Brand in Flüchtlingsheim in Tröglitz:Appell an die breite Mitte

Brand in zukünftiger Asylbewerberunterkunft

Flüchtlinge willkommen heißen: Die Bürger von Tröglitz versammeln sich, um Solidarität zu zeigen. In der Nacht zum Samstag wurde eine künftiges Asylbewerberheim in Brand gesteckt.

(Foto: dpa)

Es brennt in einer Asylbewerber-Unterkunft in Tröglitz - genau dort, wo vor Wochen der Bürgermeister zurücktrat, wegen rechtsextremer Drohungen. Schnell ist klar: Es war Brandstiftung, ein politisches Motiv liegt nahe. Politiker äußern ihre Abscheu - aber wichtiger ist jetzt, welche Reaktion die Bürger im Ort zeigen.

Von Oliver Klasen

Auch wenn die Polizei noch ermittelt am Samstagmorgen, für Markus Nierth ist sofort klar, was sich zugetragen hat in der Ernst-Thälmann-Straße in Tröglitz - jenem Ort, dessen Bürgermeister er bis Anfang März war. Bis er zurücktrat - weil er sich bedroht sah, von Rechtsextremen, die ihn wegen seines Engagements für Flüchtlinge angingen.

In der Nacht von Freitag auf Samstag brannte es im Ort. Ausbruch des Feuers gegen 2 Uhr, Ausgangspunkt war der Dachstuhl, die einzigen beiden Bewohner konnten sich in Sicherheit bringen, Sachschaden in sechsstelliger Höhe - so viel sagen Feuerwehr und Polizei am Morgen. Wer das Feuer gelegt hat und ob es überhaupt Brandstiftung war, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher.

Klar ist: Betroffen ist das Haus, in dem von Mai an 40 Flüchtlinge unterkommen sollten.

"Davon wird Tröglitz sich wohl nie erholen", sagt der parteilose Ex-Bürgermeister Nierth dem Berliner Tagesspiegel. "Ich bin fassungslos, traurig und wütend zugleich. Da ist die braune Saat so weit aufgegangen, dass man nun lieber Häuser niederbrennt, in denen Familien eine neue Bleibe finden sollten."

Signal vom ehemaligen Bürgermeister

Es mag wie Vorpreschen wirken, was Nierth sagt. Aber er ist sich sicher. Er ist ein Mann, der klare Signale senden will. Schon sein Rücktritt war ein klares Signal. Also geht Nierth noch weiter: "Eine bleibende Schande für Tröglitz, die uns nun mit Mölln und Hoyerswerda in eine Reihe bringt und noch viele unabsehbare Folgen haben wird."

Im schleswig-holsteinischen Mölln starben 1992 bei einem Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Haus drei Frauen. Im sächsischen Hoyerswerda attackierten Neonazis 1991 eine Asylunterkunft mit Molotow-Cocktails und Stahlkugeln.

Nierth richtet sich an die "breite Mitte" in Tröglitz, wie sie der ehemalige Bürgermeister in einem Gespräch mit einem TV-Sender am Samstagnachmittag nennt. Die habe sich "bisher vorsichtig schweigend verhalten".

Schön jetzt erfährt, wer "Tröglitz" bei Wikipedia eintippt, nur wenig über den Ort: Postleitzahl 06729, gegründet als Arbeitersiedlung in den dreißiger Jahren, inzwischen mit neun weiteren Dörfern zur Gemeinde Elsteraue zusammengeschlossen, im Ortsrat sieben CDU-ler und ein Linke-Mitglied, 2816 Einwohner im Jahr 2007 - inzwischen sind es nur noch 2712, wie die Seite der Gemeindeverwaltung verrät.

Ein großer Teil des Wikipedia-Eintrags beschäftigt sich mit dem Konflikt um die Flüchtlingsunterkunft. Auch der Brandanschlag vom Samstag steht schon drin.

Was Nierth seinem Dorf also sagen will, ist Folgendes: Hoyerswerda, Mölln, Tröglitz - wollt ihr das?

Am Mittag verdichtet sich Nierths Vermutung langsam zur Nachricht. Die Polizei gibt eine Erklärung heraus, die Staatsanwaltschaft äußert sich bei einer Pressekonferenz. Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und Innenminister Holger Stahlknecht (beide CDU) sind dort.

"Es ist definitiv besonders schwere Brandstiftung", sagt Staatsanwalt Jörg Wilkmann in Halle. Es handle sich um eine gemeingefährliche Straftat schlimmster Art. Auch eine versuchte Tötung könne nicht ausgeschlossen werden. Immerhin lebten zwei Menschen in dem Haus. Ob Fremdenhass das Motiv war, ist demnach zwar immer noch nicht sicher. Die Ermittler halten einen politischen Hintergrund aber für naheliegend.

Abscheu über die Tat

Brand in zukünftiger Asylbewerberunterkunft

Politiker äußern ihr Entsetzen über den Brandanschlag in einer Asylbewerberunterkunft: Sachsens-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (2.v.l) und Innenminister Holger Stahlknecht (3.v.l./beide CDU).

(Foto: dpa)

Nach den bisherigen Erkenntnissen geht die Polizei davon aus, dass "ein oder mehrere Personen" in das Haus eingedrungen sind und den Brand verursacht haben. "Dabei wurde mit großer Wahrscheinlichkeit auch Brandbeschleuniger verwendet", heißt es in der Pressemitteilung.

Die Politiker, die sich am Samstag zu Wort melden, äußern ihre Abscheu über die Tat: "Ich bin tief betroffen und wütend, dass dieses Verbrechen stattgefunden hat", sagt Ministerpräsident Haseloff. "Wer Unterkünfte von Flüchtlingen anzündet, handelt feige und abscheulich", teilte Justizminister Heiko Maas (SPD) per Twitter mit. "Die Täter gehören hinter Schloss und Riegel. Menschen, die Schutz in Deutschland suchen, müssen hier friedlich und sicher leben können. Unsere Sicherheitsbehörden sind fest entschlossen, das hierfür Notwendige zu tun", sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Auch Familienministerin Manuela Schwesig äußerte sich zu der mutmaßlich rechtsextremen Tat. "Feiger Brandanschlag in Tröglitz macht wütend.", schreib sie auf Twitter.

Wichtiger als diese Reaktionen scheint für Nierth das, was in Tröglitz selbst passiert. Zum Beispiel bei der Bürgerversammlung am Mittwoch, bei der der Landrat über die Unterbringung der Flüchtlinge informierte. Etwa 500 Menschen waren da, auch ein paar lokale NPD-Aktivisten, die lautstark gegen die Asylbewerberunterkunft Stimmung machten. Andererseits kamen etwa 100 Unterschriften für eine Bürgerinitiative zusammen, die der Gemeindepfarrer Matthias Keilholz mitgegründet hat. Sie setzt sich dafür ein, dass die Flüchtlinge in Tröglitz herzlich aufgenommen werden.

Trotzdem: Diejenigen Bürger, die für dieses herzliche Willkommen stehen, melden sich am Mittwoch nur selten zu Wort. Nierth hofft, wie er in dem TV-Interview sagt, dass sich diese "breite Mitte" bisher "vielleicht deshalb nicht geäußert hat, weil sie sich nicht so redegewandt fühlte" und nicht glaubte, dass es nötig ist, dass sie sich engagiert.

Am späten Nachmittag gab es auf dem Friedensplatz in Tröglitz eine Kundgebung - mit Gebet und Lichterkette. Es ist die Chance, dass passiert, was sich Nierth und Keilholz erhoffen. Dass die "breite Mehrheit" sich erhebt. Immerhin 300 Menschen beteiligten sich an der Demonstration für ein weltoffenes Tröglitz.

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