Fundamentalismus und Religionsfreiheit:Wer für Christen eintritt, muss auch für Muslime kämpfen

147 die in an attack on Kenyan university

Der Terroranschlag n Kenia stürzt das Land in tiefe Trauer.

(Foto: dpa)

Beim Angriff auf die Universität in Kenia mussten viele Menschen ihrer Religion wegen sterben. Christenverfolgung ist erschreckende Gegenwart. Wer ihr entgegentreten will, muss für die Glaubensfreiheit insgesamt streiten.

Kommentar von Matthias Drobinski

Die Mörder kamen im Morgengrauen, drangen in die Schlafsäle der Studenten ein; wer keinen Koranvers rezitieren konnte, war des Todes. Mindestens 147 Menschen ermordeten Terroristen der Al-Shabaab-Miliz auf dem Campus der Universität im kenianischen Garissa, viele von ihnen, weil sie Christen waren. Viele Tausend Kilometer weiter, in Indien, stehen Christen zu Ostern in ausgebrannten Kirchen. Seitdem der Hindu-Nationalist Narendra Modi an der Regierung ist, nimmt die Gewalt gegen sie zu. Vor zwei Wochen erst jagten sich Selbstmord-Attentäter vor zwei Kirchen in die Luft, 17 Menschen starben. Es sind furchtbare Nachrichten zum höchsten Fest der Christenheit. Das Sterben der Christen und der christlichen Kultur in Syrien, im Irak, schafft es schon gar nicht mehr in die Nachrichten. Es findet einfach statt.

Christenverfolgung: das sind nicht mehr nur die Schauer- und Märtyrergeschichten aus den römischen Arenen vor 2000 Jahren. Es ist die erschreckende Gegenwart. Dass Menschen wegen ihrer Religion verfolgt werden, war lange ungern gehört im Westen. Es passte nicht so recht in den säkularisierten Menschenrechtsbegriff, es blieb das Thema sehr konservativer bis islamfeindlicher Gruppen. Erst allmählich ändert sich das. Das ist gut - und verursacht zugleich neue Sorgen. Es ist mittlerweile die Christenverfolgung zu einem Kampfbegriff geworden, bei dem es nicht mehr um die Solidarität mit den Verfolgten geht, sondern um die Aufrüstung gegen den Feind, gegen "den" Islam. Die Brutalität der Terrormilizen von IS bis al-Qaida macht dies einfach; und das wollen diese Gruppen ja auch: dass das Feinddenken wächst, dass die Welt der Ideologie entspricht, die sie verbreiten. Sie haben damit Erfolg. Mittlerweile verkünden vornehmlich evangelikale Gruppen, man müsse den Islam mit Gewalt bekämpfen; sie haben damit zum Beispiel in Afrika große Missionserfolge.

Warum "Christenverfolgung" kein Kampfbegriff werden darf

Dabei sind ja längst nicht nur Christen die Opfer der Auseinandersetzungen. In Syrien und im Irak sterben genauso Muslime, weil sie von den Kämpfern als Glaubensverräter gesehen werden. Wer Christenverfolgung als Kampfbegriff nutzt, übersieht, dass in China Muslime viel stärker als Christen verfolgt werden oder dass, gemessen an der Zahl der Gläubigen, die friedfertigen Bahai die am stärksten verfolgte Glaubensgemeinschaft sind, ohne dass es im Westen einen Aufschrei gäbe; der verschleiert, dass auch Christen Täter sind und waren, in Srebrenica wie in Afrika. Er verneint die Mitverantwortung des Westens an vielen Konflikten, bis hin zur verfehlten Irak-Politik des US-Präsidenten George W. Bush.

Religionen sind, stärker als noch vor einer Generation, der Schlüssel zum Frieden und zum Unfrieden in der Welt; das ist im Westen mit seiner säkular-aufgeklärten Religiosität lange verdrängt worden. Weltweit wird entsprechend die Auseinandersetzung zwischen den aufgeklärten und den fundamentalistischen Strömungen innerhalb der Religionen schärfer, zwischen jenen Vertretern, die eine Welt wünschen, in der auch Andersdenkende ihren Platz haben, und jenen, die sich im großen Kampf gegen den Teufel wähnen, der sich im Andersdenkenden zeigt. Im Islam, auch das ist die bittere Erkenntnis der vergangenen Jahre, treiben weltweit die Fundamentalisten die Friedlichen vor sich her. Die Christen aber haben keinen Grund, sich als die moralisch Überlegenen auf der sicheren Seite zu sehen; dass Jesus die Feindesliebe predigte, hat die Christen bis heute nicht daran gehindert, Grausamkeiten jeder vorstellbaren Art zu begehen.

Religionsfreiheit ist eine der schwierigsten Übungen

Wer den verfolgten Christen zur Seite treten will, muss deshalb für die Glaubensfreiheit insgesamt streiten. Er muss für das Recht eintreten, dass jeder seinen Glauben offen und öffentlich leben kann, auch als Minderheit, auch dann, wenn sich die Mehrheitsgesellschaft am Glauben dieser Minderheit reibt; Religionsfreiheit ist eine der schwierigsten Übungen im Ertragen des anderen. Zu ihr gehört das Recht, die Religion zu wechseln, und selbstverständlich das Recht, gar keine Religion zu haben und dies offen zu sagen. Das gilt für den Irak und für Saudi-Arabien, das gilt aber auch in Deutschland: Wer zu Recht beklagt, dass Christen in muslimischen Ländern keine Kirchen bauen können, muss für das Recht der Muslime eintreten, in Deutschland Moscheen bauen zu dürfen.

Wer für die staatliche Anerkennung des Islam in Deutschland eintritt, darf zum Leid der Christen nicht schweigen. Und wer lauthals die Christenverfolgung in aller Welt beklagt, dann aber in Deutschland den Menschen nicht helfen will, die vor religiöser Diskriminierung geflohen sind, der hat überhaupt nichts verstanden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: