Wiederaufbau:Ein Feuer macht Mut

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Drei große Kriege in 400 Jahren konnten der Nürnberger Kirche St. Martha nichts anhaben. Ein Brand, der während der Sanierung ausbrach und zum schwersten Schaden ihrer Geschichte führte, lässt Geistliche und Architekten anders über Nutzung und Aussehen nachdenken

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Das sagt sich so leicht, dass jemand etwas zunächst gar nicht glauben konnte. Im Fall von Dieter Krabbe war es aber genauso: Als er am 5. Juni 2014 etwa zwei Stunden nach Mitternacht einen Kommissar an der Leitung hatte, hörte sich der Pfarrer dessen Vorhalt an. Legte dann den Telefonhörer auf die Gabel und sich selbst wieder ins Bett. Mit so was mache man keine Scherze, brummelte er. Krabbe will nicht mal ausschließen, ein unfeines Wort im Kopf gehabt zu haben.

Der Kommissar wartete also ein paar Minuten und rief dann einfach noch mal an. Dass das alles andere als ein Scherz sei, sagte er dem Pfarrer. Dass die Kirche St. Martha in Flammen stehe. Und dass er es durchaus für angemessen hielte, wenn der Pfarrer sich nun umgehend auf den Weg zum Gotteshaus machen würde. Der Dialog wiederholte sich noch ein paar Mal in dieser Nacht. So ähnlich jedenfalls, denn nun war es Krabbe, der zum Telefon griff. Der Kirchmeister Walter Przibilla erinnert sich, wie er den Pfarrer anraunzte: "Dieter, das ist doch jetzt wirklich keine Zeit für solche Scherze." Bei dem für die Sanierung zuständigen Architekten musste Krabbe dann selbst massiver werden. Ein Feuer? Ja, er werde sich den Schaden morgen halt mal anschauen, sagte der Architekt. Da könnte von unserer Kirche aber nichts mehr übrig sein, erwiderte der Pfarrer.

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(Foto: Florian Nagler Architekten)

Wiederhergestellt: Die Gemeinde will bereits 2016 Weihnachten in der wiederaufgebauten Kirche St. Martha feiern.

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(Foto: Sven Grundmann/dpa)

In Flammen: Am 5. Juni 2014 brannte die Nürnberger St. Martha Kirche lichterloh.

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(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Ausgebrannt: das Innere der Kirche am Folgetag des Brandes.

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(Foto: David Ebener/dpa)

Im Aufbau: In dieser Ansicht vom September 2014 ist die Kirche bereits von Schutt und Asche befreit worden.

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(Foto: David Ebener/dpa)

Ohne Dach: Die Kirche nach dem verheerenden Brand, ebenfalls aufgenommen im September 2014.

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(Foto: David Ebener/dpa)

Luftig: Blick vom ausgebrannten Kircheninneren gen Himmel.

Was ihn, Krabbe, selbst so fassungslos machte: Drei Stunden zuvor erst hatte er den Gemeindesaal verlassen. Die Kirche stand leer, sie wurde ja gerade saniert. Und es regnete in dieser Nacht. Das Schlimmste aber: St. Martha, die Kirche, in der die Meistersinger von Nürnberg geprobt haben und in der der Schuhmacher und Spruchdichter Hans Sachs aufgetreten ist, diese 600 Jahre alte Kirche hat alle Kriege überstanden. Den Dreißigjährigen Krieg, in einer der Hauptstädte der Reformation, genauso wie den Ersten Weltkrieg. Im Zweiten Weltkrieg soll ein Mesner kurz vor Kriegsende höchstselbst nicht gezündete Brandbomben weggeschafft haben. Die Kirche blieb nicht unversehrt. Aber gegen das, was ihr im Juni 2014 widerfuhr, waren die Schäden übersichtlich.

Der erste Gedanke? Przibilla, der Kirchmeister, erzählt, er habe in der Nacht mit dem Gedanken gespielt, ob man das Gotteshaus irgendwo anders wieder aufbauen könnte. Nicht mehr in der zweiten Reihe an der Königstraße, wo viele Touristen die Kirche übersehen. Aber das sind natürlich "nur so Gedanken im Schock". Vollständig vernichtet wurden in der Nacht das Dach, die Orgel, die Empore. Was das Feuer verursacht hat, ist auch zehn Monate danach nicht ganz klar. Wahrscheinlich waren es Gerätschaften oder Leitungen auf der Baustelle, die Kirche hätte dann ausgerechnet bei ihrer Sanierung den schwersten Schaden ihrer Geschichte erlitten. Was aber inzwischen ganz sicher ist, sagt Przibilla: St. Martha wird es wieder geben, Weihnachten 2016 will die evangelisch-reformierte Gemeinde von Nürnberg wieder in ihrem Gotteshaus feiern. Es wird ein anderes St. Martha sein, ohne Frage. "Aber es bleibt doch unsere Kirche", sagt Przibilla.

Für Georg Rieger hat sich auch einiges geändert seit der Nacht. Er war bis dahin Öffentlichkeitsarbeiter der evangelisch-reformierten Kirche, das macht er jetzt nur noch nebenher. Rieger ist nun Koordinator für den Wiederaufbau von St. Martha. Er führt durch das verrußte, mit Baugerüsten fast vollständig verstellte Kirchenschiff. Was daraus mal entstehen soll, kann man in der Ruine nicht mal erahnen. Der Plan aber steht. An diesem Sonntag will sich die Gemeinde über den Entwurf des Münchner Architekten Florian Nagler austauschen, mit dem er sich gegen sechs andere durchgesetzt hat. Wird sein Plan verwirklicht, wäre die Kirche künftig ganz anders zu nutzen. Der Plan sieht keine festen Bänke vor, mit der variablen Bestuhlung "könnte man hier rasch Raum für 400 Personen schaffen", sagt Pfarrer Krabbe, "mitten im Zentrum der Stadt". Von St. Martha sind es etwa zweihundert Meter zum Hauptbahnhof. Zumindest zum Teil soll das Gotteshaus da künftig als Vesperkirche dienen. Als Ort also, an dem Bedürftige mit Speisen versorgt werden.

"Das war der Stachel", sagt Krabbe, der ihn oft umgetrieben habe. "Wir wollen Kirche für andere sein: Sind wir das genug?" Jetzt, durch den Wiederaufbau, sehe er da ganz neue Chancen. Kirchmeister Przibilla empfindet es genauso: "Hätten wir das gewagt ohne das Feuer?" Vom ökumenischen Gemeinschaftsgefühl schwärmen beide. 300 000 Euro wurden bisher für St. Martha gespendet, nicht zuletzt mit den Kollekten anderer Kirchen. Die Gemeinde war gut gegen Feuer versichert. Aber bei den mehr als drei Millionen Euro, die der Wiederaufbau kosten dürfte, könne man nun jeden Cent brauchen, sagt Przibilla.

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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