Studie:Das denken deutsche Unternehmer

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  • Das Göttinger Institut für Demokratieforschung hat mehr als 150 Führungskräfte aus der deutschen Wirtschaft zu ihrer Sicht auf Politik und Gesellschaft befragt.
  • Heraus kam unter anderem, dass deutsche Führungskräfte mitleidig auf die Industrie in Großbritannien und Frankreich blicken - sowie Intellektualität den meisten als hinderlich gilt.

Von Franziska Augstein, München

Deutsche Wirtschaftsführer zurückhaltend zu nennen, wäre eine Untertreibung. Ein paar redselige Talkshowgäste bestätigen nur die Regel: Bei den allermeisten steht die Auster Pate, wenn es darum geht, über sich und ihr Leben Auskunft zu geben. Einigen Forschern des von Franz Walter begründeten Göttinger Instituts für Demokratieforschung ist es aber gelungen, rund 160 Führungskräfte aus der Wirtschaft zu Interviews zu bewegen, unter der Zusicherung, dass ihre Namen nicht genannt würden. So bekommt man nun Einblicke, "wie Unternehmer Politik und Gesellschaft sehen" ("Sprachlose Elite?", Hrsg. von Franz Walter und Stine Marg, Rowohlt Verlag, 352 S.).

Nicht nur die gute Reputation des Instituts hat das ermöglicht, nicht nur das gute Geld, das der Konzern BP für diese Studie erübrigt hat, sondern auch die unverzagte Ausdauer der Wissenschaftler. Um ein Gespräch gebeten hatte man nämlich etwa 850 Konzernmanager, Geschäftsführer und Familienunternehmer. Viele reagierten gar nicht, etliche schickten grobe Absagen. Hier werden einige Ansichten deutscher Führungskräfte präsentiert.

Wie kommt man an die Spitze?

Ein Konzernmanager spricht für viele: "Ach, das war eigentlich alles gar nicht so genau geplant." Familienunternehmer hingegen, zumal wenn sie die Firma geerbt haben, sind eher geneigt, sich auf eine Art säkulare Prädestination zu berufen: "Entweder man hat es, oder man hat es nicht."

Wie bleibt man an der Spitze?

Fast allen gemeinsam ist, dass sie ihre Leistungen herunterspielen und das ewig strebende Bemühen, Entschlossenheit und Durchsetzungskraft in den Vordergrund stellen. Gleichzeitig legen Wirtschaftsführer größten Wert auf die Fähigkeit, "gut mit Menschen umgehen" zu können: "Man könnte geradezu den Eindruck gewinnen, es handele sich beim Unternehmer um einen primär sozialen Beruf", kommentieren die Göttinger Forscher.

Worin unterscheiden sich Konzernmanager und Familienunternehmer?

Um die Jahrtausendwende, als der Neoliberalismus das wirtschaftliche Denken dominierte, galten Familienunternehmen als rückständige Relikte des Rheinischen Kapitalismus. Das hat sich mittlerweile geändert. Während in anderen westlichen Ländern die industrielle Produktion zusammenklappt, ist sie in Deutschland wohlauf. Entsprechend selbstbewusst reden die Repräsentanten der Familienunternehmen. Gewerkschaften und Betriebsräte erscheinen vielen als überflüssig - sozial ist man selber. "Mittelständische Unternehmer", schreiben die Göttinger Forscher, "stöhnen nach wie vor gern über allerlei Belastungen durch den ,Versorgungsstaat'. Sie hadern mit dem Kündigungsschutz, immer noch mit der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, in Teilen auch mit dem Mindestlohn." Alles das sei für Manager von großen Konzernen hingegen kein Thema. Seltsame Einigkeit besteht im Hinblick auf die Steuerbelastung: Als die Interviews 2013 und 2014 geführt wurden, hat niemand sich darüber erregt. Die deutsche Konjunktur machte es möglich.

Ist man ein bisschen hochnäsig?

Durchaus. Deutsche Führungskräfte blicken nur mehr mitleidig auf Großbritannien. Die Forscher konstatieren, dass die britische Industrie "als Konkurrent nicht mehr wahrgenommen wird". Auch Frankreich kommt nicht gut weg. Der in Frankreich gepflegte Antagonismus zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird als hinderlich wahrgenommen. Die Franzosen, sagt einer, schmorten "nur in ihrem eigenen Saft und erzählen 'Vive la France', kriegen aber nichts auf die Reihe".

Sind deutsche Unternehmer also selbstzufrieden?

Nein. Viele schauen mit degoutierter Ehrfurcht Richtung USA. Die dort praktizierte Schnelllebigkeit - heute dies, morgen mehr oder ganz etwas anderes - liegt den Deutschen nicht. Ein bisschen neidisch ist man auf den Einparteienstaat China. Dort laufe es so: "Zack, und morgen ist da ne Autobahn", während in der Bundesrepublik diskutiert werde "bis zum Abwinken".

Die Führungskräfte hadern doch nicht etwa mit der Demokratie?

Aber nein. Sie tun sich allerdings schwer damit, dass im Parlamentarismus der Kompromiss das beste ist, was man erreichen kann. Von Politik als Beruf halten sie wenig. Den Politikern würden sie höhere Diäten gönnen. Einige genießen hohes Ansehen, vorneweg Gerhard Schröder (wegen Hartz IV), gefolgt von kantigen Leuten wie Wehner, Brandt und Helmut Schmidt. Unter den Unionspolitikern genießt nur Wolfgang Schäuble bei vielen Respekt. Zu Angela Merkel fällt den Unternehmern wenig ein. Dass Helmut Kohl selbst im kleinsten Kreis "zu überlangen Monologen neigte", habe seine Gesprächspartner aus der Wirtschaft "zunehmend genervt".

Haben Führungskräfte Visionen?

Als die Göttinger Forscher sie danach fragten, hätten die meisten "am liebsten sofort das Thema gewechselt". Allenfalls wurden Phrasen abgespult, in denen Wörter vorkamen wie "challenges", "commitment", "leadership". Hinzu kommt: Intellektualität gilt den meisten als hinderlich.

Gilt das alles auch für Frauen?

Frauen sind reflektierter, fähig zur Selbstkritik. Im Übrigen aber regieren sie offenbar nicht anders als Männer. Die Göttinger Forscher erwähnen eine Studie der Universität Toulouse, die 26 Untersuchungen aus den USA und Europa über die Eigenschaften von männlichen und weiblichen Führungskräften auswertete. Das Ergebnis: Es gibt "keine signifikanten Unterschiede".

Machen die Befragten sich Sorgen um die Zukunft des Unternehmertums?

In der Tat. Ende 2014 publizierte das amerikanische Direktvertriebsunternehmen Amway einen Existenzgründerreport, "demnach die Einstellung zur Selbständigkeit unter den unter Fünfunddreißigjährigen in keinem anderen Industrie- und Schwellenland so negativ ausfiel wie in Deutschland".

Im Resümee beklagen die Herausgeber die "deprimierende (. . .) Sprachlosigkeit" deutscher Führungskräfte. "Flüssiger, aber im Grunde ebenso gedankenfrei" sprächen die Unternehmer über "Neid", auch in der eigenen Belegschaft. Dabei ließen sie eines außer Acht: "dass die Erfindung und Mobilisierung von Ansprüchen eine elementare und unverzichtbare Triebkraft kapitalistischen Wachstums ist".

© SZ vom 08.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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