Gauweilers Rücktritt vom Bundestagsmandat:Warum es in der Politik an Charakterköpfen fehlt

Peter Gauweiler

Gauweilers Abschiedsbrief an Horst Seehofer war nur vordergründig freundlich gemeint.

(Foto: dpa)

Die politische Parteien ziehen nicht sehr viele Talente an. Der lange Weg durch die Gremien fördert eher den Durchschnitt als die Besonderen. Das ist bedauerlich - aber nachvollziehbar.

Kommentar von Kurt Kister

Kantig sei er, hieß es, oder gar, schreckliche Floskel, "politisches Urgestein". Die Rede ist von Peter Gauweiler, der in dieser Woche sein Bundestagsmandat niederlegte und seinen Sitz als stellvertretender CSU-Parteichef räumte.

Gauweiler hat Prinzipien und gleichzeitig ist er ein Prinzipienreiter. Er ist gegangen, weil er in zu vielem von der Euro-Rettung bis zur Russlandpolitik nicht mit der offiziellen Parteilinie übereinstimmte. Das hat ihm mehr Lob als Tadel eingebracht, etwa nach dem Motto: endlich einer, der sich selbst treu bleibt.

Gauweiler hat sein Mandat nicht ernst genommen

Nun ja. Ohne zu lange über Gauweiler zu räsonieren, muss man doch feststellen, dass er sein Bundestagsmandat nicht ernst genommen hat. Er war selten da, hat das Gehalt aber trotzdem ohne jede Bedenken eingestrichen. Gewiss hat er viel davon wieder für seinen privat-politischen Kampf gegen die Euro-Politik vor dem Bundesverfassungsgericht ausgegeben. Das allerdings fiel ihm, dem millionenschweren Anwalt, leicht. Als solcher vermischte er munter seine politische mit seiner beruflichen, ökonomischen Existenz. Sehr deutlich wird das an seinem Verhalten als Rechtsvertreter des Labormediziners Schottdorf.

Solche wie Gauweiler, sagen seine Apologeten, gebe es nicht mehr viele im Bundestag. Das ist wahr, aber es ist nicht sehr schade. Kein anderer hat sein Mandat so öffentlich nur als Nebenjob ausgeübt. Während der Parlamentspräsident Norbert Lammert das Ansehen des Bundestags zu heben versucht, drehen Teilzeitabgeordnete wie Gauweiler letztlich dem Parlamentarismus eine lange Nase.

Der Auswahlprozess in den Parteien fördert eher den Durchschnitt als die Besonderen

Der Fall Gauweiler ist der falsche Anlass für richtige Fragen: Warum gibt es so wenige Typen unter den Abgeordneten, männlich oder weiblich? Wo sind die Redner, die begeistern oder die leidenschaftlichen Kämpferinnen, die etwas wollen und dies auch deutlich machen?

Wer sich für Politik interessiert, kennt ein paar solche Namen: Herbert Wehner und sein Pendant von der anderen Seite, Franz Josef Strauß; der jüngere Joschka Fischer oder Gregor Gysi. Sie alle sind auch Beispiele dafür, dass man als begabter, am Gemeinwesen orientierter Ego-Politiker nach oben kommen kann. Man muss nicht scheitern, so wie einige, die sich in erster Linie an sich selbst orientieren.

Zu wenig Anreize für begabte Politiker

Es stimmt, dass Fraktionen im Prinzip niemanden wollen, der herausragt aus der großen Gruppe jener, die über einen mühseligen, eher den Durchschnitt fördernden Selektionsprozess an ihre Wahlkreisnominierung oder ihren Listenplatz gelangt sind.

Nicht von ungefähr geraten die Besonderen gerne früher oder später in den Clinch mit ihrer Partei. Manche gehen dann; andere sind geduldet und von den Talkshows gefragt; wieder andere werden von ihren Chefs temporär benutzt und dann fallen gelassen (zum Beispiel Gauweiler von Seehofer).

Politik zieht nicht viele politische Talente an. Das ist bedauerlich, und es liegt nicht nur daran, dass der Weg durch die Gremien so lang ist. Jede und jeder muss heute damit rechnen, dass Privatleben, Halbsätze und Scherze Themen jener Stante-pede-Netzöffentlichkeit werden, die gelegentlich Standrechtcharakter annimmt. Warum also sollte eine glänzende Rednerin, ein charismatischer Überzeuger statt in eine Unternehmensberatung oder einen Vorstand ausgerechnet in den Bundestag streben?

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