Twin Peaks:Unheimlich modern

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Entrückt: In einer Traumsequenz begegnet Agent Cooper (Kyle MacLachlan) einem merkwürdigen Mann (Michael Anderson).

(Foto: imago/United Archives)

25 Jahre nach dem Start plant der US-Sender Showtime eine Fortsetzung von "Twin Peaks". Regisseur David Lynch hat vieles vorweggenommen, was heute als gutes Serienfernsehen gilt.

Von Kathrin Hollmer

Geht das? Eine Fortsetzung von Twin Peaks ohne David Lynch? Eine Frage, die sich Fans der Serie nach dem Ausstieg des Regiestars stellen. Als im Oktober bekannt wurde, dass der US-Kabelsender Showtime 25 Jahre nach dem Start für 2016 neue Folgen der von Lynch und Mark Frost entwickelten Serie plant, war die Freude zunächst groß. Bis zum vergangenen Wochenende. "Nach einem Jahr und vier Monaten Verhandlungen bin ich ausgestiegen, weil nicht genug Geld geboten wurde, um das Drehbuch nach meiner Vorstellung zu realisieren", twitterte Lynch da. Ohne ihn erscheint eine Wiederauferstehung der mystisch-überzeichneten Twin Peaks-Welt nur schwer vorstellbar. Auch wenn die Serie nur zwei Jahre nach dem Pilotfilm, der am 8. April 1990 auf ABC lief, wieder aus dem Fernsehen verschwand, ist ihr Einfluss bis heute spürbar. Eine Hommage in sieben Punkten.

1. Das Böse wohnt in der Provinz

Wie ein Tourist kommt die Hauptfigur, FBI-Agent Dale Cooper, in dem fiktiven Holzfällerstädtchen Twin Peaks an der kanadischen Grenze an. Er lobt die frische Luft, die schönen Berge, die "fantastischen Douglastannen". Doch schon im Pilotfilm wird klar: So idyllisch die Kleinstadt aussieht, so tief sind ihre Abgründe. Cooper ist in der Stadt, um den grausamen Mord an der Schülerin Laura Palmer aufzuklären, aber die Tat ist nur ein Faden in einem Netz aus Intrigen, Affären und Drogengeschäften, in das die Bewohner von Twin Peaks verwickelt sind. Das Prinzip "schreckliches Verbrechen in der schönen Provinz" ist bis heute angesagt, zuletzt haben das etwa die Krimiserien True Detective, Fargo und Top Of The Lake genutzt. Auch das deutsche Serienfernsehen (Mord mit Aussicht, ARD) spielt mit den dunklen Geheimnissen von Doppelhaushälftenbewohnern.

2. Der undurchsichtige Ermittler

Agent Cooper ist so glatt, dass es unheimlich ist: Anzug, zurückgegeltes Haar, perfekt sitzende Krawatte. Doch seine Geschichte ist alles andere als makellos: Er hatte eine Affäre mit der Frau seines Mentors Earl. Ihr Ehemann tötete sie und wurde dafür in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert. Anders als in Klassikern wie Columbo haben Polizisten, Geheimagenten und Detektive heute immer Geheimnisse, eine Vergangenheit, die sie gleichzeitig antreibt und einholt, sind selbst in die aufzuklärenden Verbrechen verstrickt. In Homeland verbirgt eine CIA-Agentin ihre bipolare Störung vor Kollegen und Vorgesetzten. True Detective hat einen der kaputtesten Cops überhaupt. Und auch der Dortmunder Tatort-Kommissar begibt sich gern selbst in Lebensgefahr, seit er seine Familie bei einem Unfall verlor.

. 3. Horizontale Erzählweise

Horizontales Erzählen wie in Breaking Bad und House Of Cards ist heute ein Synonym für gute Fernsehunterhaltung: Statt in jeder Folge einen Mordfall aufzuklären oder ein klar umgrenztes Problem zu lösen, spannt sich die Handlung über eine ganze Staffel, vielleicht sogar die komplette Serie hinweg. Anfang der Neunziger war dieses Erzählprinzip noch wenig verbreitet. Lynch und Frost haben es zwar nicht erfunden, aber salonfähig gemacht und gleichzeitig ad infinitum geführt: Es war nie ihr Ziel, Lauras Mörder zu entlarven, stattdessen führten sie immer mehr Nebenhandlungen und Charaktere ein. Sie ließen Handlungsstränge bewusst ins Leere laufen, warfen Fragen auf, die nie beantwortet wurden. Bis der Sender eingriff und sie in der zweiten Staffel zur Aufklärung drängte, woraufhin die Quote drastisch sank - und die Serie abgesetzt wurde.

4. Das Partygespräch: Wer hat Laura Palmer getötet?

Besonders in den USA war die Mördersuche allgegenwärtiges Gesprächsthema. Man traf sich privat, um gemeinsam die neue Folge zu sehen, das Magazin Esquire kürte Laura Palmer zur Frau des Jahres. Anders als zehn Jahre zuvor die Frage "Wer schoss auf JR Ewing?", Hauptfigur und Bösewicht aus Dallas, beschäftigte das "Whodunit" aus Twin Peaks aber auch die Feuilletons, die insbesondere die erste Staffel gelobt hatten. Auch in Deutschland wurde nach jeder Folge über neue Symbole und Indizien gemutmaßt. Das Rätseln war allerdings getrübt: Twin Peaks lief auf RTL plus, Konkurrent Sat 1 verriet im Teletext vorab den Mörder, was das Hamburger Landgericht als "sittenwidrig" einstufte.

5. Das Seriencafé

Nie kommt man als Zuschauer Serienfiguren näher als bei Kaffee und Kuchen, darum spielen viele Serien, darunter The Big Bang Theory und How I Met Your Mother, in Cafés, Diners und Bars. Das "Double R Diner" in Twin Peaks, einer der Hauptschauplätze der Serie, war jedoch Kult, genauso wie Agent Coopers "damn fine cup of coffee", das er gern raunt, wenn er an einer Tasse schwarzem Kaffee genippt hat. In den Neunzigern wurden Twin Peaks-Kaffee und -Kirschkuchen vermarktet. Kultstatus wie das Double R Diner hat bis heute nur ein Seriencafé: das "Central Perk" aus der Sitcom Friends, mit dem orangefarbenen Sofa, auf dem die New Yorker Freunde Monica, Rachel, Phoebe, Ross, Chandler und Joey über Beziehungen und den Job lästerten. Im vergangenen Herbst wurde zehn Jahre nach dem Serienfinale für einen Monat ein Nachbau in New York eröffnet, Fans campierten in der Nacht vor der Eröffnung vor dem Café.

6. Das unheimliche Böse

Bob (Frank Silva), der Wüstling mit den langen, grauen Haaren und gefletschten Zähnen, ist vielleicht die furchteinflößendste Figur, die es je in einer Fernsehserie gab - auch, weil er keine reale Person, sondern ein Geist ist. Dann ist da noch die schwarze Hütte, ein mystischer Ort in den Wäldern von Twin Peaks, an dem Kaffee in der Tasse gerinnt und die Menschen eine Fantasiesprache sprechen. Mit jeder Episode fühlt sich der Zuschauer unwohler. Twin Peaks zeigte, dass das Publikum mehr verdauen kann als herkömmliche Krimiserien, in denen auf Mord Untersuchung und Auflösung folgen, und dass Gruseln durchaus massentauglich ist: In den Neunzigern löste das eine Mystery-Welle aus, die das Fernsehen der Dekade prägte, allen voran Akte X, in der die FBI-Agenten Dana Scully und Fox Mulder mysteriöse Fälle aufklären. Seit der Serie Lost, in der die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes auf einer mysteriösen Insel stranden, ist es um das Genre ruhiger geworden - aber der Sender Fox hat gerade neue Folgen von Akte X bestellt.

7. (Keine) Angst vor dem offenen Ende

Die letzte Szene der letzten Folge von Twin Peaks ist einer der besten Cliffhanger - und einer der frustrierendsten Momente der Fernsehgeschichte: Der böse Geist Bob hat die Kontrolle über Cooper erlangt. Der Zuschauer weiß nicht, was mit dem FBI-Agenten passiert. Und ist seitdem in keiner Serie mehr sicher vor einem offenen Ende. Ein offener Schluss löst ein klassisches Dilemma: Das Publikum, dessen Erwartungshaltung im Laufe der Episoden und Staffeln gewachsen ist, wünscht sich einen besonderen Schluss, der nur selten ein Happy End ist. Gleichzeitig hofft es insgeheim, dass die Sache für die liebgewonnenen Protagonisten gut ausgeht. Seit Twin Peaks ist ein offener Schluss oft das Mittel der Wahl, in Sitcoms wie Alf, aber auch in Action-Serien wie Chuck. Ob das Schicksal von Agent Cooper in der Fortsetzung von Twin Peaks aufgelöst wird? Kyle MacLachlan alias Agent Cooper spielt jedenfalls wieder mit.

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