Symbole und Politik:Mein lieber Freund!

Auch der Händedruck ist Politik: Viele Staatenlenker tun so, als seien sie die besten Kumpels. Manchmal ist das schlechtes Theater. Manchmal aber ist die Heuchelei sinnvoll.

Von Stefan Braun

Von Angela Merkel weiß man, dass sie das nicht leiden konnte. Dass es ihr unangenehm war, es gerne kurz hielt. Jemandem die Hand zu geben, war nicht ihre Sache. Damals, als es mit ihr und der Politik richtig losging. Das galt verschärft, wenn der Handschlag kumpelhaft daherkam. Wie in der CDU. Der CDU vor Merkel. Eine Szene aus dem April 2000, die das ausleuchtet. Merkel ist gerade zur neuen Vorsitzenden gewählt worden. Friedrich Merz, offiziell ihr Partner, im Geiste ihr Gegner, kommt, um zu gratulieren. Aber er gibt ihr nicht die Hand, er greift sich ihre. Dazu neigt er sich leicht über sie und packt sie mit seiner Linken an ihrem Oberarm. Merz freut sich nicht mit ihr. Er dominiert sie per Handschlag. Merkel bemüht sich um ein Lächeln; müht sich, ihm entschlossen zu begegnen. Ihre Abneigung ist offensichtlich; sie steht ihr ins Gesicht geschrieben.

Die Kanzlerin allerdings ist seither ein lernendes System geworden. Das gilt auch für Gesten; auf dem Gebiet hat sie sich besonders erfolgreich weiterentwickelt. Neulich ist Griechenlands Regierungsrevolutionär Alexis Tsipras bei ihr gewesen. Als beide zum Foto vor die Flaggen treten, lächelt der derzeit berühmteste Krawattenverzichter demonstrativ fröhlich, während Merkel ihn verschmitzt von der Seite anlächelt. Fast belächelt sie ihn, aber das bleibt offen. Natürlich. Schaut man auf ihre Hände, dann wird trotzdem was deutlich. Tsipras greift zu, als müsste er einen Hammer festhalten. Merkel lässt ihre Hand baumeln. Ob sie, die Euro-Spar-Chefin, diese Hand richtig ergreifen wird, will sie noch abwarten. Eine kleine Geste und eine harte Botschaft.

Ja, diese Handschläge. Ein Allerweltsgeschäft. Oft flüchtig und irgendwie selbstverständlich. Sie gehören zum Leben. Sicher, Politiker müssen sie häufiger einsetzen. Sie müssen freundlich wirken; sonst können sie ihren Job vergessen. Und doch stecken hinter der Alltagsgeste viele Geschichten. Kleine, feine, verlogene und manchmal große Geschichten, die das Politische ins Körperliche übersetzen. Geschichten von Lüge und Zwietracht, von schwieriger Versöhnung, von Selbstbeherrschung und Machtfragen. Merkels Handschlag mit Tsipras liefert dazu noch eine andere Botschaft. Obwohl die beiden davor und danach heftig um den richtigen Weg zur Griechenland-Rettung streiten, zeigt ihre Begegnung vor den Fahnen auch eines: dass sich in der EU auch bittere Kontrahenten friedlich, anständig, im besten Sinne zivilisiert begegnen. Der Handschlag als Geste gegen alle, die mit Nazi-Vergleichen und Faulenzer-Debatten Aggression säen.

Natürlich geht es auch anders. Ganz anders. Der 5. September 2013 zeigt das besonders. An diesem Tag treffen US-Präsident Barack Obama und Russlands Staatschef Wladimir Putin aufeinander. Putin hat zum G-20-Gipfel nach Sankt Petersburg geladen. Obama ist da, kann es an der Seite Putins aber kaum aushalten. In diesem Moment entsteht das Bild eines Handschlags, der nichts anderes mehr ist als eine Machtfrage. Zwischen diese Hände will man nicht geraten. Der Druck ist kräftig, ja aggressiv, und beide tun so, als würde sie das gar nichts angehen. Putin und Obama sehen aneinander vorbei, ihre Blicke gelten der Ferne. Eine Ferne, die unterschiedlicher nicht sein könnte. Ihre Hände frieren fest, da ist nichts mehr von Wärme. Wochen später nennt Obama Russland eine Regionalmacht. Monate später beginnt in der Ukraine ein Krieg, den Putin vom Zaun bricht. Ende offen.

Zwanzig Jahre früher ist die Welt eine ganz andere. Am 13. September 1993 schenken sich zwei Feinde ein Lächeln, das echt ist. Die Szene spielt sich ab im Rosengarten des Weißen Hauses. Der US-Präsident heißt Bill Clinton. Seine Gäste stammen aus dem Nahen Osten. Und niemand übertreibt, wenn er sagt, dass sich an diesem Tag zwei Erzfeinde die Hand reichen. Der eine heißt Jitzchak Rabin, er ist Ministerpräsident Israels. Der andere heißt Jassir Arafat, er ist der PLO-Chef. Beide haben sich bekriegt, über Jahrzehnte. Jetzt wollen sie nicht mehr töten, sondern Frieden schaffen. Deshalb haben sich die alten Männer auf Verhandlungen eingelassen. Clinton legt jedem eine Hand auf die Schulter, dann schiebt er sie sanft zueinander. Rabin lächelt vorsichtig, seine Hand zögert; Arafat greift weiter aus, er freut sich, er wird endlich anerkannt von seinem Gegner. Nichts ist verlogen, alles ist schwierig - es geht um Versöhnung. Zwei Jahre hält die Hoffnung. Dann wird Rabin ermordet.

Andere waren weniger bedeutend und bedeutend ärgerlicher beim Handschlag. Rainer Brüderle und Philipp Rösler zum Beispiel. Am 10. März 2013 in Berlin tun sie so, als würden sie sich wirklich mögen. Sie wissen halt, dass sie im Wahlkampf kooperieren müssen. Jeder andere aber weiß, dass sie sich nicht ertragen können. Hinter dem Rücken des anderen werden Giftpfeile verschossen. Vorne rum tun sie so, als wollten sie gemeinsame Sache machen. Hier ist nichts spaßig, nichts zivilisiert, nichts ehrlich. Hier spielen zwei einfach nur schlecht Theater. Das Ergebnis ist bekannt: Gemeinsam gelingt es den beiden, beim Wähler so wenig zu überzeugen, dass die FDP zum ersten Mal aus dem Bundestag fliegt.

Tröstlich ist, dass es auch das andere gibt. Das ehrlich Ausgelassene. Der spontan-anarchische Versuch, den Rahmen einfach mal aufzubrechen. Wie Jean-Claude Junker im Jahr 2012, als er in Brüssel dem spanischen Wirtschaftsminister Luis de Guindos nicht die Hand reicht, nicht die Schulter tätschelt (was Juncker sehr gerne tut), sondern ihm an den Hals geht. Es wird eine Mordsgeste, die jede Anspannung auflöst. Er tänzelt an der Grenze des guten Geschmacks. Es geht gut aus. Der Ernst kommt früh genug wieder.

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