Salafistischer Prediger Abou-Nagie vor Gericht:Hölle, Hartz und Heiliger Krieg

Prozess wegen gewerbsmäßigen Betrugs

Der salafistische Prediger Ibrahim Abou-Nagie (2. v. r.) steht in Köln vor Gericht.

(Foto: dpa)

Er will die Ungläubigen vor der Verdammnis retten, aber zuerst sich selbst vor der Staatsanwaltschaft: Der salafistische Prediger Ibrahim Abou-Nagie soll die Arbeitsagentur geprellt haben.

Von Jannis Brühl, Köln

Ibrahim Abou-Nagie hält den Journalisten, die ihn filmen, einen Koran entgegen und sagt höflich: "Laut diesem Buch kommen alle Nicht-Muslime in die Hölle." Eigentlich steht der Mann mit dem schwarz-grauen Vollbart an diesem Donnerstag in Köln wegen gewerbsmäßigen Betruges vor Gericht, es geht um 54 000 Euro. Aber für Abou-Nagie ist so ein Termin auch eine Werbeveranstaltung für seine Sache.

Seine Sache, das sei der Koran, sagt er. Der Prediger Abou-Nagie ist der Mann hinter den Koranverteilungen von Salafisten in Fußgängerzonen in ganz Deutschland. Verfassungsschützer sehen als Ziel dieser Aktion, junge Menschen für die Szene zu rekrutieren. Aus deren extremem Flügel reisten auch immer wieder Männer nach Syrien, um für Milizen wie den Islamischen Staat zu kämpfen.

Der 50-jährige Abou-Nagie hatte einst eine Firma, die selbstklebende Folien produzierte, dann radikalisierte er sich und wurde einer der lautesten Vertreter des Salafismus in Deutschland. Seine Gruppe trägt den bescheidenen Namen "Die wahre Religion", predigt Abgrenzung von "Ungläubigen" aller Art, lehnt Wahlen ab und rechtfertigt den Dschihad als Selbstverteidigung gegen "Feinde des Islam".

So sehr ihn die göttliche Wahrheit interessiert: Vor einer sehr weltlichen Institution, der Bundesagentur für Arbeit, soll Abou-Nagie es mit Fakten nicht so genau genommen haben. Er soll seine tatsächlichen Einkünfte und sein Vermögen verschleiert haben, um zu Unrecht 1860 Euro Hartz IV monatlich für sich und seine Familie zu beziehen. Die Leasingraten für seinen Mercedes sollen vom Konto eines Komplizen abgebucht worden sein. Der steht in Köln ebenfalls vor Gericht. Auf dasselbe Konto sollen Spenden von Salafisten geflossen sein, die Abou-Nagie auch für persönliche Ausgaben genutzt haben soll.

Handys kassiert, Ausweise kopiert

Weil er aber kein unbekannter mutmaßlicher Sozialbetrüger ist, hat das Amtsgericht die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Salafisten lieferten sich schon Straßenschlachten mit der Polizei, zudem sind sie Zielscheibe von Islamhassern. Am Einlass zum Gerichtssaal wollen Justizbeamte Ausweise aller Besucher sehen und kopieren. Handys werden einkassiert, Taschen durchsucht.

Im Verfahren selbst passiert erst einmal nicht viel, weil Abou-Nagies Anwalt Antrag um Antrag stellt: Mal will er den Richter für befangen erklären lassen. Begründung: Er habe den Medien nicht auferlegt, Abou-Nagie auf Aufnahmen zu verpixeln - im Gegensatz zu seinem Mitangeklagten. Dann ist dem Anwalt die Mikrofonanlage zu leise, dann der Saal zu klein für die vielen Besucher. Das Verfahren wird also mehrfach unterbrochen, jeder Antrag abgelehnt, bis der Richter die Verhandlung vertagt. Juristisch gibt es keine Fortschritte, dafür nutzen Nordrhein-Westfalens Salafisten den Gerichtsaal als Bühne.

Hinter den Glasscheiben des Besucherbereichs sitzen drei Dutzend von Abou-Nagies Unterstützern: lange Bärte, rasiert nur über der Lippe, gehäkelte Gebetskäppis, Pluderhosen, die über den Knöcheln enden: so sollen die Begleiter des Propheten Mohammed gelebt haben. Hinter der Scheibe haben sie mehrere Ausgaben des Koran aufgestellt, wie in einem Schaufenster. Demonstrativ unwillig erheben sich viele Besucher für den Richter, das gilt besonders für Sven Lau - der Wuppertaler Konvertit erregte mit der "Scharia-Polizei" Aufmerksamkeit: Salafisten patrouillierten nachts in der Stadt und belehrten Discogänger über Moral und Anstand. Weltliche Gerichte genießen bei den meisten Zuschauern wenig Respekt, einer steht mit dem Rücken zum Richter.

Viele der Männer sind auffallend jung, manche Teenager. Einer fragt vor dem Saal, ob er auch mit seinem Schülerausweis reinkommt. Während des Verfahrens kichern, murmeln, zischen die Besucher. Die Atmosphäre erinnert an einen Schulausflug, allerdings an einen mit Rauschebärten und Eintrag im Verfassungsschutzbericht.

Blamage bei Ermittlungen

Die Koranverteilung ist die erfolgreichste Rekrutierungsaktion deutscher Salafisten. Verfassungsschützer müssen zusehen, schließlich ist das Verteilen des zentralen Textes einer Weltreligion von der Religionsfreiheit geschützt. Das hindert Abou-Nagie und seine Anhänger nicht daran, immer wieder davon zu sprechen, dass der Islam "bekämpft" werde, auch vor dem Gerichtssaal fällt die Formulierung mehrfach.

In dieser Logik wird der "Heilige Krieg" als notwendig für die "Verteidigung" des Islam verklärt. Auch Abou-Nagie erklärt sich zum Verfolgten, auf Youtube spricht er von einem "Schauprozess". Sein Verteidiger sagt, die Ermittler hätten nicht richtig gerechnet, sein Mandant habe den Staat gar nicht ausgenommen. Die Kölner Polizei habe "Rechnungen mit ihm offen" - eine Anspielung auf Ermittlungen gegen Abou-Nagie von 2012.

Die Polizei wollte ihn damals des Aufrufs zum Mord überführen. Das wurde zum Flop, als ein Staatsanwalt kurz vor Prozessbeginn herausfand, dass das falsche Video als Beweismittel angeführt worden war. Doch auch auf dem "richtigen" Video hatte der Prediger nichts strafrechtlich Relevantes gesagt. Noch so eine Blamage können sich die Behörden im Fall Abou-Nagies nicht leisten.

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