Berlin. Vor seinem Tod nimmt er den Ordner mit der Aufschrift "Antisemitische Schreiben" und vernichtet fast alles, was er darin abgelegt hat.

Den Ordner hat Gert Rosenthal noch. Ein paar Briefe sind noch da. Aber die meisten sind weg.

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