Russland:Moskaus Kalter Krieg in der Arktis

Russia's Prime Minister Putin walks past seamen as he visits Sevmash shipyard in Severodvinsk

Wladimir Putin, damals noch Russlands Ministerpräsident, im Jahr 2010 bei einem Besuch der Sewmasch-Marinewerft in der Stadt Sewerodwinsk am Weißen Meer.

(Foto: REUTERS)
  • Russland beginnt, in der Nordpolarregion aufzurüsten: Abwehrraketensysteme werden installiert, Kampfjets verlegt, Marine-Anlagen gebaut, eine Kommandozentrale soll zwei neue arktische Brigaden befehligen.
  • Nach eigenen Angaben reagiert Moskau damit auf ein US-Programm, andererseits geht es um die Rohstoffe, die in der Arktis vermutet werden.
  • Bislang gilt die Arktis als internationales Territorium. Die übrigen Anrainerstaaten protestieren dagegen, dass Russland nun vehement Ansprüche erhebt.

Von Julian Hans, Moskau

Als am Dienstagmittag über der Werft Swjosdotschka in der Stadt Sewerodwinsk am Weißen Meer dichter Qualm aufstieg, war es für einen Moment wieder da, das Bild von den maroden russischen Streitkräften. Schweißarbeiten hatten offenbar einen Brand auf dem Atom-U-Boot Orjol ausgelöst, berichtete die Agentur Interfax. Es befänden sich aber keine Waffen an Bord, sagte ein Mitarbeiter der Werft in der etwa 1300 Kilometer von Moskau entfernten Stadt. Der Reaktor sei zuvor abgeschaltet worden. Die Orjol wird seit gut einem Jahr repariert. Ursprünglich sollte sie 2016 wieder in See stechen.

Während die russischen Streitkräfte lange eher durch ihre Zerfallsprozesse aufgefallen waren, überwiegt seit der Annexion der Krim wieder die Furcht vor ihnen. Die Nachricht vom Brand kam wenige Tage nachdem ein Generalmajor verkündet hatte, Russland werde im hohen Norden militärisch stärker Präsenz zeigen. In einem Interview gab der stellvertretende Kommandeur der Luft- und Weltraumstreitkräfte, Kirill Makarow, am Wochenende bekannt, die Armee habe Abwehrraketensysteme vom Typ Panzir in der rohstoffreichen Region stationiert. Es gehe um den Schutz der Nordflanke des Landes.

Außerdem sollten in Kürze Kampfjets des Typs MiG-31 in die Region verlegt werden. Auf der Insel Nowaja Semlja im Nordpolarmeer ist ein Frühwarnsystem geplant. Makarow zeichnete ein bedrohliches Bild: In nur fünf Jahren seien im US-Programm "Prompt Global Strike" 8000 Marschflugkörper einsatzbereit - auch gegen Russland. Auf der Inselgruppe Franz-Josef-Land traf am Montag Baumaterial für eine Marine-Anlage ein. Die nahe der Grenze zu Norwegen stationierte Nordflotte plane zudem in der Region östlich von Spitzbergen mehrere "Objekte", hieß es.

Zwei neue arktische Brigaden hinter dem Polarkreis

Erst vor einem Jahr hatte Russland ein Manöver in der Arktis abgehalten. Transportflugzeuge vom Typ Il-76 setzten dabei große Mengen von Militärtechnik auf den Neusibirischen Inseln ab. Ende vergangenen Jahres dann wurde eine Kommandozentrale Nord gegründet, die bald zwei neue arktische Brigaden mit insgesamt 6000 Soldaten hinter dem Polarkreis befehligen soll. Die ersten 3000 Mann haben inzwischen den einstigen sowjetischen Stützpunkt Alakurtti nahe der finnischen Grenze wieder bezogen.

Damit wird eine Einrichtung des Kalten Krieges wieder reaktiviert, der seinerzeit zentrale Bedeutung zugemessen wurde. Die Generäle in Moskau erwarteten für den Fall eines Atomkrieges, dass Washington Raketen über das Nordmeer auf die UdSSR schießen würde. Weil die Bedrohung nicht mehr gegeben zu sein schien und das Geld für den Unterhalt fehlte, hatte Moskau die Stützpunkte nach dem Zusammenbruch der UdSSR aufgegeben.

Moskau beansprucht den Nordpol für sich - die Nachbarländer protestieren

Nun wird wieder aufgerüstet. Ein Flugplatz auf den Neusibirischen Inseln wurde instand gesetzt, ein weiterer auf der Inselgruppe Nowaja Semlja, in deren Nähe die Sowjetunion ihre Atombomben testete. Um einen Angriff der USA rechtzeitig zu erkennen, würden neue Radaranlagen und Abfangsysteme aufgebaut, kündigte Makarow an. Das ergänzt die Aufrüstung an der Westgrenze. Im März hatte das Verteidigungsministerium bekannt gegeben, dass Iskander-Raketen in das Gebiet Kaliningrad verlegt wurden. Sie können mit Atomsprengköpfen bestückt werden.

Trikolore in den Meeresboden gerammt

Mit der zunehmenden Militärpräsenz in der Arktis will Russland auch seine Ansprüche auf die dort vermuteten Öl- und Gasreserven untermauern. Moskau behauptet, dass sein Festlandsockel am Meeresboden so weit in die Arktis reiche, dass Russland den Nordpol beanspruchen dürfe. Um den Anspruch zu unterstreichen, hatte eine U-Boot-Besatzung 2007 die russische Trikolore in den Meeresboden unter der Eiskappe gerammt. Die Anrainerstaaten Dänemark, Kanada, Norwegen und die USA protestierten.

Bislang gilt die Arktis als internationales Territorium, seit das Eis wegen der Klima-Erwärmung schmilzt, wird das Gebiet leichter zugänglich - für die Ausbeutung der Bodenschätze, für die Schifffahrt aus Südostasien nach Europa und nicht zuletzt für das Militär.

In den russischen Kinos läuft das Heldenepos "Das Territorium" an

Passend dazu läuft in den russischen Kinos gerade das Heldenepos "Das Territorium" an. Es spielt im Jahr 1960. Der Geologe Ilja Tschinkow macht sich darin auf in den äußersten Nordosten der Sowjetunion. Er ist überzeugt, im frostigen Boden Gold zu finden, das sein Land zur Stärkung seiner Wirtschaft dringend braucht.

Die Geschichte vom Ringen um die Bodenschätze im unwirtlichen Norden und vom entbehrungsreichen Kampf eines Mannes für sein Land ist das Begleitprogramm für eines der Lieblingsprojekte des russischen Präsidenten: Seit seiner Rückkehr in den Kreml vor bald drei Jahren steht die Eroberung der Arktis auf der Prioritätenliste von Wladimir Putin ganz oben. Auf eine Greenpeace-Aktion gegen Ölbohrungen in der Arktis reagierte Moskau im Oktober 2013 hart. 30 Aktivisten kamen mehrere Wochen in Haft, nachdem sie versucht hatten, die Gazprom-Bohrinsel Priraslomnaja zu besetzen.

Dass Wladimir Putin die Arktis damals einen "unzertrennlichen Teil der Russischen Föderation" nannte, der "sich schon seit einigen Jahrhunderten unter unserer Souveränität befindet", dürfte nun noch ernster genommen werden, seit er die Annexion der Krim mit ähnlichen Argumenten gerechtfertigt hat.

Über die unerwartete Ausdehnung nach Süden war das Programm im Norden zuletzt etwas aus dem Blickfeld geraten. Die neue Konfrontation mit dem Westen dient dem russischen Generalstab jetzt als zusätzliches Argument, in der Arktis auch militärisch aufzurüsten.

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