Fürstenfeldbruck:Innere Bestandsaufnahme

Niclas Willam-Singer

Niclas Willam-Singer ist seit zehn Jahren Pfarrer im evangelisch-lutherischen Dekanat Fürstenfeldbruck.

(Foto: oh)

Pfarrer Niclas Willam-Singer über die Bedeutung des Karfreitags und das Tanzverbot

Fürstenfeldbruck - Was Lichterketten, Glühwein und Adventskranz für Weihnachten bedeuten, scheinen für Karfreitag Fischessen und Tanzverbot geworden zu sein: alljährlich diskutierte Überbleibsel mit mehr oder weniger religiösem Hintergrund. Tatsächlich gilt die Karwoche (althochdeutsch karen = wehklagen) vor Ostern jedoch als wichtigste Woche des christlichen Kirchenjahres. Im Zuge des "Triduum Sacrum", dem österlichen Dreitagefest, gedenkt der "hohe Freitag" nach dem letzten Abendmahl zu Gründonnerstag dem Leiden und Kreuztod Jesu Christi. Im Interview mit der Fürstenfeldbrucker SZ geht der Brucker Pfarrer Niclas Willam-Singer auf die Besonderheiten des Karfreitags ein. SZ: In der katholischen und orthodoxen Kirche gilt Ostern, die Auferstehung Jesu Christi, als das höchste Fest im Kirchenjahr. Dem steht der höchste Feiertag der Protestanten gegenüber, der "schwarze Freitag". Zelebriert die evangelische Kirchengemeinde lieber den Tod anstelle des Lebens? Willam-Singer: Grundsätzlich sind ja Tod und Auferstehung unzertrennlich. Die Auferstehung ohne vorherigen Tod geht nicht, und der Tod ohne Auferstehung wäre sinnlos. Deshalb auch das Dreitagefest, das wie ein einziger Gottesdienst gefeiert wird. Protestanten feiern am Karfreitag jedoch nicht den Tod, sondern die Gnade Gottes. Luther stellte mit der reformatorischen Lehre die Sündenvergebung durch Gott in den Vordergrund. Sola gratia - lateinisch für "allein durch die Gnade"- soll heißen, der Mensch ist bei der Vergebung der Sünden allein auf Gottes Gnade angewiesen.

Wie hängt dies mit dem Leidensweg Christi zusammen?

Gott schickte seinen eigenen Sohn in den Tod. Zunächst ein abstruser Gedanke, aber Jesus nahm damit die Sünden der gesamten Menschheit auf sich. Der Karfreitag erinnert daran, dass wir selbst unsere Weste nicht mit Werken reinwaschen können. Deshalb sind wir so dankbar für die Gnade Gottes und gedenken dem Opfer Jesu.

Die Bräuche des deutlich populäreren Weihnachten kennt wohl jedes Kind. Welche Traditionen sind von Karfreitagüberliefert?

Ich bin ja in Württemberg geboren, dort gab es eigentlich keine Karfreitags-Bräuche. Andernorts legte sich schon zu Gründonnerstag eine Stille über das Dorf. Kinder durften an Karfreitag nicht zu Freunden, die Leute gingen gedämpften Schrittes, Werbung im Radio war verboten. Für die Katholiken ist der Karfreitag auch heute noch ein strenger Abstinenz-und Fasttag. Der Verzicht auf Fleisch und der Verzehr von Fisch, einem altchristlichen Symbol, ist ja den meisten bekannt.

Und der Gottesdienst? Geht die Predigt schwerer von der Hand?

An diesem Tag ist der Altar bei mir komplett abgeräumt. Es gibt zwei Gottesdienste: morgens die Beichte mit Predigt und Empfang des Abendmahls sowie den Gottesdienst zur Todesstunde Jesu um 15 Uhr. Hier wird die ganze Passionsgeschichte verlesen und in Liedern wiedergegeben. Die Predigt am Morgen ist besonders sorgfältig und nah am Leben verfasst. Einerseits wegen der Thematik, andererseits weil zu Karfreitag Menschen in die Kirche kommen, die das eher selten tun. Ich predige zu einem Gemälde von Marc Chagall und weise auf meine eigenen Sünden hin.

Welche Stellung nimmt der Feiertag in der heutigen Gesellschaft ein?

Die Relevanz des Karfreitags ist tatsächlich unverändert. Nur die Regelungen sind heute deutlich entspannter, es muss keiner mehr mit eingezogenem Kopf still auf dem Stuhl sitzen.

Das Tanzverbot ist seit Jahren ein Dauerbrenner, wenn über die Trennung von Kirche und Staat diskutiert wird. Besonders der Freistaat ist hier streng und hält an einer 24-stündigen Stille für jeweils Karfreitag und Karsamstag fest. Landesbischöfin Junkermann äußerte sich einst gegenüber einer Zeitung, bei weiterer Aushöhlung der Festtagsregelungen befürchte sie einen "zivilisatorischen Rückschritt". Was ist Ihre persönliche Meinung zur Feiertagsruhe? Braucht es die Stille, um zu gedenken? Grundsätzlich nein. Dass ich die Stille nicht zwingend benötige, um zu gedenken, heißt aber nicht, dass es bei anderen auch so ist. Wie immer geht es um den gegenseitigen Respekt und die Achtung der Meinung anderer. Ich bekenne mich zum Laizismus, also der strikten Trennung von Kirche und Staat. Der Gesetzgeber kann und soll nur zur Rücksichtnahme mahnen. Alles andere wäre Diktatur.

Viele Gegner des Tanzverbots sehen sich persönlich, wirtschaftlich und kollektiv in ihrer Freiheit verletzt. Was können Sie angesichts solcher Vorbehalte auch Nicht-Christen für den Karfreitag mitgeben?

Karfreitag unterbricht die normale Vergnügungs-Routine. Statt sich auf das vermeintlich Negative zu konzentrieren, kann ich Christen wie Nicht-Christen nur empfehlen, zwischen dem ganzen Alltagsstress einmal eine innere Bestandesaufnahme zu machen: Wie geht es mir? Was fehlt mir und was tut mir gut? Kann ich anderen Gutes tun? Im Gegensatz zu den Silvestervorsätzen ist diese Meditation eine echte Chance auf mehr Lebensqualität.

Am stillen Freitag halten die Pfarrer Gottesdienst. Sie haben in der Ruhe des Feiertags das Wort zu ergreifen. Wie finden Sie für sich noch die stillen Momente?

Ich meditiere seit vielen Jahren. Richtig abschalten und in mich gehen kann ich bei der Ausübung meiner Hobbys. Ich male und fahre gern Fahrrad, auch an Karfreitag. Heutzutage muss ich mir wie jeder andere auch diese Momente ganz bewusst suchen und nehmen.

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