Japan:Im Dreisprung zur Autokratie

Hat die japanische Regierung den Sender Asahi-TV unter Druck gesetzt, einen Atomexperten zu entlassen? Premier Abe jedenfalls hält erwiesenermaßen nicht viel von unabhängigen Medien.

Von Christoph Neidhart

Nach Fukushima packte Shigeaki Koga aus. Er schilderte, wie das zuständige Industrieministerium (METI) Wissenschaftler, Medien und Wirtschaft schmierte, um sie für die Atomkraft zu gewinnen. Als einstiger METI-Beamter wusste er, wovon er sprach: Er war selber in diese Korruption involviert. Seit seinem Ausscheiden aus dem METI trat er als Experte regelmäßig im Sender Asahi-TV auf. Nun hat der Sender ihn rausgeworfen. Die Regierung von Premier Shinzo Abe, so Koga, habe Druck auf Asahi-TV ausgeübt, weil er sie kritisierte. Der Sender weist dies zurück.

Bei seinem letzten Liveauftritt Ende März konfrontierte Koga den Asahi-Moderator, der Sender beuge sich Abe. Dazu hielt er eine Tafel in die Kamera, auf der stand: "I am not Abe". Koga musste mit seiner Ausbootung rechnen. Wie aus den Redaktionen zu hören ist, übt die Regierung derzeit enormen Druck auf die Medien aus, vor allem auf jene des Asahi-Konzerns, der mit Asahi Shimbun die große liberale Tageszeitung Japans publiziert, ein Qualitätsblatt. Weil der Asahi bei Abes Geschichtsklitterung nicht mitmacht, hat der Premier persönlich gegen ihn gehetzt, er beschädige den Ruf Japans. Das zeigt Wirkung: Viele Leser bestellen das Blatt ab. Mit dem für Japan typischen Herdeninstinkt hat sich sogar Mainichi Shimbun, die kleinere liberale Tageszeitung, vom Asahi distanziert. Einerseits nehme sich der Mainichi damit aus der Schusslinie, so ein Insider, andererseits erhoffe er sich, Asahi-Leser zu erben.

Wie viel Abe von freien Medien hält, demonstriert er häufiger. Am Wahlabend im Dezember riss er während einer Direktschaltung zu einem Privatsender den Ohrhörer heraus, stand auf und ging, weil ihm eine Frage nicht passte. Vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen NHK muss er keine kritischen Fragen mehr fürchten, seit er an dessen Spitze Getreue installiert hat, allen voran Generaldirektor Katsuto Momii, der die Versklavung von Koreanerinnen in Nippons Feldbordellen für die normale Praxis im Krieg hält, wie er einmal sagte.

Der Yakuza- und Medienexperte Jake Adelstein meint, seit 1937 habe Japans Regierung die Medien nie so kontrolliert wie heute. Koga vergleicht den Feldzug gegen die Pressefreiheit mit einem Dreisprung. Der erste Sprung, der "Hop", seien Interventionen der Regierung, was sie wie berichten sollen und was nicht. Mit dem zweiten Sprung, dem "Step", reagierten die Medien, müde vom Druck, mit Selbstzensur. Japan befinde sich gegenwärtig in dieser Phase. Der dritte Sprung, der "Jump", wäre die Wahl einer offen autokratischen Regierung.

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