Gedenken an den Zweiten Weltkrieg:Wenn Geschichte für Machtpolitik genutzt wird

Gedenken an Kriegsende vor 65 Jahren - Militärparade in Moskau

Martialische Erinnerungskultur: Bei einer Militärparade in Moskau fahren Panzer aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs über den Roten Platz.

(Foto: dpa)
  • Zum ersten Mal spricht im Bundestag zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs kein Politiker, sondern ein Historiker: Heinrich August Winkler.
  • Beobachter sehen darin einen Wandel in der Erinnerungskultur.
  • In Peking und Moskau werden zum 70. Jahrestag des Kriegsendes Militärparaden abgehalten. CDU-Außenexperte Norbert Röttgen warnt vor einem Missbrauch des Weltkrieg-Gedenkens.

Von Stefan Kornelius

Historiker spricht im Bundestag zum Gedenken an Zweiten Weltkrieg

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird ein Historiker im Bundestag die Rede zum Gedenken an den Zweiten Weltkrieg halten. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll der Geschichtswissenschaftler Heinrich August Winkler am 8. Mai während einer kurzen Gedenkfeier des Bundestages sprechen.

70 Jahre nach Kriegsende werden damit weder der Bundespräsident noch die Kanzlerin das Wort ergreifen. Seit 1964 hat entweder ein Bundespräsident oder ein Bundeskanzler zu den Gedenktagen des Zweiten Weltkriegs gesprochen. Bereits im vergangenen Jahr hatte der deutsch-französische Historiker Alfred Grosser zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges die Gedenkansprache gehalten. Beobachter sehen darin einen Rückzug der Politik vom historischen Gedenkzyklus.

Russland und Peking halten Militärparaden ab

Die Erinnerung an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges steht im Schatten tagesaktueller Krisen, vor allem dem Krieg in der Ukraine und der Spannungen zwischen China und seinen Nachbarn. Erstmals in diesem Jahr wird Peking eine Militärparade zum Gedenken an das Ende des Krieges gegen Japan abhalten. Erst 2014 wurde in China ein nationaler Feiertag zum Kriegsende eingeführt. In Moskau wird am 9. Mai eine Militärparade zum Gedenken stattfinden. Wegen der anhaltenden Spannungen in der Ukraine haben die meisten westlichen Staaten ihre Teilnahme abgesagt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird am 10. Mai einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten in Moskau ablegen. An der Parade wollte sie angesichts der Annektion der Krim nicht teilnehmen. Das Bundeskanzleramt hatte nach SZ-Informationen angeboten, den Kranz am 8. Mai niederzulegen. Die russische Präsidialverwaltung hatte abgelehnt. Der 8. Mai gilt als der Siegestag der USA und der Briten. Russland gedenkt seit jeher am 9. Mai der deutschen Kapitulation.

Röttgen warnt vor Missbrauch des Gedenkens und Geschichtsvergessenheit

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, warnte vor einem Missbrauch des Weltkrieg-Gedenkens. Röttgen sagte der Süddeutschen Zeitung, es sei unbenommen, dass der Opfer und der Toten gedacht werden müsse. "Darüber kann man nicht streiten." Auf der anderen Seiten müsse man aber verhindern, dass Geschichte für aktuelle geopolitische Ereignisse instrumentalisiert werde. "Man kann Geschichte nicht dazu verwenden, einen autoritären Führungsstil und die Bedeutung von militärischer Macht zu legitimieren."

Röttgen mahnte, das Gedenken und die aktuelle Politik auseinanderzuhalten. "Wir würdigen die Opfer und zeigen Empathie, aber wir dürfen das nicht mit der Tagespolitik vermischen." Allerdings forderte Röttgen auch, in Deutschland die Erinnerung nicht alleine den Historikern zu überlassen. "Wir müssen das Erinnern vorleben, auch als Politiker", so Röttgen, "wir dürfen nicht in Geschichtsvergessenheit verfallen".

Kritik an Putins Geschichtsrevisionismus

Nach Alfred Grosser setzt nun Heinrich August Winkler, emeritierter Professor für Neuere Geschichte und ein Art Doyen der politischen Geschichtsbetrachtung Deutschlands, den Trend der Historiker-Rede fort. Winkler sagte der Süddeutschen Zeitung, er halte die politische Instrumentalisierung von Geschichte für erschreckend. "Besonders erschreckend ist die Rehabilitierung des Hitler-Stalin-Paktes durch den russischen Präsidenten Putin.

Im Hitler-Stalin-Pakt hatten die beiden Diktatoren die Aufteilung Mitteleuropas in ihre Einflussbereiche besiegelt. Winkler, der aus seiner Kritik der russischen Politik gegenüber der Ukraine nie einen Hehl gemacht hat, wirft Putin vor, er rechtfertige indirekt die Annektion des damaligen Ostpolens und des Baltikums als "Gebot der sowjetischen Realpolitik" - damit aber auch "den sowjetischen Beitrag zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges".

Mit Blick auf die Polarisierung der politischen Lager in Europa durch die Ukraine-Krise sagte Winkler: "Putins Geschichtsrevisionismus passt auf fatale Weise zusammen mit seiner gezielten Zusammenarbeit mit rechtsradikalen bis neofaschistischen Parteien in Europa - eine zutiefst destruktive Politik, die die Europäische Union ebenso beunruhigen muss wie das atlantische Bündnis."

Eine ausführliche Analyse lesen Sie in der Wochenend-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.

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