Schauspiel:Immer im Krieg

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Milo Rau bringt im Marstall des Residenztheaters den zweiten Teil seiner "Europa-Trilogie" heraus. In "The Dark Ages" erzählen fünf Schauspieler vom persönlichen Verlust von Heimat

Von Egbert Tholl, München

Erst einmal ein kleiner Exkurs, und schon fühlt man sich einigermaßen zuhause in der Gedankenwelt dieses freundlichen Schweizers. Milo Rau stammt aus Bern, hat aber so gar nichts von der in dieser Stadt herrschenden Bedächtigkeit im Reden. Nein, die Gedanken, die Worte, alles purzelt aus ihm heraus, er hüpft von Thema zu Thema, besucht verschiedene Kontinente in Sekunden, und doch bleibt alles immer ein großer Diskurs, in dem alles miteinander verwoben ist. Also nun, zur sanften Eingewöhnung, erst einmal die Schweiz. Vielleicht, so kommt einem der Gedanke, lange nach einem langen Gespräch mit Milo Rau in der Kantine des Residenztheaters, vielleicht ist die Schweiz für ihn so etwas wie die konzentrierte Metapher von Europa: Jeder will dazu gehören, es ist aber schwer, in den Klub reinzukommen. Und wenn man drin ist, stellt man fest, dass darin vielleicht nicht alles so ist, wie man es haben will.

Sie sprechen nicht miteinander, sondern für die Nachwelt, in die Kamera. (Foto: Thomas Dashuber)

Milo Rau hat etwas erfunden. Oder zumindest ein Performance-Prinzip so perfektioniert, dass es nun ursächlich mit seinem Namen verbunden ist: Reenactment. Das heißt, sehr verkürzt ausgedrückt, er stellt auf der Bühne - oder darauffolgend für den Film - Geschehnisse nach, die sich so ereignet haben. Aber da Rau - neben seiner Kolumne in der Wochenendzeitung des Tagesanzeigers, seinem Film- und Theaterproduktionsbüro mit sieben festangestellten Mitarbeitern - eine halbe Professur in Zürich unterhält, ist sein eigenes Nachdenken über die Form des Reenactments ein viel genaueres, skrupulöseres, als dass man es so einfach unter einen Vorgang subsumieren könnte. Zwei Arbeiten von Rau waren etwa in München im Rahmen von "Radikal jung" zu sehen, "Breiviks Erklärung". die Selbsterklärung des norwegischen Massenmörders also, und "Hate Radio", ein Stück über den Sender RTLM, der beim Genozid in Ruanda die Mörder zu ihren Taten mit antrieb. Für das Publikum war letzteres eine Stunde aus dem Sendestudio des Hasses; für Milo Rau war es eine verdichtete Fiktion davon. In Echtzeit wäre ihm eine Stunde Originalsendezeit viel zu öde gewesen.

Milo Rau, geboren 1977 in Bern, gründete 2007 das "International Institute of Political Murder", eine Theater- und Filmproduktionsgesellschaft. (Foto: Thomas Dashuber)

Afrika treibt Milo Rau weiter um. Ende Mai wird er in Bukavu im Ostkongo ein "Kongo Tribunal" inszenieren, zu welchem unter anderem bizarre Regierungsvertreter wie auch Chefs der Aufständischen eingeladen sind. Der Ostkongo ist Kriegsgebiet, hier tobt ein verheerender Kampf um die Rohstoffe des Landes, Rohstoffe, die zum Wohlstand Europas beitragen. Um die ungehindert abbauen zu können, wird die Bevölkerung rigoros umgesiedelt, wer nicht spurt, wird massakriert - die UNO schaut machtlos zu, auch deutsche Firmen profitieren. Das völlig Verrückte ist nun, dass bei Raus fiktivem Tribunal alle mitmachen, was ihn selbst immer wieder verblüfft, so ganz könne er sich das selbst nicht erklären. Wie einst in Moskau, wo er Prozesse gegen die Kunst und deren Freiheit nachstellte.

Breivik, Moskau, der Tod Ceauşescus, Ruanda, Ostkongo und immer wieder Europa, etwa ein fiktiver Prozess gegen die rechtskonservative Weltwoche - wie passt das alles zusammen?

Vielleicht ist "The Dark Ages" in seiner Zurücknahme der szenischen Mittel ein ganz guter Fokus, den Rau auf sein eigenes Denken legt. "Wie spiegelt sich eine zerfallende Wertegemeinschaft in individuellen Biografien?" Das ist die Grundfrage, und die Biografien sind die von vier Schauspielern und einer Aktivistin. Sie erzählen. Sie erzählen von sich, erzählen das, was Rau in Gesprächen aus ihrem Inneren zutage förderte. Vom Residenztheater, in dessen Marstall "The Dark Ages" am Samstag Premiere hat, sind Valery Tscheplanowa und Manfred Zapatka mit dabei - er erzählt die Geschichte vom Verlust des Familienhauses, sie vom Verlust der Heimat und ihres künstlerischen Ersatzvaters Dimiter Gotscheff. Da taucht dann auch Hamlet auf, Ophelia, auch irgendwie in den Geschichten der drei Mitwirkenden aus dem Osten, die Rau auf seinen Recherchereisen fand. Der Bosnier Sudbin Musić hielt den Schädel seines im Krieg während eines Massakers im Dorf ermordeten Vaters in der Hand, Sanja Mitrovic und Vedrana Seksan können berichten vom Krieg, von Sarajewo und den NATO-Bombardements.

In "Civil Wars", dem Vorgängerabend und ersten Teil der "Europa-Trilogie", ging es um wahnsinnige und brutale Väter. Nun wird es historischer, gesellschaftlicher, geht es um die Veränderung Europas nach 1989. Und auch wenn es von der Inszenierung her "krass simpel" zugehen soll - die Mitwirkenden erzählen und werden dabei abgefilmt -, so spielt dann doch ein künstlerisches Mittel eine entscheidende Rolle: die Musik der slowenischen Band Laibach (siehe links). Für Milo Rau ist das die Band, die sich in Europa mit Europa befasst hat. Und zwar auf provokante, krasse Art, ganz wie es sich für ein Künstlerkollektiv gehört. Privat würde sich Milo Rau wohl nie deren Musik anhören, für die Aufführung jedoch komponierten sie Musik, die die fünf Akte voneinander trennt, die die "kleinen Geschichten mit sehr großen Tableaus" unterbricht, angelehnt an klassische Stücke. Und noch ein Punkt interessiert Rau an Laibach: Während in der Postmoderne Persiflagen des Totalitarismus in allen möglichen Arten durchexerziert wurden, sieht Rau die Band eher im Kontext der klassischen Moderne: Das ist nicht lustig, das tut weh und bewegt sich, je nach Rezeption, auf einem schmalen Grat.

Um das Gesamttableau abzurunden, liest am 7. Mai Manfred Zapatka den "Leitfaden für britische Soldaten" aus dem Jahr 1944. Da ist Rau schon im Kongo. Und beschäftigt sich mit dem nächsten Krieg.

© SZ vom 10.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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