Links, rechts, geradeaus:"Hier gibt es so viele Regeln"

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Auf dem Geretsrieder Verkehrsübungsplatz unterrichten zwei Polizisten Asylbewerber theoretisch und praktisch in deutschen Radfahrer-Bestimmungen.

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Fahrräder sind in Afghanistan ein ebenso gängiges Verkehrsmittel wie in Deutschland. Der Unterschied: Wenn sich Habib Karimi in seiner Heimat auf das Rad setzte, dann musste er sich auf seinem Weg ans Ziel wenig Gedanken machen über Handzeichen, das richtige Einordnung und weite Bögen beim Linksabbiegen. In Afghanistan fahre man, wie man wolle, erzählt der 21-Jährige. Ob das nicht ständig zu Unfällen führe? Er lächelt: "Nein." Deshalb sei es auch für ihn, als geübten Radfahrer, der schon sein halbes Leben in die Pedale trete, schwierig, dasselbe in Deutschland zu tun. Denn: "Hier gibt es so viele Regeln."

Die haben ihm und ein paar anderen Flüchtlingen jetzt zwei Verkehrspolizisten nähergebracht. Am Morgen ist der Wolfratshauser Polizeihauptmeister Hans-Peter Eidenschink nach Bad Tölz gefahren, um einen grün-weißen Transporter zu holen, voll mit gelben Kinderfahrrädern und Verkehrsschildern, die er dann auf dem Verkehrsübungsplatz am Robert-Schumann-Weg in Geretsried aufgestellt hat. Zum Einsatz kommen die Kinderfahrräder jedoch nicht: Regentropfen sammeln sich auf den schwarzen Sitzen, den ganzen Vormittag über geht ein beißender Wind. Unterstützung hat Eidenschink von Polizeihauptmeisterin Steffi Engel-Jugovic von der Geretsrieder Polizeiinspektion. Die Resonanz bleibt gering, etwa ein halbes Dutzend Flüchtlinge nimmt das Training in Anspruch. "Uns sind mehr angekündigt worden", sagt Eidenschink. Aber auch er kann sich vorstellen, dass die meisten wegen des Wetters lieber im Zimmer bleiben.

Das Training sei vom Helferkreis der Asylbewerber, die in Geretsried im Container-Dorf neben der Franz-Marc-Schule untergebracht sind, bei der Polizei angefragt worden, sagt Eidenschink. Gern habe man sich dazu bereit erklärt, unter ein paar Voraussetzungen: Die erwachsenen Flüchtlinge etwa sollten Helme und verkehrstüchtige Fahrräder mitbringen. Die erste größere Hürde: Die Fahrräder waren teilweise alles andere als verkehrstauglich, hier war ein Dynamo defekt, da eine Bremse kaputt, bei anderen funktionierte das Rücklicht nicht. Inzwischen ist alles repariert. Gegen halb elf am Vormittag radeln Karimi und seine iranischen Landsleute Freidun Habibi und Mirahmad Goulestani auf Damenfahrrädern und mit bunten Helmen auf den Köpfen über den Verkehrsübungsplatz, "sehr engagiert", wie Eidenschink sagt, "und ohne Widerwillen", trotz des Wetters.

"Halt!", ruft Eidenschink: Der 28-jährige Habibi ist gerade an ihm vorbeigefahren und links abgebogen, auf den ersten Blick völlig ordnungsgemäß. Der Polizeihauptmeister sieht das anders: Er hält Habibi an und beginnt aufzuzählen. "Du hast dich nicht umgeschaut", sagt er, "und kein Handzeichen gegeben." So lernen es Kinder heute in der Grundschule: Erstens umschauen, zweitens Handzeichen geben, drittens einordnen. Eidenschink erinnert Habibi an den Gegenverkehr, der in der Realität vermutlich vorhanden gewesen wäre. "Und ein ganz großer Fehler, den du gemacht hast: kein großer Bogen." Er nimmt den Lenker und führt ihn von der Mitte der Spur links im Viertelkreis herum an den rechten äußeren Rand der abzweigenden Fahrbahn. Vorher war Habibi mittig in die Straße eingebogen - und hätte sich auf einer echten Straße womöglich in Gefahr gebracht.

Gegen elf Uhr beenden Eidenschink und Engel-Jugovic das Training. Die drei Afghanen stellen die Räder ab. "Es ist viel Stoff, viele Zeichen, viele Regeln - um das richtig zu machen, müssten wir uns viermal treffen. Die Zeit ist leider nicht da", erklärt Eidenschink. Die jungen Männer sollen im Container trotzdem herumfragen, schlägt Engel-Jugovic vor: Vielleicht lässt sich das Training im Frühling oder Sommer wiederholen.

© SZ vom 07.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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