Streaming:Es rüttelt am Prinzip

Die EU hinterfragt das Geoblocking - und stößt mit ihren Plänen auf Widerstand. Ausgerechnet Netflix hat aber nichts dagegen.

Von Viola Schenz

Das World Wide Web steht dafür, Informationen auszutauschen, Waren zu kaufen, Dienstleistungen bereitzustellen - und das eben weltweit. Dass autoritäre Regierungen, etwa in Russland oder China, Informationen blockieren, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass es auch innerhalb Europas nicht immer funktioniert mit dem freien Austausch. Wer in Deutschland das Programm von Sky oder Netflix abonniert hat, kann deren Angebote nicht automatisch in Paris oder Madrid auf seinem Computer nutzen. Je nach Land ist der Zugang zu Websites von TV-Sendern oder Streamingdiensten blockiert. Auch die Mediatheken öffentlich-rechtlicher Sender sind nur teilweise zugänglich. Den BBC iplayer etwa kann man nur innerhalb des Vereinigten Königreichs öffnen, von Deutschland aus hat man keine Chance.

Geoblocking heißt dieses Prinzip, wenn ein Online-Dienst aus anderen Ländern oder Regionen nicht abrufbar ist oder Kunden auf die Seiten des eigenen Landes umgeleitet werden. Für Margrethe Vestager, die für Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissarin, ein Missstand, der abgeschafft gehört, sie spricht von "Zäunen und Mauern" im Internet. Der Übertragungsstopp von Filmen und Fußballspielen an Landesgrenzen müsse aufhören, hieß es Ende März aus Brüssel.

Was nutzerfreundlich klingt, könnte sich jedoch als schwer umsetzbar erweisen. Pay-Sender wie Sky bringen vor allem Inhalte, an denen Filmstudios oder Fußball-Ligen die Ausstrahlungsrechte besitzen. Diese Rechte werden in der Regel nach dem Prinzip der Territorialität vergeben, das heißt nach Land und Sprachraum. Rechtehändler wollen ihre Produkte in möglichst viele Länder und Sprachräume verkaufen. Die meisten Senderechte werden überhaupt nur unter der Bedingung der Territorialität angeboten. Für Alexander Thies, Vorstandsvorsitzender der Allianz Deutscher Produzenten, gehen Vestagers Pläne daher an der Realität vorbei. "Für uns wäre das der Kahlschlag", sagt Thies, "das würde die Wertschöpfung und damit die Finanzierbarkeit der Filme vernichten." So verständlich es sei, dass der Konsument in einem einheitlichen Markt einheitlichen Zugriff auf Werke haben will, so sehr müsse man das in Einklang bringen mit den wirtschaftlichen Grundlagen einer Branche. "Ein Film kann nur deshalb europaweit verwertet werden", so Thies, "weil er je nach Sprach- und Kulturraum vermarktet wird - anders lässt er sich nicht vorfinanzieren." Auch bei Constantin Medien, die etwa Filmrechte und Fußballübertragungen vermarkten, stemmt man sich gegen die Pläne. "Die Verfügungshoheit für Rechte muss bei dem jeweiligen Urheber beziehungsweise Rechteinhaber verbleiben", sagt Vorstandsvorsitzender Bernhard Burgener. "Eine Abschaffung des Territorialprinzips hat nur für die weltweit operierenden amerikanischen Internetgiganten Vorteile."

Und die Sender? Bei Netflix stößt EU-Kommissarin Vesthager mit ihrer Initiative auf offene Ohren. Fragt man Joris Evers, den Sprecher in der europäischen Zentrale in Amsterdam, sagt der: "Wir arbeiten bereits an einer globalen Lizenzierung, also daran, das identische Programm überall anzubieten." Bei Sky Deutschland in München ist viel von "unterschiedlichen Sehgewohnheiten und Präferenzen der Zuschauer in den einzelnen Märkten" die Rede, aber es wird klar, dass es weniger darum geht, ob Geoblocking gut oder schlecht ist, sondern dass sich daran auf absehbare Zeit schlicht nichts ändern wird.

Der fürs Digitale zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger hat sich inzwischen vom Vorschlag seiner Kollegin Vestager distanziert. "Wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten", sagte er kürzlich in einem Interview. Er wolle prüfen, was eine Öffnung etwa für die Filmwirtschaft bedeute.

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