Kolumne:Spurensuche

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Ein Bild, wie gemalt für Papst Franziskus: Caravaggio stellte um 1603 in Rom die Grablegung Christi so dramatisch wie ärmlich dar.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Caravaggio malte um 1603 in Rom die Grablegung Christi so dramatisch wie ärmlich

Kurz vor Ostern öffnete der Papst die Sixtinische Kapelle in Rom - und führte exklusiv eine Gruppe Obdachloser zu den Fresken Michelangelo Buonarrotis. Das passt durchaus, denn in seinen abgewetzten Kleidern kultivierte der öfter einmal ungewaschene Renaissancemeister gerne den Arme-Leute-Look (hortete aber unter seinem Bett Golddukaten).

Danach zeigte Franziskus seinen Besuchern noch die Vatikanischen Museen, wo sie womöglich Caravaggios "Grablegung Christi" sahen. Das passt noch besser. Nicht nur, weil es auf dem um 1603 gemalten Altarbild um das Geschehen zwischen Kreuzigung und Auferstehung geht, als Christus beerdigt wurde und im Grab ruhte. Sondern vor allem, weil dies keine gewöhnliche "Grablegung" ist.

Christus ist hier noch mehr Mensch als Gott. Seine Leiche ist schon aschfahl, aber von großer physischer Präsenz: Die Rippen drücken sich unter der Haut ab, die Adern des muskulösen herabhängenden Armes treten hervor. So ein toter Mann wiegt schwer. Die beiden Träger, Johannes und Nikodemus, ächzen unter dem Gewicht, mit gebückten Rücken hieven sie den Leib zum Rand der vorstehenden Grabplatte (die einst in der römischen Oratorianerkirche auf die Altarplatte angespielt haben mag, über der das Bild hing). Bei allem Respekt, aller Zärtlichkeit scheuen sie sich nicht zuzupacken. Der eine berührt die Seitenwunde Jesu, der andere greift dem Toten unter die Knie, sodass dessen Unterschenkel in der Luft baumeln. Dadurch korrespondieren die nackten Beine und Füße des Trägers mit denen des Gottessohnes, wirken beinahe wie deren Verlängerung. Die Erdhaftung, die Christus nun fehlen wird, leisten ab jetzt seine Anhänger.

Nichts an dieser Aussage ist blasphemisch, im Gegenteil. Und doch war es eine ungemeine Provokation, zwei nicht gerade pedikürte Männerfüße auf Christi Grabplatte zu stellen. Mehr oder weniger in Augenhöhe der Betrachter.

Diese Art von Verstoß gegen das Dekorum, die ästhetischen Anstandsregeln liebte der in Rom wirkende Künstler. Kurz darauf malte er eine Madonna, vor der ein Pilger in geflickter Hose kniet. Er streckt den Zuschauern zwei schmuddelige Fußsohlen entgegen - ein Hinweis auf die Entbehrungen seiner Pilgerreise. Warum auch sollten Caravaggios Figuren ihrem Publikum Respekt zollen - sie ehren nur die Großen ihrer Religion.

Das ist alles ein bisschen handfester als es noch in der Renaissance war. Bei Raffael und Michelangelo legt man sich in der Regel ein Tuch oder einen Schleier auf die Hand, bevor man den toten Jesus sachte berührt. Caravaggio (1671-1610) übertrumpft seine Vorgänger in Lebensnähe - und alles was zwischendurch an entrückter Kunst geschah sowieso. Gleichzeitig ist er der Theaterregisseur unter den Barockmalern. Wie unterschiedlich die drei Marien auf der "Grablegung" trauern, still, weinend und klagend, das zeugt von bewusster Affektregie. Und: Alle sechs Figuren bilden eine Einheit, eine geschlossene Gruppe des Glaubens in dunkler Nacht. So mag sich mancher Katholik in Zeiten der Gegenreformation gefühlt haben - es entsprach zumindest der Doktrin.

Das Gemälde müsste Papst Franziskus eigentlich gefallen. So viel Respekt vor den Armen, so viel wirkungsvolles Drama. Vielleicht entdeckt er ja doch noch den Nutzen der alten Kunst, nicht nur als Kulisse seiner Wohltätigkeit.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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