Mileustudie:Reisen zu den Reichen

Mileustudie: Dennis Gastmann: Geschlossene Gesellschaft. Ein Reichtumsbericht. Rowohlt, 2014. 304 Seiten, 19,95 Euro.

Dennis Gastmann: Geschlossene Gesellschaft. Ein Reichtumsbericht. Rowohlt, 2014. 304 Seiten, 19,95 Euro.

Dennis Gastmann war da, wo die sehr Wohlhabenden sich tummeln. Er sprach mit etlichen von ihnen, um herauszufinden, wie sie wirklich sind, die Reichen. Das Ergebnis: amüsante Einblicke in das Leben einer illustren Spezies.

Von Johann Osel

Die Welt ist ungerecht, "Gold und Geld liegen in den Händen einer kleinen Schar von Millionären und Milliardären." Die Diagnose, die der Schriftsteller und TV-Journalist Dennis Gastmann zu Beginn seines Buches stellt, ist keine Neuigkeit. Man denke, so der Autor, an gängige Zerrbilder: "Während sich andere durchs Leben hartzen, blasen diese Seligen zur Großwildjagd in Namibia, kaufen Karibikinseln und koksen in Saint-Tropez. Sie saugen uns aus wie Vampire, kriechen durch jedes Steuerschlupfloch und schlafen mit der Moral."

Er frage sich, wie sie wirklich sind, die Reichen, die Mitglieder dieser geschlossenen Gesellschaft, die Erben und Selfmade-Leute, Adeligen und Jetsetter, Parvenus und Playboys. "Geschlossene Gesellschaft. Ein Reichtumsbericht" heißt denn auch Gastmanns Buch, in dem er wie ein Naturforscher auftritt, der eine neue Spezies zu erkunden sucht.

Gastmann ist für derlei Projekte bekannt. In seinem ersten Buch reiste er "Mit 80 000 Fragen um die Welt"; im Nachfolgewerk trat er den Gang nach Canossa an, wie einst der Büßer Heinrich IV.: zu Fuß nach Norditalien. Nun also ist die Welt der Reichen an der Reihe. Hätte man all die Ausrufe des Erstaunens und der Ungläubigkeit, die zwischen den Zeilen durchblitzen, all das "Ah", "Ach", "Oh" und "Echt?", abgedruckt - das Buch wäre doppelt so dick geworden. Demonstrativ naiv, tölpelhaft zuweilen begibt Gastmann sich in das Wunderland, das sich auf Sylt, in Cannes und London inszeniert, in Katar, in der Ukraine und in der schwäbischen Provinz.

Zunächst das Problem: Gesprächspartner finden. Gastmann versucht es mit Briefen. "Meine Worte glichen Liebeserklärungen, ich garnierte sie mit Sahne und Kirschen und schickte sie um den Globus." Auch an ganz dicke Fische: "Niemals werde ich das Gesicht der Postangestellten in der Filiale Hamburg-Schlüterstraße vergessen, nachdem ich sie gebeten hatte, meine Briefe an Bill Gates, Warren Buffet und die Google-Guys zu frankieren." Absagen über Absagen kamen, die Gastmann schnippisch zu kommentieren weiß. Der Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain? Gibt nur Fachinterviews, die man sicherlich nicht verstünde. Boris Becker? Keine Antwort. Uli Hoeneß? Redet nicht mehr so gern über Finanzen. Thomas Gottschalk? Terminliche Gründe. Karl Lagerfeld? Ausgeschlossen. Carsten Maschmeyer? Hat Bedenken. Fidel Castro? Meldet sich nicht. Paul McCartney? Sein Assistent ist "very sorry". Der Emir von Dubai? Schweigt. Der Sultan von Brunei? Stellt sich tot. Fürstin Thurn und Taxis? Still ruht der See. Die Geissens, das durch einen Privatsender bekannte prollig-skurrile Millionärspaar? Auch er habe seinen Stolz, konstatiert Gastmann.

Rolf Eden hat Zeit. Er begrüßt in Berlin mit den Worten: "Ich war gestern im Puff." Es folgen weitere Details zu Körperflüssigkeiten, der Autor fasst das pointiert zusammen: "Man muss sagen, dass es in der Hauptstadt relativ schwierig ist, ein weibliches Wesen kennenzulernen, das nicht mit Rolf Eden im Bett war." Da ist aber auch die Geschichte, wie Eden zu Geld kam. Der Geschäftsmann - 1930 in Berlin geboren, mit der Familie vor den Nazis geflohen, später israelischer Elite-Soldat - hatte im Nachkriegsdeutschland schlichtweg ein Gespür dafür, was den Deutschen fehlte: Etablissements für Amüsement und Tanz, auch frivolerer Art. "Ein großes PR-Talent", so Gastmann. Heute kann man Eden als Immobilienunternehmer bezeichnen. Er vermietet Hunderte Wohnungen - und kontrolliert haarklein die Geschäftspost. Geld kommt ja selten aus dem Nichts.

Das Prinzip "Kontrolle" macht Gastmann auch in Kapiteln über den Schrauben-Milliardär Reinhold Würth oder den Textilunternehmer Wolfgang Grupp aus. Ein Garant fürs Reichwerden und Reichbleiben?

Die Reise führt den Geld-Forscher nach Cannes, zu einer Messe für Luxusschiffe, wo neben Fachpublikum entsprechende Kundschaft anzutreffen ist. Das Tagesprogramm: Erst Willkommenscocktail im VIP-Club, dann Pressekonferenz mit Cocktails bei der einen Werft, Termin mit Cocktails bei der nächsten, Cocktailempfang bei einer dritten, danach lädt ein vierter Hersteller zum Termin, "gefolgt von Cocktails". Saufen und protzen, recht viel mehr gibt das Kapitel nicht her. Die Gesprächspartner dort bleiben oberflächlich skizziert im Vergleich zu den privat Besuchten.

Bewunderte Grandseigneurs, bemitleidenswerte Nichtsnutze, belächelte Lebemänner

Spannend ist ein Treffen mit Rolf Sachs in London, "dem Sohn". Sachs schweigt, Gastmann palavert verlegen, Sachs schweigt, erst langsam taut er auf. Es geht um die Dynastie, die der Sohn des Industriellenerben und Tausendsassas Gunter Sachs fortzuführen hat. Eigentlich, meint Rolf Sachs, sei er nur dazu da, den Schatz zu hüten und eines Tages weiterzureichen. Familienpflicht. "Seine Augen leuchten nicht, wenn es um Geld geht", bemerkt Gastmann. Anders sei es, wenn Sachs über Kunst spricht.

Es gebe drei Lesarten von Reichtum, meint Gastmann und zeigt das am Beispiel Sachs. Der Bewunderer sehe einen der freiesten Menschen, die der Planet je gesehen hat, unabhängig, reich, humorvoll, beliebt. Der Neidische erzählt von einem Nichtsnutz, in eine wohlhabende Familie geboren. Der Psychologe sieht das Drama, den frühen Tod der Mutter, die Selbstmorde von Großvater und Vater. Und die Bürde, "immer der Sohn des Vaters zu sein". Dabei belässt es der Autor dann aber auch. Der Leser muss im Einzelfall entscheiden, ob er die Person nun respektiert, belächelt, psychologisch betrachtet oder beneidet.

Einige kritische Schneisen schlägt Gastmann ein, der Sprung zur sozialkritischen Philippika gelingt ihm indes nicht - wohl hat er eine solche gar nicht im Sinn gehabt, das Potenzial dafür böte die Recherche zweifellos. So hat Gastmann vor allem ein Lesevergnügen geschaffen, einen Strauß an Schnurren und auch Unerhörtheiten. Ein bisschen bleibt nach der Lektüre das Gefühl, das Gastmann in Cannes bei den Luxusschiffen beschleicht: "Zu viele Cocktails. Zu viel Sonne. Von allem zu viel."

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