Mobile Werkstatt:Rat fürs Rad

Mobile Werkstatt: Jeden Morgen räumt Markus Mössler seine Ladefläche leer, um im Wagen reparieren zu können.

Jeden Morgen räumt Markus Mössler seine Ladefläche leer, um im Wagen reparieren zu können.

(Foto: Catherina Hess)

Mit einem Wagen voller Werkzeug steht Markus Mössler jeden Tag an einem anderen Ort in München und hilft bei Achtern und platten Reifen. Manche fahren kilometerweit zu ihm, weil er mehr bietet als nur Reparaturen.

Von Philipp Crone

Der wichtigste Gegenstand von Markus Mössler, diesem graubärtigen Mann in schwarzer Outdoorkleidung und Zehnkämpferstatur, ist kein Schraubenschlüssel. Auch keiner der Dutzenden Schläuche, die er in seinem weißen alten Kastenwagen durch München fährt, oder eines der Rad-Ersatzteile, die er jeden Tag in alten Fahrradkörben aus dem Wagen auf die Straße stellt, um drinnen arbeiten zu können. Und auch nicht die Ration "Maoam", die auf der Ablage liegt. Werkstätten und ihre Utensilien gibt es ausreichend in München, dafür würde auch niemand extra aus Gern kilometerweit rüberfahren ins Westend, wo Mössler an diesem Mittwoch seinen Wagen geparkt hat.

Nein, der wichtigste Gegenstand, den Mössler, der 49-jährige gelernte Krankenpfleger, morgens aus dem Wagen zieht, ist seine Fahne. Befestigt an einem alten krummen Ast. "Markus Mössler, Radlrichter", steht darauf. Und wo diese Fahne weht, gibt es mehr als nur frische Luft, einfache Alltagstipps und neue Bremsbeläge. Es gibt eine Reparatur für Rad und Radler.

Am liebsten steckt sich Mössler mit seinen ölschwarzen Händen erst einmal Kopfhörer in die Ohren, bevor er in der Ligsalzstraße morgens seinen Laden aufbaut. Aber normalerweise kommt er gar nicht dazu, wenn es nicht gerade hagelt oder schneit. Denn es vergeht nicht eine Minute, nachdem der weiße Kastenwagen in der Einfahrt geparkt hat, und schon ist die erste Kundin da.

Viele kommen zum Ratschen vorbei

Die Hausmeisterin des Gebäudes, wo Mössler mittwochs steht, sagt: "Die Leute freuen sich, wenn in der Straße was los ist. Die meisten kommen vor allem zum Ratschen her." Sie kennt Mössler seit 15 Jahren, er darf in der Einfahrt stehen, dafür repariert er die Fahrräder gratis.

"Die Luft verschwindet aus den Reifen", sagt eine Mutter über das rosa Rad ihrer zehnjährigen Tochter, die Mössler nicht aus den Augen lässt, und der schaut sich die Marke an. "Da hast du dein Geld zum Fenster rausgeworfen." Du. Das ist die offizielle Anrede in Mösslers Bürgersteig-Tipi. "Weißt du denn, wie viel Luft in den Reifen muss?" Weiß sie nicht, und Mössler zeigt ihr, wo das auf den Reifen steht, "in bar oder psi", sagt er. Die Frau: "Das Rad holt dann mein Ex-Mann ab." Und schon ist Mössler in der Familiengeschichte drin.

Noch schnell ein paar Schläuche an das Einfahrtsgitter hängen und die Flagge raus, schon steigt ein älterer Mann von seinem Rad ab. "Die Bremsen", sagt er, und: "Aber, Mössler, ich bin jetzt in 'ner Ausstellung." 18 Uhr? 18 Uhr.

Der nächste Kunde ist 77. Er hat sein gut gehendes Heizungsgeschäft in Gern verkauft und radelt rüber zu Mössler, wenn was ist. "Ich finde die Idee alleine schon großartig", sagt der Mann, "der Mössler ist freier, unabhängiger und unkomplizierter als andere. Und günstig." Freier. Das stimmt, aber erst seit sieben Jahren.

Mössler ist 16, als er weiß, was er mal werden möchte: Zweiradmechaniker. Doch es dauert fast 30 Jahre, bis er das auch werden kann. In Regensburg geboren, sucht er mit 16 eine Stelle, doch es gibt kaum welche. Er geht aus seiner Heimat weg, macht eine Lehre zum Krankenpfleger. Irgendwie ist das ja auch eine Art Reparieren. Er arbeitet in Haar, bis 2000. "Mein Vater hat mir den Beruf aufgezwungen."

Mössler macht ein Praktikum in einem Radgeschäft in Schwabing. "Der Besitzer meinte nach drei Tagen: Du bist gut, du hast einen guten Umgang, du siehst gut aus, das mögen die Weiber." Mössler lacht. Er arbeitet fünf Jahre in Schwabing, dann geht es dort nicht weiter. 2006 wird er Behindertenbetreuer - und nicht glücklich. Dass er kein Meister ist, wird zum Problem. Er kann keinen Laden aufmachen. "Der Beruf ist meisterpflichtig", sagt er, "aber mit meinem Reisegewerbe hier kann ich arbeiten. Ich bin quasi fahrendes Volk." Und er hilft anderen dabei, auch wieder fahrendes Volk zu werden.

"Ich bin, wo die Kunden sind"

Ein Freund ermuntert ihn, sich selbständig zu machen. 2008. "Das Gute ist, dass die Leute nicht zu mir reingehen müssen, ich bin, wo sie sind, auf dem Bürgersteig." Außerdem habe er keine Mietkosten. Nicht ganz unwichtig in München. "Und ich bin mit meinen Kunden, Servus!, auf gleicher Höhe."

Ein Kunde kommt mitten in diesem Satz vorbei. Risse auf dem Hinterreifen habe er. "Das ist nicht so beunruhigend", sagt Mössler. Und ob da nicht vorne ein leichter Achter drin sei, fragt der Mann noch. "Weißt du, wie du das rauskriegst? Indem du jede Speiche anzupfst. Die müssen alle den gleichen Ton haben."

Mössler steht in der Sonne, um 10.40 Uhr, neben sich mittlerweile acht Räder, hinter sich sein zweimal drei Meter breites Werkstattreich, vor sich Josep aus Polen, der unter der Donnersberger Brücke ein Rad gefunden hat. Was das Herrichten kostet? "60 Euro." "50 besser", sagt Josep und lacht mit lichter Zahnreihe. Mössler lächelt.

Der 49-Jährige hat drei Söhne, 16, 15 und vier Jahre alt, von zwei Frauen. Und eine Lebensführung, die offenbar nicht mit allem kompatibel ist. An der hinteren Tür zu seinem Wagen klebt ein Foto von einem Reisebus, außen vollgehängt mit Fahrrädern. Drinnen wohnt eine Familie mit zwei Kindern, die durch Kalifornien fahren und Fahrräder reparieren. "Das ist das Ziel! Kalifornien, Europa, egal. Wichtig ist das Unterwegs-sein", sagt Mössler. Das will er auch einmal machen.

Seine aktuelle Freundin wäre dabei. Aber käme er denn dann jemals zurück? "Ja klar! München ist meine Heimat!" Das ist es wohl, was die Kunden hier auch noch mitbekommen, gratis: einen Hauch Abenteuerlust und Fernweh, von einem Mann, der gleichzeitig eine große Liebe für seine Heimat empfindet. Nah und fern zugleich. Wer so fühlt, der arbeitet dann eben auch gerne mit Fortbewegungsmitteln.

Weitere Informationen und Kontakt unter: www.facebook.com/derradlrichter

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